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Rezension zu
Carls Buch

Teil der Ewigkeit

Von: Thomas Lawall
23.12.2021

Ein Buch wie dieses kann man nicht erfinden, sich ausdenken oder gar planen. Niemand ist in der Lage, etwas über eine Haltestelle, die im Lebensplan nicht eingezeichnet und vorgesehen war, zu erzählen. Als Mutter und Vater hat man eher panische Angst davor und versteckt sich vor solchen Gedanken. Für die dänische Schriftstellerin Naja Marie Aidt gibt es ein solches Versteck nicht mehr. Anfang 2015 stand sie mit Carl, dem zweitältesten ihrer vier Söhne, in der Küche, und sie erinnerten sich an seinen mit 94 Jahren verstorbenen Urgroßvater. Carl sagte, dass er keine Angst vor dem Tod hätte. Im Gegensatz zu seiner Mutter möchte er nicht verbrannt, sondern ganz normal begraben werden, um "in den großen Kreislauf einzugehen". Seine Mutter erwiderte, dass sie dies Gott sei Dank nicht erleben würde. Wie sie sich täuschen sollte. Drei Monate später starb ihr Sohn unter einer ganzen Verkettung tragischer Umstände und riss damit ein nicht zu stopfendes Loch in die gesamte Familienstruktur. Ohne jede Vorwarnung war nichts mehr so, wie es vorher war. Eine Welt brach zusammen. Nichts ging mehr. Selbst das Schreiben nicht. "Es gibt keine passende Form." Und doch schaffte es seine Mutter, ihm ein ganzes Buch zu widmen. Ein unfassbarer Kraftakt, entstanden aus der Liebe zu ihrem Sohn, die jetzt im schwerelosen Raum ohne greifbaren Bezugspunkt einerseits nicht mehr existieren, andererseits aber nicht einfach enden kann. Es gibt in diesem Werk keine "Ordnung", die man von einer Thematik wie dieser vielleicht erwarten würde. Keine Überschriften, keine Kapitel und kein durchstrukturiertes Erzählen. Vielmehr bestehen die Erinnerungen an Carl aus locker und scheinbar wahllos eingefügten Tagebucheinträgen und Kindheitserinnerungen, die sich mit sehr persönlichen Reaktionen nach dem Unfall, sowie zahlreichen Literaturverweisen, ständig abwechseln. Wie sollte man unendliche Trauer und manchmal auch unbändige Wut irgendwie sinnvoll sortieren!? "Die Wut ist stumpf und grenzenlos." Und doch bildet jener späte Anruf in der Nacht eine Art roten Faden, der immer wieder eingeflochten und stets ein Stück weiter erzählt wird, so als ob es der Autorin unmöglich erscheinen würde, diese fatale Nachricht und die unmittelbaren Folgen in einem Stück zu schildern. Sie lässt nichts aus. Selbst den genauen Polizeibericht nicht, der entsetzliche Details enthält und zum Erschütterndsten gehört, was der Rezensent jemals gelesen hat. Wie viel Kraft muss man aufbringen, dies alles auszuhalten und vielleicht gehört es zum viel zitierten "Loslassen" dazu. "Jetzt ist er Teil der Ewigkeit." Carls Buch bietet keine Patentrezepte zur Trauerbewältigung. Eine genaue Anleitung fehlt. Gebrauchsanweisungen für so einen Verlust gibt es nicht wirklich, und jedem, dem gleiches widerfährt, ist gezwungen, einen eigenen Weg zu finden. Und diesen gibt es immer. Carls Buch zum Beispiel. Ein Buch, wie keines zuvor.

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