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Rezension zu
Zwischen Welten

Du und ich? Oder wir?

Von: Bjoernandbooks
26.01.2023

Der Zufall hat sie wieder zueinander geführt. Im Studium waren sie beste Freunde, sind gemeinsam durch Dick und Dünn gegangen, haben sogar zusammen gewohnt. Doch dann musste Theresa zurück in die Heimat, Hals über Kopf, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion. Stefan blieb verwirrt und ratlos zurück. Doch nun hat das Schicksal für eine erneute Begegnung gesorgt, und sie beleben ihre Freundschaft neu. In Mails, Whatsapps, später auch Telegram-Nachrichten, tauschen sie sich über ihre jeweiligen Lebensrealitäten aus: Stefan ist mittlerweile Kultur-Ressortleiter bei einer der wichtigsten Wochenzeitungen des Landes, dem „Boten“, während Theresa als Landwirtin im Brandenburgischen den Milchbauernhof ihres Vaters übernommen hat. So unterschiedlich ihre berufliche Entwicklung, so auch ihr privates Umfeld, Meinungen und Haltungen. Stefan wohnt alleine, genießt den Luxus einer schönen Wohnung in Hamburg, sieht sich der Wokeness verpflichtet; Theresa knappst mit Mann Basti und den beiden Söhnen am Existenzminimum und kann keine Gender-Sternchen mehr sehen. Eine gehörige Portion an Zündstoff! „Wer existenziell lebt (ich), muss nicht sensationell leben (du). Wer das Existenzielle verloren hat (du), braucht die Sensation. Das unterscheidet dich und mich“ (S. 250) Das Gemeinschaftsprojekt „Zwischen Welten“ von Juli Zeh und Simon Urban macht gleich von Anfang an klar, dass es sich mit voller Wucht den zeitgenössischen gesellschaftlichen Themen widmen will – ja, mit aller Vehemenz. Schon auf den ersten Seiten handeln Stefan und Theresa ihre Wirklichkeiten miteinander aus, geraten frühzeitig in Streit über Werte und Überzeugungen. Und machen es mir damit vor allem zu Beginn des Briefromans beim besten Willen nicht leicht... Um es gleich vorwegzunehmen: Meine Leseerfahrung war ziemlich zweigeteilt – und mit der zweiten Hälfte von „Zwischen Welten“ konnte ich deutlich mehr anfangen. Das hat seine Gründe! Stefan und Theresa bringen sich auf den ersten 200 Seiten zunächst einmal auf den aktuellen Stand, tauschen sich über den jeweiligen Status Quo im Leben aus und reiben sich an den unterschiedlichen politischen und sozialen Positionen. Stefan hält die Fahne für den Klimawandel und diversitätssensible Sprache hoch, während Theresa ihm aufzeigt, wie die Realität in der Landwirtschaft aussieht. Kontroverser und weiter voneinander entfernt könnten die Beiden wohl nicht sein! Diese Diskrepanzen bilden zwar ein gesellschaftliches Spektrum ab, auch wenn wir Theresa definitiv nicht als rein dem Konservatismus verschriebene Anhängerin präsentiert bekommen. Gleichzeitig geraten die Konflikte, die sie austragen, aus meiner Sicht doch arg plakativ, werfen sie sich doch gegenseitig Plattitüden an die digitalen Köpfe, die wie direkt aus Social-Media-Foren entnommen wirken. Dabei hangeln sie sich von einem zum nächsten Themenkomplex, lassen keine Brisanz aus, entzweien und versöhnen sich im Minutentakt. An Spannung und Relevanz gewinnt „Zwischen Welten“ in meiner Wahrnehmung dann in der zweiten Hälfte, sobald es um die tatsächlich individuellen Geschichten der beiden Protagonist*innen geht. Über Stefan wie auch Theresa bricht die sorgsam errichtete Welt zusammen, und sie drohen am Druck der Realität zu scheitern. Sukzessive und mit erzählerischem Bedacht kulminieren die Ereignisse, die, wenn auch in zugespitzter Form, die Menschen hinter den theoretischen Diskurs-Masken durchscheinen und erkennen lassen. Die Schicksale der beiden ungleichen Freund*innen werden berührend, lassen uns den Kopf aufgrund der dramatischen Entwicklungen schütteln. Gleichzeitig entwickelt sich eine unterschwellige Anziehung zu einer möglichen Liebesbeziehung am Horizont, die wiederum meines Erachtens nicht für die Ausstaffierung der Geschichte in dieser Vehemenz nötig gewesen wäre. Sprachlich wie erzählerisch nutzen Juli Zeh und Simon Urban das Mantra „Mehr ist mehr“. Das finde ich persönlich schade, hätte mich doch das Schicksal von insbesondere Theresa deutlich mehr rühren und nachhaltiger schockieren können, hätte es einen etwas subtileren diskursiven Unterbau für die Exposition gegeben. Die Reproduzierung des „Hau Drauf“ hätte es für mich in der Form nicht benötigt, um eine am Zeitgeist orientierte, kritische Bestandsaufnahme zu liefern. So bleibe ich etwas ratlos zurück, hat mich die zweite Hälfte doch durchaus in mancher Hinsicht versöhnlicher stimmen können...

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