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Rezension zu
Um Leben und Tod

Intelligentes Roadmovie

Von: WolfgangB
29.07.2015

Was bewegt einen Mann, der zehn Jahre im Gefängnis verbracht hat und stets seine Beteiligung an dem ihm zur Last gelegten Verbrechen bestritten hat, einen Tag vor seiner Entlassung auszubrechen? Diese Frage durchzieht den Roman als ein roter Faden. Hätte Audie nur wenige Stunden gewartet, wäre er ein freier Mann gewesen, so wird er von der Polizei verfolgt und muß mit einer weiteren Gefängnisstrafe rechnen. Welches Sorge drängt ihn - und ist die Zeit wirklich so knapp? Das ist das Geheimnis des Romans, jene Frage, die den Leser bis zum Schluß beschäftigt, das ist sein Treibstoff, der die Spannung stets aufs Neue befeuert. Wo Audies Gefängnisausbruch erhöhte Zeitnot impliziert, wirkt es immer wieder paradox, wenn er auf seiner Flucht keine Eile zu kennen scheint. Einmal mehr beweist der britische, in Australien lebende Autor Michael Robotham seine Virtuosität, indem er den Leser immer wieder über die Motive seines hochintelligenten Protagonisten rätseln läßt. Dabei ist er auch mutig genug, seinem wohletabliertes, beliebtes Erfolgsgespann Joseph O'Loughlin und Vincent Ruiz eine Pause zu gönnen und sowohl den Kontinent als auch die Personenkonstellation auszuwechseln. Die Handlung ist dabei auf zwei zeitlichen Ebenen angesiedelt. Während man Audie auf seinem Weg in der Freiheit begleitet, enthüllen Rückblenden nach und nach die Ereignisse der Vergangenheit, die zu seiner Verurteilung geführt haben. Robotham markiert diese beiden Ebenen durch das Erzähltempus, einerseits Präteritum, andererseits Präsens. Auf diese Weise vermeidet er harte Zäsuren, etwa durch Kapitelwechsel oder Zwischenüberschriften. Die so entstehenden nahtlosen Übergänge zwischen Erleben und Erinnerung bilden exakt Audies Wahrnehmung ab, der vor den Unbillen der Gegenwart immer wieder Trost in vergangenen Tagen sucht. Ebenso wie das schnörkellose Präsens trägt diese minimale Technik auch zu einer engen Bindung des Lesers an die Figur bei, reserviert ihm dem Platz am Beifahrersitz des Fluchtwagens. Besonders schwer fällt eine Identifikation mit der Hauptfigur ohnehin nicht. Mit Audie Palmer hat der Autor einen sympathischen Protagonisten erschaffen, an dessen Unschuld man keine Sekunde zweifelt. Im Gefängnis verhält er sich stets defensiv, wirkt in gefährlichen Situationen deeskalierend und bemüht sich auf seiner Flucht um Versöhnung einer durchs Land reisenden Frau mit ihrem entfremdeten Vater. Mit einer FBI-Agentin, die den Fall aufrollt, diskutiert er über amerikanische Literatur, sein Zellengenosse Moss vergleicht ihn mit Personifizierungen der Weisheit in der Populärkultur, nämlich Yoda, Gandalf und Morpheus. Ein solcher Zeitgenosse soll also ein schweres Verbrechen begangen haben? Insbesondere seine Besonnenheit legt äußerst triftige Gründe für seinen affektartigen Ausbruch nahe. Schnörkellos - um das Attribut nochmals aufzugreifen - und damit sparsam mit sprachlichen Ornamenten ist nicht nur das Erzähltempus, sondern auch der Stil als ganzes. Robotham schildert das Geschehen nüchtern, distanziert, bewußt gefühlsdosiert, er beschreibt, ohne zu bewerten. Wo man anderen Autoren unsichere Zurückhaltung attestieren könnte, handelt es sich in diesem Fall gerade dabei um einen Ausdruck erzäherischer Kompetenz. Es bleibt dem Leser überlassen, die verbleibenden Lücken mit Emotionen auszufüllen, weshalb der Roman viel kraftvoller als durch überzogen farbenprächtige, oft tautologische Schilderungen wirkt. Der Leser darf sich nicht berieseln lassen, sondern soll aktiv am Entstehen der Geschichte mitwirken. Der Roman wird durch die stärkere Einbindung intensiver, der Erlebniswert aber auch erfreulicherweise größer. Somit erinnert der Autor an ein bekanntes Zitat des Literaturwissenschafters Wolfgang Iser: "Das Werk ist das Konstituiertsein des Textes im Bewußtsein des Lesers." Pesönliches Fazit Warum bricht Audie Palmer aus dem Gefängnis aus? Michael Robotham läßt den Leser einen Roman lang darüber rätseln, und inszeniert ein intelligentes Roadmovie mit archetypischen Situationen aus der Literatur als funkelnde Sterne am Firmament.

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