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Rezension zu
Der Elefant im Zimmer

Gut analysiert

Von: Sabine Ibing
18.03.2022

«Das Gefährlichste an der Macht ist nicht, dass sie obsessiv wirkt, sondern dass sie peinlich ist und verleugnet wird. Sie füllt den Verhandlungsraum nahezu komplett aus, doch alle müssen so tun, als spiele sie keine Rolle, und diese akrobatische Heuchelei bindet einen Großteil ihrer Konzentration und Kraft. Das Englische kenn hierfür eine schöne Metapher: der Elefant im Zimmer (the elephant in the room)» Petra Morsbach erkundet in drei spannenden Reportagen das Thema Machtmissbrauch auf rhetorischer Ebene. Die Sprache erkennen, um sich zu wehren. Als sie selbst betroffen war, hat sie sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. In diesem Essay nimmt sie sich drei Fälle vor, der letzte ist ihr eigener, um das Konstrukt chronologisch zu durchleuchten und sie gibt Tipps, Machtmissbrauch zu erkennen und zu entlarven, sich dagegen zu wehren. Drei Fälle: Warum deckt eine Kirchenbehörde einen Kardinal, von dem seit Jahrzehnten bekannt ist, dass er Schüler und Novizen sexuell missbraucht? Warum will in einem Untersuchungsausschuss nicht mal die Opposition den Fehltritt einer Ministerin ernsthaft aufklären? Warum akzeptieren die Künstler einer Akademie ein Verbot von Dichterlesungen? Vertuschung auf allen Ebenen. «Machtmissbrauch ist, zumindest unter liberalen Verhältnissen, Bluff und funktioniert nur so lange, wie die Umwelt mitspielt – das Opfer und die Umstehenden.» Zunächst wird ein kirchlicher Missbrauchsskandal aus dem Jahr 1995 beleuchtet, der den pädophilen österreichischen Kardinal Hans Hermann Groër betrifft – Ein bekanntes Paradebeispiel für den Umgang der katholischen Kirche mit Sexualstraftätern, die munter weitermachen, von der Kurie gedeckt. Die Kirche mauert, nachdem sich Opfer lautstark melden, die Politik versucht, die Berichterstattung zu verhindern. Als die nicht mehr zu unterbinden ist, neue Opfer um das Wort bitten, versucht der Bischof zu verharmlosen. «Hollabrunner Bubengeschichten», er denunziert die Opfer als «kranke Seelen», deren Erinnerung gestört ist. Vertuschung, Gegenanklage, Schweigen. Am Ende erfolgt eine Entschuldigung, die keine ist, weil sie das Wort WENN impliziert, somit der Beschuldigte seine Schuld in Frage stellt. «Ich bitte Gott und die Menschen um Entschuldigung, wenn ich Schuld auf mich geladen habe.» Der zweite Fall beschäftigt sich mit dem Ehepaar Harderthauer (die Frau bayerische Sozialministerin, er Arzt in der Forensik), die mutmaßlich durch einen Patienten einer psychiatrischen Klinik durch dessen «Arbeitstherapie» Millionen verdient hatten. Ein versierter Ingenieur, der wegen diverser Sexualdelikte einsaß, übte seine Tätigkeit im speziellen Modellbau weiter dort aus, die Modelle wurden über eine speziell dafür gegründete Firma des Ehepaars vertrieben. Die Behörden versuchten, die Zusammenhänge zu vertuschen, eine Mitarbeierin wurde versetzt. Ein Untersuchungsausschuss hatte kein Interesse, den Fall aufzuklären, wichtige Akten wurden vermutlich später vernichtet. «Das ist im Grunde ein unabhängiger Ehrverein, in dem Mitglieder sich dreimal im Jahr treffen und über Kultur reden und kulturelle Veranstaltungen planen.» Im letzten Teil wird Petra Morsbachs eigner Fall beleuchtet: die Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Plötzlich gab es dort die Regel: «Dass Dichter nicht aus einzelnen Büchern lesen dürfen.» Niemand wusste, wer das beschlossen habe und warum; das sei weder von irgendwem vorgeschlagen noch jemals bei einem Treffen diskutiert worden. Petra Morsbach wunderte sich, dass sich keine Sterbensseele dagegen auflehnte. Sie wollte sich den Umgang mit den Mitgliedern nicht gefallen lassen. Deklarierte das als Machtmissbrauch. Aber kein Mitglied wollte darüber sprechen. Im Gegenteil – sie bekam nun die Macht mit voller Wucht zu spüren. «Es wurde geradezu als Obszönität empfunden, wenn ich sagte: Das ist Machtmissbrauch. Wir sind freie Künstler. Wir lassen uns doch nicht ehrenvoll berufen in einen Verein, der uns Verbote auferlegt. Wo wäre da der Sinn? In unserer Satzung steht, wir sollen die Freiheit und Würde der Künste bewahren. Wie können wir das tun, wenn wir selber willkürliche Verbote schlucken?» Die Autorin beschreibt in diesem Essay, wie man Machtmissbrauch erkennt. Sie gibt Tipps zur sprachlichen Analyse. «Da gibt es Tricks, sprachliches Handwerkszeug.» Und sie gibt auch Vorschläge, wie man sich wehren kann. Interessant zu lesen, die Fälle kompakt analysiert in einem Zusammenhang. Jeder weiß um den Machtmissbrauch in vielen Situationen – beide Seiten Doch nieman traut sich, das anzusprechen: Der Elefant im Raum. Petra Morsbach, geboren 1956, studierte in München und St. Petersburg. Danach arbeitete sie zehn Jahre als Dramaturgin und Regisseurin. Seit 1993 lebt sie als freie Schriftstellerin in der Nähe von München. Bisher schrieb sie mehrere von der Kritik hoch gelobte Romane, u.a. »Opernroman«, »Gottesdiener« und »Justizpalast«. Ihr Werk wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. dem Jean-Paul-Preis. 2017 erhielt sie den Roswitha-Literaturpreis der Stadt Bad Gandersheim und den Wilhelm-Raabe-Preis.

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