Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Ultraorthodox

In sich geschlossen

Von: Myriade
10.12.2022

Begonnen habe ich mit Akiva Weingartens Buch „Ultraorthodox“. Er beschreibt darin wie er in der Gemeinschaft der Satmarer Chassiden aufwächst, mitten in Brooklyn und doch völlig isoliert von der Umgebung. „In der Welt, in der ich aufgewachsen bin, gibt es hohe Mauern und harte Grenzen. Sie sind nicht sichtbar wie Mauern aus Stein oder Zäune aus Stahl, darum aber nicht weniger undurchlässig. Es sind Grenzen des Geistes und der Begriffe. Mauern hinter denen eine ganz bestimmte Weise gepflegt wird, die Welt zu sehen und sie zu deuten. Innerhalb dieser Mauern wohnen wir. Außerhalb leben die anderen. Wir, das sind die Chassidim, die Gottesfürchtigen. Die 365 Verbote und 248 Gebote, die der Ewige den Menschen in der Torah, den fünf Büchern der hebräischen Bibel, gab, und die unzähligen Weisungen, die Moshe in der Mischna und dem Talmud, der mündlichen Torah von Gott am Berg Sinai erhielt, geben unserem Leben Orientierung. Sinn unserer Existenz ist es, diese Mizwot zu erfüllen; sie so in unserem Leben zu verwirklichen, dass zwischen unserem Tun und Gottes Willen kein Unterschied mehr ist“ S17 Weingarten beschreibt seine Welt, in der alles und jedes genauestens geregelt ist. Wobei es nicht zu den geringsten Schwierigkeiten gehört, den richtigen Umgang mit Dingen und Situationen zu klären, die es vor 5000 Jahren eben noch nicht gab. „Auch wenn die Satmarer eine Gemeinschaft sind, gibt es streng genommen in ihr zwei Welten: die der Frauen und die der Männer“ S 80 Weingarten beschreibt seine Pubertät, das langsame Erwachsenwerden und wie er beginnt mit so manchen Geboten und Verboten in der Begegnung zwischen den Geschlechtern nicht nur zu hadern sondern sie gelegentlich auch zu ignorieren. Er wird – wie es üblich ist – sehr jung mit einem von der Familie ausgesuchten Mädchen verheiratet. Der Autor ist sehr unsicher darüber, ob die ihm zugedachte Frau zu ihm passt und konsultiert dazu einen Rabbiner: „Er schwieg eine Weile, strich sich über seinen grauen Bart, und wirkte, als würde er seine Antwort sorgfältig abwägen. Umso mehr überraschte mich diese dann: „es gibt nicht viele Dinge, die eine Frau wissen muss, aber zwei Sachen sind unentbehrlich. Sie muss wissen, wenn sie auf der Straße geht und es plötzlich zu regnen anfängt, dass sie sich unterstellt, dass ihre Perücke nicht nass wird. Und sie muss wissen, dass, wenn man ein Ei in der Pfanne brät, der Stiel nicht so über die Herdkante hinaussteht , dass sie die Pfanne im Vorbeigehen vom Herd herunterreißen kann. Diese zwei Sachen muss die Frau wissen, mehr nicht.“ S114 Man verzeihe mir, dass meine kühle, objektive Betrachtung des Themas bei diesem Beispiel rabbinischer Weisheit etwas ins Wanken geraten ist. Die Ehe geht von allem Anfang an schief, dennoch bekommen die beiden drei Kinder. Doch im Lauf der Zeit zweifelt Akiva Weingarten immer mehr. Nicht nur an den Fundamenten, auf die sein unglückliches Leben aufgebaut ist sondern auch an seiner Religion an sich, an seinem Gott. „Aber kann das sein? Hat Gott uns erwählt und alle anderen verworfen? Was ist das für ein Gott, der den größten Teil der Menschheit der Hölle preisgibt, ohne dass sie auch nur die geringste Chance haben, daran etwas zu ändern, weil sie die Weisungen Gottes niemals kennenlernen können? Und was ist das für ein Gott, der die, die angeblich auserwählt sind, mit diesen Weisungen so sehr peinigt, dass das schlechte Gewissen ihr ständiger Begleiter ist, dass wer leben will, fast schon zur Heuchelei gezwungen ist. Was ist das für ein Gott? Gibt es ihn überhaupt? Gibt es diesen einen Gott, dem sich alle zu beugen haben, überhaupt?“ S173 Kurz zusammengefasst: Akiva Weingarten bricht aus der chassidischen Gemeinde aus und geht nach Berlin um dort zu studieren. Seine Zweifel beschränken sich aber schließlich auf die starren Gebote und Verbote der ultraorthodoxen Gemeinde. Er findet wieder zu seiner jüdischen Identität, arbeitet als Rabbiner und befasst sich besonders mit anderen Menschen, die auch chassidische Gemeinden verlassen haben. Insgesamt fand ich den Einblick in diese Gemeinde faszinierend. Allerdings großteils im negativen Sinn, denn nicht nur die Art wie Frauen behandelt werden, fand ich abstoßend. Auch der beträchtliche Rassismus, der darin zum Ausdruck kommt, dass Nicht-Juden nicht einmal eine Seele zugestanden wird. Nur Mitglieder des auserwählten Volks tragen in sich einen göttlichen Funken, der es ihnen ermöglicht, zu gegebener Zeit ins Paradies einzuziehen. Daher werden auch Konvertiten niemals wirklich vollwertig in die Gemeinschaft aufgenommen. Anschließend habe ich Deborah Feldmans „Unorthodox“ gelesen und bin dabei, die Fortsetzung davon, „Überbitten“ zu lesen. In diesen Büchern wird das Leben in derselben chassidischen Gemeinde beschrieben, aus der Sicht einer Frau. Es werden noch viel mehr Dinge angesprochen und erzählt, die mich richtiggehend schockiert haben. Etwa die Meinung, dass Gott die „anderen Völker“ nur geschaffen habe, um die Juden zu quälen und dass deren Leiden Gott gnädig stimmen und die Welt am Laufen halten soll. Auch Hitler hätte es nur deswegen gegeben, weil das auserwählte Volk nicht ausreichend gläubig und gehorsam gewesen wäre. Hitlers Genozid wäre somit eine wohlverdiente Strafe, die das jüdische Volk getroffen habe. Die vielen Kinder, die in ultraorthodoxen Familien geboren werden, sollen nun die Toten des Holocaust ausgleichen. Das ist schon schwere Kost! Es ist ein erschreckender Blick hinter die Kulissen dieser Welt. Deborah Feldmann hat allerdings einen ebenso empathischen wie analytischen Blick auf viele Verhaltensweisen, der manchmal Ärger und Erstaunen in Verständnis verwandeln kann. Es liegt mir noch daran zu betonen, dass die Welt der Ultraorthodoxen eine fanatische ist, die mit der Welt des Judentums insgesamt nicht gleichgesetzt werden kann. Der Staat Israel selbst hat jede Menge Probleme mit den chassidischen Gemeinschaften, die zwar großteils vom Staat erhalten werden, diesen aber nicht anerkennen. Die Ultraorthodoxen stehen auf dem Standpunkt, dass sie durch intensives Studium der Thora und die dadurch entstehende Verbindung zu Gott, Entscheidendes zum Wohlergehen ihrer Landsleute beitragen.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.