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Rezension zu
Ultraorthodox

Mischung aus Sachbuch und Erlebnisbericht

Von: miss_lia48
29.06.2022

INHALT: Akiva Weingarten erzählt in diesem Buch von seinem Leben. Er wächst in der jüdischen Gemeinschaft der Satmarer Chassiden in Williamsburg (USA) auf, sie sprechen jiddisch, er besucht jüdische Schulen und geht mit 18 Jahren nach Israel. In dieser Zeit studiert er die Thora, die anderen Schriften und all die strengen Gebote und Verhaltensregeln seiner Religion. Der Mann ist das Familienoberhaupt: „Wir müssen über Frauen herrschen, denn wenn sie das Gefühl haben, dass niemand über sie herrscht, gehen sie ihre eigenen Wege. Du als Mann musst dafür sorgen, dass deine Frau immer das tut, was du ihr sagst, sie muss wissen, wer der Chef im Haus ist.“ Frauen haben sich um Haushalt und Kinder zu kümmern, für eine andere Arbeit sind sie nicht vorgesehen. Nachkommen sind das höchste Ziel in der Ehe, weshalb viele der Familien eine hohe Anzahl an Kindern und Enkelkindern hat. Jungen und Mädchen sind ab der Schule getrennt und wenn sie sich ausnahmsweise mal begegnen, sollen sie sich nicht einmal ansehen. Selbst bei Verwandten des anderen Geschlechts, gehört es sich nicht, ihnen die Hand zu geben. Wie genau Kinder entstehen, erfahren sie nur in etwa und kurz vor der Hochzeit. Vorher „musste das "Wissen" genügen, dass, wenn ein Paar verheiratet war, die Frau irgendwann in ein Krankenhaus ging, um ein Kind abzuholen, das von Gott kam. Woher aber wusste man, wann es Zeit war, ein Kind abzuholen?“ Die Satmarer Gemeinschaft hat eigene Zeitungen und Magazine, koscheres Internet & Handys, eigene Handwerksbetriebe, Geschäfte und Schulen. Die Männer arbeiten häufig innerhalb der Einrichtungen ihrer Gemeinschaft: „Es ist diese Angst vor Unreinheit, die die Chassidim von der Welt der Goyim fernhält.“ Akiva heiratet früh, eine Frau, die er kaum kennt, er wird Rabbiner und Familienvater. Doch mit der Zeit muss er feststellen, dass ihn sein bisheriges Leben immer mehr gefangen nimmt. Er ist unglücklich mit seiner Ehe und und in seinem Glauben. Akiva beschreibt in seinem Buch, wie er aus der Satmarer Gemeinschaft, aus diesem alten Leben, ausgestiegen ist, wie er in einer Art Identitätskrise steckte und schließlich einen Neuanfang in Deutschland wagte. Heute lebt er zwar wieder das Judentum, aber ein anderes, ein lebendiges, in dem er sich weniger durch Regeln, Vorschriften und Kontrolle bedrängt fühlt. Er arbeitet als Rabbiner, weil er jüdische Menschen ermutigen und in ihrem Glauben bestärken möchte. Dabei widmet er sich besonders jüdischen Menschen, die aus einer ultraorthodoxen Gemeinschaft ausgestiegen sind. Denn für diese Aussteiger ist das Leben häufig erst einmal schwierig. Viele erleben Phasen von Depression und Einsamkeit, die Suizidrate unter ihnen, ist erhöht. „Der gewohnte, Sicherheit vermittelnde Tages- und Wochenrhythmus bricht weg. Keine gemeinsamen Gebete in der Synagoge oder in der Familie, kein Austausch mit Freunden.“ „Dieses tragende Fundament der ultraorthodoxen Identität geht mit dem Austritt verloren und das schlechte Gewissen, das ohnehin so tief verwurzelt ist in der Satmarer Kultur, wird übermächtig. Ist es nicht ganz falsch, was ich tue? Ist es nicht das abgrundtief Böse? Manche, die das nicht aushalten, gehen zurück.“ In Dresden hat Akiva mittlerweile die „Besht Yeshiva“ - die erste chassidisch-liberale Yeshiva (eine Art Schule) der Welt gegründet, damit Aussteiger ihren Platz in ihrer „neuen“ Welt finden können... MEINUNG: Meine bisher gelesenen Bücher über ultraorthodoxe Juden, haben vor allem die Perspektive der Frauen eingenommen, weshalb ich es interessant fand, noch einen anderen Blickwinkel kennenzulernen. Erneut habe ich mich über manche Verhaltensregeln und Vorschriften gewundert. Und auch die vorgesehene Rolle der Frau hat mich stellenweise schwer schlucken lassen, z. B.: „Gott hat den Frauen ein kleineres Gehirn gegeben, weil sie nicht die wichtigen Sachen machen müssen. Sie müssen sauber machen, kochen, sich um die Kinder kümmern, sie müssen nicht Politiker oder Rabbiner oder Ärzte sein.“ Besonders zu Beginn und gegen Ende enthält das Buch sehr viele Fakten. Manches war mir dort zu detailliert geschildert und ich verlor ab und zu die Motivation, weiterzulesen. Den Mittelteil dagegen fand ich klasse. Hier erzählt Akiva von vielen Erlebnissen und dem Leben in der Gemeinschaft. Das war spannend und interessant. Dabei veränderten sich meine Gefühle für ihn als Protagonisten immer wieder. Manche seiner Entscheidungen konnte ich nur schwer nachvollziehen, immer wieder habe ich mich auch über ihn geärgert (z. B. wenn ich den Eindruck hatte, dass er sich aus der Verantwortung zieht). Aber man steckt eben nicht in den Menschen drin... FAZIT: Insgesamt war es, trotz ein paar Längen, ein interessantes Buch über einen Aussteiger aus der jüdischen Gemeinschaft der Satmarer Chassiden. Wen die Thematik interessiert und wer eine Mischung aus Sachbuch und Erlebnisbericht sucht, der könnte sich das Buch ruhig mal genauer anschauen. 4/5 Sterne!

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