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Rezension zu
Stalker

Grandiose Fantastik. Unbedingt lesenswert.

Von: Koreander
25.12.2021

Der Film Stalker des sowjetischen Regisseurs Andrei Tarkowski ist ein Kulturphänomen. Science-Fiction at it’s best. Ein ruhiger Erzählstil, eine besondere Bildästhetik, Spannung, die eher als Suspense denn mit der Drehbuchbrechstange daher kommt. Was nicht zuletzt daran liegt, dass die Brüder Strugatzki das Drehbuch für Tarkowski geschrieben haben. Dieses beruht wiederum lose auf ihrem Roman „Picknick am Wegesrand“. Und was läge da näher endlich einmal den Roman zusammen mit „Die Wunschmaschine“, so der Name des als Erzählung veröffentlichten Drehbuchs, herauszugeben. Heyne hat dafür das Original neu übersetzen lassen, den knackigeren Namen des Films „Stalker“ als Titel, sowie eine Szene des Films als Umschlagsbild gewählt. Die Erstversion des Drehbuchs inklusive Einträgen aus dem Arbeitstagebuch der Gebrüder sowie ein Vorwort und eine medial-kulturelle Einordnung des Phänomens Stalker wurden als Bonus hinzugefügt. Phänomen Stalker Und allein die Ergänzungen sind den Kauf wert, abgesehen vom Vorwort vom mir geschätzten Wladimir Kaminer. Das hätte man sich nämlich sparen können. Seis drum, die Tagebucheinträge und „Die Wunschmachine“ sind einfach nur grandios. Das „multimediale Phänomen“ wartet dann für Fans mit wenig Neuem auf, ist aber eine schöne Zusammenfassung. Es gibt einige wenige Bücher, die sind dermaßen gut, dass ich sie im Laufe der Jahre mehrmals gelesen habe. Und nur ein knappes Dutzend ist so herausragend, dass ich sie immer mal wieder lese. Vor allem, wenn es neue bibliophile Ausgaben gibt oder wenn das Werk neu übersetzt wurde. An Joseph Conrads Meisterwerk „Das Herz der Finsternis“ kann man sehen, wie bedeutend die Übersetzung ist. Es gibt mindestens neun verschiedene Übertragungen, die, ob ihrer Wortwahl, unterschiedliche Stimmungen transportieren. Und so wie ich jede Neuauflage von Conrads Kongo-Abenteuer lese, so gehört auch der Science-Fiction Meilenstein „Picknick am Wegesrand“ zu den „Meisterwerken mit Wiedervorlage“. Und auch hier ist es die Übersetzung, die wesentlich zum Ambiente und zur Immersion beiträgt. Es ist eben etwas anderes, ob ich einem Stalker oder einem Schatzgräber folge. Und was mich bei der alten Übersetzung mit am meisten gestört hat, war die Änderung der Namen der Protagonisten. Wie kommt man nur auf so eine Idee? Kurz: Heyne hat hier alles richtig gemacht. Picknick am Wegesrand ist ein Science Fiction Klassiker, der sich genretypischen Erwartungen, Klischees und Szenarien widersetzt. Zwar gab es vermutlich einen Besuch außerirdischer Intelligenz auf der Erde, aber so richtig geklärt, ist selbst diese Grundannahme nicht. Unzweifelhaft ist lediglich, dass es sechs Zonen auf der Erde gibt. In diesen Zonen funktionieren die physikalischen Grundgesetze nicht mehr ausnahmslos. Und es befinden sich dort unzählige Artefakte, deren Funktionsweise sich niemand erklären kann. Und manchmal wird nicht einmal verstanden wozu die Gegenstände überhaupt gut sind. Nur eines steht fest: Mit den Artefakten lässt sich Geld verdienen. Wissenschaftler, das Militär aber auch Privatleute sind an den außerirdischen Gegenständen interessiert. Entsprechend entsteht eine neue Generation von Schatzjägern: Stalker. Die neuen Schatzjäger Die Vereinten Nationen errichten um die Zonen einen militärischen Sperrbezirk, so dass niemand herein und heraus kommt. Damit soll einerseits ein Handel mit Artefakten unterbunden werden, andererseits lauern in der Zone aber auch tödliche