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Rezension zu
Mrs. Dalloway

Reichhaltige Lektüre, wenn man dem Roman die nötige Aufmerksamkeit schenkt

Von: Buecherbriefe
01.07.2022

In Mrs. Dalloway versetzt uns Virginia Woolf an einem Junitag im Jahre 1932 nach London und setzt dabei auf zwei zunächst voneinander unabhängige Erzählstränge. Zwei große Erzählstränge bilden den Rahmen Ausgangspunkt ihrer Erzählung ist dabei die titelgebende Clarissa Dalloway, die sich mitten in den Vorbereitungen für eine ihrer begehrten Dinnerpartys befindet. Ihr Leben könnte eigentlich nicht glücklicher verlaufen: Sie hat eine kleine und einigermaßen glückliche Familie, ihr Dasein ist materiell mehr als nur gesichert und sie genießt großes Ansehen in der Gesellschaft. Doch als an diesem Tag Peter Welsh, ihr ehemaliger Liebhaber, nach dreißig Jahren aus Indien zurückkehrt, stellen sich bei ihr Zweifel ein. Hat sie damals wirklich die richtige Entscheidung getroffen, als sie dem Freigeist Peter Welsh den konservativen Richard Dalloway vorgezogen hat? Ist sie wirklich glücklich? Oder läge ihr Glück nicht viel mehr bei ihrer Jugendfreundin Sally Seaton? Den anderen großen Erzählstrang leitet der Kriegsveteran Septimus Smith ein. Einst galt er als hoffnungsvoller Aufsteiger in der britischen Gesellschaft, von dem man sich noch Großes erhoffen durfte. Dann kam der erste Weltkrieg, in dem er sich besonders hervortat. Gleichzeitig erlitt er das, was man heute wohl als posttraumatische Belastungsstörungen diagnostizieren würde. Im Jahre 1923 steckt die Erforschung dieser Krankheit jedoch noch in den und so muss sich Septimus mit zwei Ärzten begnügen, die beide auf ihre Art Stümper sind und nicht zu ihm vordringen können. Doch sowohl Clarissa als auch Septimus bilden eigentlich nur den groben Rahmen dieses Romans und sind viel mehr Aufhänger für eine Vielzahl von mehr oder weniger stark miteinander verbundene Figuren, denen wir im Weiteren noch begegnen werden. Wer ist Virginia Woolf? Virginia Woolf gilt heute unbestritten gleichermaßen als eine der bedeutendsten Schriftstellerinnen aller Zeiten und gleichzeitig als wichtige Vorkämpferin für die Rechte von Frauen. Im Grunde ist in den großen Weiten des Internets bereits mehr als genug Material zu ihrem Leben vorhanden. Dennoch weist ihr Leben genug Aspekte auf, die zum Verständnis des Romans dienlich sein könnten, weshalb ich im Vorfeld zumindest auf die wichtigsten Stationen ihres Lebens kurz eingehen möchte. Virginia Woolf wurde 1882 als Tochter des Bergsteigers, Schriftstellers und Historikers Sir Leslie Stephen und der beinahe schon anti-feministischen Julia Stephen geboren, die sich unter anderem als Model und wenig erfolgreiche Schriftstellerin hervortat. Ihr Haus galt als Treffpunkt für Londons intellektuelle Elite dieser Zeit, unter anderem zählten Thomas Hardy und Henry James zu wiederkehrenden Gästen. Das Glück der Familie war jedoch nicht von Dauer, Virginias Mutter starb, als sie dreizehn Jahre alt war, und stürzte ihren Vater in eine Depression, von der er sich Zeit seines Lebens nicht erholen sollte. Nach dessen Tod im Jahre 1904 zogen Virginia und ihre Geschwister nach Bloomsbury und formten - nach dem Vorbild ihrer Eltern - die heute als Bloomsbury Group bekannte Gruppierung, die sich aus zahlreichen Historikern (Roger Fry), Ökonomen (John Maynard Keynes!) und Wissenschaftlern (Bertrand Russel!) und unzähligen Schriftstellern und Künstlern zusammensetzte. Gäste der Gruppe waren unter anderem D. H. Lawrence und sogar Winston Churchill. Ihr Ziel war wohl der Kampf gegen das englische Spießbürgertum, welches sie selbstlos mit sexueller