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Rezension zu
Der Enkeltrick

Großartige Prosa: Das Unerwartete lauert überall im Alltag

Von: adWORDising Diana Wieser
07.12.2021

Die elf Erzählungen des Schweizer Autors sind wie die Alpen, die in seinen Werken häufig eine Rolle spielen. Von starker Substanz und solider Schönheit, strömt das Zufällige oder eben nicht Zufällige, das alltäglich Wahnsinnige und Unerklärliche ganz luzide-leicht durch Schluchten und Klämme in den Plot hinein. Stets streift der Autor gekonnt das Phantastische, bleibt dabei aber im Bereich des Möglichen. So wohnt jeder Erzählung ein ganz besonderes Überraschungsmoment inne. Mal erwischt uns der Autor eiskalt, mal spielt er mit unseren Erwartungen, um sie in denkbar gegenteiliger Art aufzulösen. Scheinbar Harmloses entpuppt als doppelbödig, während offenbar Wundersames als Fälschung entlarvt wird. So oder so: Franz Hohlers Geschichten sind ein literarisches Happening. Aber nach 160 Seiten leider viel zu schnell vorbei. Allein schon die titelgebende Einstiegsgeschichte hat es in sich. Sie beginnt, wie vermutet, mit einer dementen Dame, die von einer Trickbetrügerin hereingelegt werden will. Doch die Geschichte nimmt eine völlig unerwartete Wendung. Denn es ist gerade die Demenz und gar das vereitelte Verbrechen, welches Amalie zu einem Abenteuer verhilft. Zu einem Traum, den sie sich klaren Verstandes nie hatte verwirklichen können. Dieser Plot-Twist kommt so federleicht daher, so natürlich, dass wir dem Autor ganz selbstverständlich durch die Geschichte folgen. Berge, Natur und Wandern nehmen einen großen Teil in den Erzählungen ein. Meist dienen sie als sprichwörtliche Höhe- und Wendepunkte im Leben seiner schon etwas betagten Protagonisten. Denn Alter schützt bekanntlich nicht vor Torheit. Oder später Einsicht. Mal fühlt sich ein Rentner nach dem Vortrag eines Gedichtes dazu berufen, das Walliser Weißhorn zu besteigen, ungeachtet seiner Kondition und aller Warnungen. Mal bringt ein elektrischer Weidezaun einen Abergläubischen zu Fall. In einer anderen Geschichte wirft ein mysteriöser Steinregen in einem abgelegenen Alpenhotel ein seltsames Licht auf einen Gast, während ein ständig reservierter – aber nie besetzter – Tisch in einem Ausflugslokal Rätsel aufgibt. Auch Tiere agieren in Hohlers Plots auf einem Sublevel. Wie in der Erzählung „Die Katze“. Nach der Bitte einer Mutter an ihre Tochter, auf ihre geliebte „Mizzi“ aufzupassen, wird ein lang gehütetes Familiengeheimnis aufgedeckt. In „Die Nachtigall“ führt der Gesang des Vogels eine junge Lehrerin und einen chinesischen Migranten zusammen. Selbst leblose Dinge entwickeln in Hohlers Erzählungen ein mysteriöses Eigenleben. Ob Geburtstagskalender, Smartphones oder in Zeiten von Corona unvermeidlich: ein Mundschutz! Es sind Sätze wie diese aus der Nacherzählung „Das verlorene Lachen“, welche Hohlers Prosa so besonders machen: „Kinder, so lautet eine oft gehörte Schätzung, lachen etwa 400 Mal am Tag, Erwachsene etwa 15 Mal. Den Gang zur Freudlosigkeit, der dazwischen liegt, nennen wir Erziehung.“ (S. 93) Der 1943 in der Schweiz geborene Franz Hohler beherrscht sein Metier perfekt. Ganz unmittelbar finden wir uns bereits nach ein bis zwei Sätzen im jeweiligen Setting wieder. Seine Erzählungen sprühen vor subtilem Witz, seinen Figuren begegnet er mit Empathie und Respekt. Es ist zu köstlich, wie der über siebzigjährige Frank, ehemaliger Gymnasiallehrer, an den Tücken seines Smartphones scheitert und eine ganz besondere Art von „Handysucht“ entwickelt. Denn für manche Ratschläge braucht man keine personalisierte App. Die kommen ganz ungefragt. Franz Hohlers Erzählungen sind ein wahres Meisterstück. Sie weiten den Horizont des Alltäglichen, um eine Ebene des Phantastischen. Seite um Seite bereiten sie pures Vergnügen. Aber Achtung: Sie werden sich weniger trittsicher durch den Alltag bewegen. Und Ihre Antennen dafür auf vollen Empfang stellen. Expect the unexpected! Das Unerwartete lauert überall, gleich einer Lawine, um verkrustete Ansichten und festgetretene Wege mit einem Schlag unter unseren Füßen wegzureißen.

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