Gefahren, wovor Leichtsinnige oder Abenteurer geschützt werden sollen. So die Idee. Selbstverständlich finden die Stalker einen Zugang zur Zone. Zumindest zu einigen Zonen. Andere Zonen sollen wohl effektiver abgeschirmt worden sein, als die Zone bei Harmont, dem Ort des Romangeschehens. Der Schwarzmarkt boomt und die Stalker verdienen gut. Picknick am Wegesrand ist eingeteilt in mehrere Abschnitte bei denen wir dem Stalker Redrick Shewhart folgen. Beginnend mit dem jungen 23-jährigen Rotschopf und endend mit dem 31-jährigen Stalker. Die Erzählweise folgt dem Erleben von Red, so dass der Leser auch nicht mehr über die Zone weiß, als ein Stalker selbst. Die ersten Stalker rekrutierten sich aus der Arbeiterschaft der Anwohner der Zonen. Bevor die Abenteurer aus aller Herren Länder in die Zonen strebten und starben. Entsprechend rau sind Umgangston- und formen. Gute Science-Fiction war schon immer Gesellschaftskritik am Gegenwärtigen. Und Boris und Arkadi Strugatzki sind Meister ihres Faches. Mysterium Zone Die Geschichte von Red wird eingeleitet durch ein „Interview“ mit dem Physiknobelpreisträger Valentin Pillmann. Im Laufe des Buches wird ein Kapitel eingeschoben in dem dieser Pillmann wiederum eine zentrale Rolle spielt. In beiden Fällen dienen die Gespräche mit dem Doktor dazu, den Leser*innen die Zone näher zu erklären. Dabei geht der Kenntnisstand der Wissenschaft kaum über die Folklore hinaus. Pillmann liefert dann auch eine denkbare Erklärung für die Zonen. Möglicherweise hätten hier Außerirdische lediglich während ihrer langen Reise durchs Weltall ein Picknick am Wegesrand eingelegt. Und die Artefakte sind schlichtweg der liegengebliebene Unrat, weshalb viele Artefakte auch keine Funktion haben. Was es mit den Zonen auf sich hat, ist Teil der Spannung des Romans. Die Brüder Strugatzki sprengen die Konventionen der Science-Fiction, weil sie mehr auf den Alltag der Anwohner der Zonen, der Stalker und Wissenschaftler eingehen, als auf die Tatsache des außerirdischen Besuchs selber. Es ist wie es ist und Menschen müssen ihr alltägliches Leben um solche Ausnahmen herum organisieren. Der Roman ist außergewöhnlich und er ist außergewöhnlich genial. Vorausgesetzt, dass man an Menschen und deren Geschichten interessiert ist. So wie der Film eine äußerst langsame und melancholisch-philosophische Erzählweise wählt, so ist auch die Romanvorlage fernab actiongeladener Science-Fiction. Hier ist Lesen noch ein Erlebnis, eine Selbsterfahrung. Die eigenen Gefühle werden provoziert und nicht im Dauerstress der Handlung abgewürgt. Picknick am Wegesrand ist ein Meisterwerk seines Genres. Mythos Stalker Nicht nur der Film Stalker macht aus einem Buch ein Phänomen. 2012 folgte eine weitere angelehnte Verfilmung von Alexey Balabanov Me too, die leider nirgends erhältlich ist. Der US-Kabelsender WGN America hat ebenfalls angelehnt an Film und Buch die TV Serie „Roadside Picnic“ gedreht. Wobei der Status im Moment ziemlich unklar ist. 2007 veröffentlichte ein ukrainisches Spieleentwicklerstudio das PC-Spiel S.T.A.L.K.E.R., das ebenfalls zahlreiche Anleihen an Buch und Film hat. 2022 kommt der von vielen Fans lang ersehnte zweite Teil. Stalker respektive Picknick am Wegesrand ist ein Kult- und Kulturphänomen geworden. Das Endzeitszenario, die unbekannten und gleichzeitig Abenteuer, Ruhm und Reichtum versprechenden Zonen, außergewöhnliche, unheimliche Artefakte, das Setting mit Außerirdischen, Mutationen in den Zonen – ein Mix, der die Phantasien, Wünsche, Hoffnungen und Ängste anregt. Beste Fantastik!

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