Freizügigkeit in jeglicher Hinsicht und zahlreichen lockeren Affären bekämpften. Dort lernte sie auch ihren späteren Ehemann Leonard Woolf kennen, mit dem sie auch die Hogarth Press gründen wird. Sie spezialisierten sich auf moderne Literatur und veröffentlichten unter anderem Werke von Fjodor Dostojewski, Katherine Mansfield, Sigmund Freud und natürlich auch von Virginia Woolf selbst. Ihnen fehlten dabei sowohl finanzielle als auch technische Mittel, sodass sie die Bücher in mühevoller Kleinstarbeit selbst setzten und danach eigenhändig binden mussten. Hinter der erfolgreichen Fassade bröckelt es Der finanzielle Erfolg als Schriftstellerin sollte für Woolfs nicht lange ausbleiben und so erschienen bald zahlreiche innovative Romane und aufsehenerregende Essays (Ein Zimmer für sich allein), die schon bald zu viel rezipierten Werken der Emanzipationsbewegung avancierten. Doch während sie oberflächlich beruflich äußerst erfolgreich war, zahlreiche innovative und anerkannte Werke schuf, einen intellektuellen Freundeskreis ihr Eigen nennen konnte und auch ihren eigenen Lebensstil ausleben konnte, der durchaus durch einige Affären mit dem gleichen Geschlecht verbunden war, brodelte es unter dieser erfolgreichen Fassade. Auch wenn sich Woolf nie ausdrücklich zu dieser Thematik geäußert hat, so sprechen doch gewichtige Anzeichen dafür, dass sie als Kind von ihren Halbgeschwistern und ihrem Vater sexuell missbraucht wurde. Von diesen traumatischen Ereignissen soll sie sich nie wieder erholt und eine bipolare Störung entwickelt haben. Schon früh erlitt sie erste nachweisbare Nervenzusammenbrüche, die im Laufe ihres Lebens zunahmen und schließlich in ihrem Selbstmord im Jahre 1941 endeten. Im Alter von nur 55 Jahren packt sie einen Stein in ihren Mantel, steigt in einen Fluss und beendet so frühzeitig ihr Leben. Dieser weist beinahe schon unheimliche Parallelen zum Selbstmord eines Protagonisten ihres Romans auf, aber um potentiellen Neu-Lesern die Spannung nicht zu verderben, werde ich hierzu nicht weiter ins Detail gehen. Kein leichter Einstieg Ich muss zugeben, dass ich mit Mrs Dalloway zu Beginn große Schwierigkeiten hatten. Für die ersten hundert Seiten habe ich gut eine Woche benötigt, was sicherlich auch daran lag, dass ich den Roman lediglich als Abendlektüre genossen habe. Für diese Art von Lesen ist dieser Roman aber absolut ungeeignet. Ähnlich wie ihn Clarice Lispectors Erzählungen ist die Geschichte sehr handlungsarm. Die eigentliche Handlung erstreckt sich über einen einzigen Tag und bedient sich unzähliger Figuren, die nach außen hin recht banalen Alltagsaktivitäten nachgehen. Man trifft sich, redet, isst oder spaziert gemeinsam oder alleine und doch hängen alle Figuren nur ihren eigenen Gedanken nach, die in zahlreichen Rückblenden resultieren. Dass Woolf dabei auf jegliche Art von optischer Trennung, sei es durch neue Abschnitte oder Kapitel verzichtet, macht es für den Leser nicht einfacher. Das einzige ordnende Element des Romans sind die Glockenschläge des Big Ben, die so manchen, aber längst nicht jeden, Figurenwechsel ankündigen. Dass sie neben den häufigen Figurenwechseln im Weiteren noch gerne die Erzählperspektive zwischen allwissenden und personellen Erzähler und inneren Monologen wechselt, erschwert die Lektüre zunehmend. Zumal sie sich auch einer sehr poetischen Sprache bedient, die zusätzliche Aufmerksamkeit fordert. Der Wendepunkt für mich persönlich kam, als ich mich dem Roman einen ganzen Sonntag lang gewidmet habe. Erst die durchgängige und unterbrechungsfreie Lektüre erlaubte es mir, in den Gedankenströmen von Woolf und ihren Charakteren einzutauchen und den Roman