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Rezension zu
Die Lichter von Barcelona

Zeiten der Franco-Diktatur

Von: Sabine Ibing
26.01.2023

1945, Barcelona: Während sich die Stadt von den Folgen des Bürgerkriegs erholt, verdient sich der zwölfjährige Nil neben der Schule ein paar Peseten, indem er als Kurier Filmrollen von einem Kino zum nächsten bringt. Das Gehalt seiner Mutter reicht hinten und vorn nicht, um zu überleben. Hin und wieder schleicht er sich in die Vorführungen, um der Stimme seines Vaters David zu lauschen, der einst Synchronsprecher war, bevor er vor Jahren verschwand; gesucht als Republikaner, einer der Widerstandsgruppen. Als er eines Tages nach Hause kommt, stürzt ein Mann aus dem Hausflur und im Treppenhaus liegt ein schwer verletzter Mann. Er flüstert Nil «David» zu, drückt ihm ein Sammelbildchen in die Hand und stirbt. Der Roman geht zurück in die dunkle Zeit des diktatorischen Franco-Regimes, das erst 1977 sein Ende fand. Buchhändler Leo, der unter seinem kleinen Antiquariat im Keller auch ein geheimes Kino versteckt, gibt einem verzweifelten Kreis von Widerständlern, wie dem Filmvorführer Bernardo und seinem Lebensgefährten und Platzanweiser Paulino die Möglichkeit, verbotene Filme zu sehen und Bücher zu lesen, die auf dem Index stehen; aus der Realität zu flüchten. Es sind Freunde von David; auch der einarmige, filmverrückte Nil wird in diesen Kreis aufgenommen. Im Gefängnis von Montjuïc sind die Keller gefüllt mit ehemaligen Republikanern, Folterungen stehen an der Tagesordnung. «Die Zahl der unbescholtenen Bürger, die in den Gefängnissen einsaßen, hatte ungeahnte Ausmaße angenommen. In diesem düsteren Raum mit den von Feuchtigkeit zersetzten Wänden entkleideten die Wärter die Neuankömmlinge und untergruben ihre Moral, indem sie ihnen von Anfang an die Würde nahmen, was viel schlimmer war als der Kerker, der sie erwartete.» Das Sammelbild scheint einen Wert zu haben, dessen Geheimnis Nil ergründen möchte, denn plötzlich sind ein ehemaliger Gestapo-Kommandant, der in Barcelona wohnt, und der äußerst brutale Geheimdienstler Victor Valiente hinter dem Bild her. Der auktoriale Erzähler gibt dem Leser Informationen, die Protagonisten sind auf der Suche. Der Roman zeigt Barcelona, das durch die Folgen des Krieges zerstört wurde, verwundete Seelen, ein Regime, das unterjocht, das die Freiheit mit Polizei- und Militärstiefel zertritt, Sprache und Traditionen, die verboten sind. Katalanisch ist verboten. Selbst im Gefängnis dürfen sich Gefangene und Besucher nur auf Kastilisch unterhalten. Verbotene Musik, Bücher, Filme, Feste (jegliche eigene Kultur) – man unterhält sich nur flüsternd, immer auf der Hut vor Spitzeln – die Angst sitzt jedem im Nacken. «Sie lebt in einer Welt voller autoritärer, deprimierter oder abwesender Männer. Einer Welt, in der nur die Frauen in der Lage waren, das Elend auszuhalten, das die Männer angerichtet hatten.» Nach einem spannenden Anfang dauert es eine lange Zeit, bis der Roman wieder an Fahrt gewinnt und für meinen Geschmack schreitet die Geschichte zu langsam und ohne unerwartete Wendungen voran. An das literarische Niveau von Carlos Ruiz Zafón, der diese das Thema aufgegriffen hat, reicht Pere Cervantes leider nicht heran. Die Geschichte spielt in einem Armenviertel, in dem es ausschließlich Republikaner gibt, wenige Protagonisten füllen die Story. Frauen, die in dieser Zeit ums Überleben kämpfen, verschwundene oder verhaftete und depressive Männer. Ein Loch im Sozialgefüge. Die Falangisten sind ausnahmslos reiche Menschen und der Antagonist, Geheimdienstlers Victor Valiente, ist ein wirklich böses Exemplar Mensch, der sich nach einer persönlichen Abrechnung mit der Familie von Nil sehnt. Das ist ein wenig einfach dargestellt. Mir fehlen hier die Grautöne – denn die jeweilige politische Zugehörigkeit durchzog alle Gesellschaftsschichten. Die Guten hier, die Bösen dort. Die Charaktere sind für meinen Geschmack etwas klischeehaft und eintönig. Das letzte Kapitel macht einen Ausflug in 2021. Ich war irritiert. Das Kapitel hätte sich der Autor schenken können. Die Reflexionen über die Rolle der Frauen und Mütter in der Nachkriegszeit waren für mich eines der besten Elemente des Buches. Dort wo Gewalt, Hunger, Traurigkeit und Hoffnungslosigkeit die Geschichte durchdringen, kommt man ihr nahe; es gibt ziemlich brutale Szenen durch Polizeigewalt. Eine typische Diktatur: Korrupte Polizei, bestialische Verfolgung von Regimegegnern, Machtmissbrauch, Verrat, Erpressung, Unterdrückung, es herrscht ständige Angst in der Bevölkerung ... «Bedauerlicherweise ist Katalanisch in dieser Festung nicht erlaubt. Die Gefangenen dürfen sich nur in Kastilisch mitteilen, der einzigen Sprache des freien Spaniens.» Das Buch ist auch eine Hommage an den besonderen Zauber des Kinos, eine kinematografische Reise in diese Zeit. Die Menschen von damals flüchteten sich in die Filmpaläste, um all dem Elend und Schmerz zu entkommen, und es wurde zu ihrer großen Zuflucht. Insgesamt ist der historische Roman in Ordnung. Schade, dass der Originaltitel, der Junge mit den Filmrollen, nicht übersetzt wurde – es hätte besser gepasst. Er ist eher filmisch aufgezogen und verliert dadurch seine Kraft. Der große Wurf ist es nicht. Pere Cervantes, geboren 1971 in Barcelona, ist Schriftsteller und Drehbuchautor. Nach seinem Studium der Rechtswissenschaften war er zunächst als Soldat für die UN im Kosovo und die Europäische Union in Bosnien-Herzegowina tätig. Zurück in Spanien, wandte er sich allerdings dem Schreiben zu. Seine Werke wurden vielfach ausgezeichnet. «Die Lichter von Barcelona» ist Pere Cervantes‘ erster Roman, der ins Deutsche übersetzt wurde.

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