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Rezension zu
Da wo sonst das Gehirn ist

Die Fassade hinter der Fassade

Von: Bjoernandbooks
05.11.2022

Manchmal ist diese Sache mit dem Leben und dem Erwachsenwerden ganz schön anstrengend! Alina absolviert ihr letztes Schuljahr: Neue Schule, neue Mitschüler*innen, neue Herausforderungen! Aber auch neue Möglichkeiten, denn die künstlerisch ausgerichtete Oberstufe bietet ihr die Option, ihre beim Praktikum konzipierte App auszuarbeiten und in der Klasse zu testen. Ein Social-Media-Experiment mit anonymem Gruppenchat! Das verspricht viel Zündstoff! Und den gibt es auch privat, denn Mutter Ulli hat sich gleich umgehend mit Urs, dem Vater von Klassen-Streber Corvin Carstensen, „angefreundet“. Und da ein Unglück selten alleine daherkommt, sitzt das Mutter-Tochter-Gespann plötzlich auf der Straße... Wer nimmt sie auf? Natürlich der joviale Urs, so dass Alina und Corvin auf einmal zu Fast-Halbgeschwistern wider Willen werden. Und was bringen Corvins Schwester Nina, ihres Zeichens Influencer-Sternchen, Alinas Love Interest Malte und das seltsame Treiben einer zusätzlichen Identität im Klassen-Chat noch an Chaos mit sich? „Als Hanuta den Wagen in der Einfahrt der Cotzensens parkt und sie alle rausspringen, wabert der Boden wie Seegras und die Lampen am Rand der Einfahrt versprühen Glitternebel, und Alina denkt, scheiße, ist das jetzt das Ende des Romans?“ (S. 315) Was zunächst als so richtig klassischer, wahnsinnig gut gemachter Coming-of-Age-Roman daherkommt, nimmt ab der Hälfte noch einmal richtig an Fahrt auf! Da wird „Da wo sonst das Gehirn ist“ nämlich noch ein Digitalthriller erster Güte, der in Form einer Sozialstudie einen kritische Blick auf die heutige Gesellschaft in all ihrer spektralen Vielfalt wirft, auf die Abgründe, die sich hinter verschlossenen Haustüren auftun... Auf spektakuläre Weise nimmt Sebastian Stuertz seine Leser*innen mit in den Kopf seiner Teenie-Protagonistin Alina. Die strahlt all das aus, was die Pubertät an sich klischeemäßig aus jugendlichen Seelen hervorzaubert: ganz viel „kein Bock“, jede Menge Augenverdrehen, aber auch eine große Portion Unsicherheit und viel Reflektieren über die eigenen Positionierung in dieser so wilden, neuen Erwachsenenwelt, zu der mensch plötzlich gehören soll. Dass „Da wo sonst das Gehirn ist“ dennoch nie abdriftet in schmalzige Young-Adult-Schmonzetten, ist dem durchgängig höchsten Maß an Authentizität geschuldet: Stuertz findet eine Sprache, die heutig ist, die glaubhaft in den Mund seiner Erzählerin gelegt ist, die niemals aufgesetzt wirkt oder zu viel erscheint. Gleichzeitig erzählt er eine Geschichte voller Kuriositäten, die den Ball zu keinem Zeitpunkt auf dem Boden aufkommen lässt: Da gibt es Riesen-Tausendfüßler, coole Hammerbrook-Schüler/Studi-WGs, angehende Pop-Starlets und mittendrin die große Gisella, Mutter Ullis Alter Ego im Berufsleben als putzender Show-Clown. Das erscheint auf den ersten Blick vielleicht viel zu viel von allem, doch weit gefehlt! Stuertz behält stets alle Fäden in der Hand, löst langsam Stück für Stück jeden Konflikt, jede Irritation auf, begründet, ohne überzuerklären. Während sich im quietschbunten Durcheinander nach und nach alles sortiert, richtet sich das Hauptaugenmerk schließlich auf den Ernst der Handlung, deckt die düstersten Seiten und multiple Identitäten auf. Da gilt es gegen Ende wiederholt zu schlucken, sich die Augen zu reiben ob der Kaltblütigkeit einzelner Figuren. In einem großen Showdown, der hier natürlich nicht verraten werden soll, lösen sich die letzten Geheimnisse auf, bringen Licht ins Dunkel, sorgen für Erlösung und Rettung – für fast alle Beteiligten! Stuerz ist dabei skrupellos, schont seine Figuren keineswegs, lässt sie am Rand tanzen und über die Klinge springen. Ein virtuos erzählter, vor Ideenreichtum strotzender Roman, der gerade auch durch die leisen Töne zu bezaubern weiß!

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