in seiner Gesamtheit zu verstehen. Präzise Schilderungen von Gedanken und Gefühlen Man muss sicherlich nicht mit jedem Gedanken von Virginia Woolf übereinstimmen. Die plumpen Fassaden, hinter denen ihre Figuren Selbstzweifel und Trauer verbergen, muss man nicht als gegeben betrachten. Und dass sie als Mitglied der Bloomsbury Group ausgerechnet die englische Oberklasse auf diese Weise darstellt, ist sicherlich kein Zufall. Allerdings muss man ihr zu Gute halten, dass sie sich nicht nur auf diese Schicht konzentriert, sondern auch „einfache“ Bürger auf diese Weise darstellt. Ganz von der Hand zu weisen sind ihre Gedanken sicherlich nicht, zumal der Leser selbst sehr leicht Transferleistungen in sein eigenes Leben vollziehen kann. Unabhängig davon, wie man dazu steht, muss man die Art und Weise, wie sie ihre Figuren charakterisiert und die unterschiedlichen Erzählstränge miteinander verwoben hat, einfach nur bewundern. Mit einer unglaublichen Präzision und viel Feingefühl blickt sie hinter die Fassaden ihrer Figuren und schildert (aus einer leicht negativen Perspektive) nicht weniger als die die ganze Vielfalt des menschlichen Daseins. Die einzelnen Erzählstränge gehen dabei nahtlos ineinander über, sodass man sich wahrlich in einem unaufhaltsamen Strom von Gedanken befindet, der einen nicht mehr loslässt. Und beinahe schon im Vorbeigehen, sodass es dem Leser kaum auffällt, setzt sie sich mit ihrer Erzählung für die Rechte und Frauen und Homosexuellen ein. Was bleibt? Mrs. Dalloway ist sicherlich kein einfacher Roman und eignet sich ganz sicher nicht als Abendlektüre, dazu sind die Figuren und Gedankengänge einfach zu sehr ineinander verwoben und bieten so gut wie keine Gelegenheit zum Durchatmen. Wer dem Roman allerdings einige Stunden am Stück widmen kann und will, der wird mit einer anspruchsvollen und ergiebigen Lektüre belohnt, die bis heute nichts von der ihrer Aktualität und Relevanz verloren hat. Wunderschöner Klassiker Die von mir besprochene Ausgabe von Mrs. Dalloway erschien in der Manesse Bibliothek der Weltliteratur und passt thematisch hervorragend ins vom Manesse Verlag herausgerufene KlassikerInnen Jahr. Das Buch selbst bietet alle Vor- und Nachteile, die die „neue“ Bibliothek auszeichnet. Nachteile, weil der ehemals hochwertige Leineneinband durch einen texturartigen Bezug ersetzt wurde. Dieser ist zwar hochwertiger als ein normaler Pappumschlag ist, kommt aber nicht ganz an einen richtigen Leinenumschlag heran. Positiv hervorzuheben ist hingegen die restliche Buchgestaltung. Neben den insbesondere farblich bis ins kleinste Detail perfekt aufeinander abgestimmten einzelnen Komponenten und dem zeitgemäßen Design können auch die verwendeten Materialien überzeugen: Weder auf eine Fadenheftung, noch auf ein Leseband, noch auf bedruckten Vor- und Nachsatz müssen wir hier verzichten. Übersetzt wurde der Roman von der hochrenommierten Melanie Walz. Des Weiteren finden wir im Anhang rund 143 Anmerkungen, die dem heutigen Leser in angemessener Kürze Zusammenhänge und Anspielungen erklären, die sonst wohl nur Woolfs Zeitgenossen verstanden hätten. Abgerundet wird das Ganze mit einem Nachwort von Vea Kaiser, die auf rund 20 Seiten auf die wichtigsten Aspekte bezüglich Leben und Werk der Virginia Woolf eingeht und darüber hinaus noch Bezüge zur heutigen Zeit herstellt. Fazit: Wer dazu bereit ist, „Mrs. Dalloway“ die nötige Aufmerksamkeit zu schenken, wird mit einer sprachlich ausgefeilten und thematisch immer noch hoch aktuellen Lektüre belohnt. Wer dies nicht tun kann oder will, dem wird unweigerlich viel verschlossen bleiben.

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