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Rezension zu
Schützenfest

Du kriegst den Jungen aus der Kleinstadt, aber die Kleinstadt nicht aus dem Jungen

Von: Bombe
05.10.2021

Ich sag mal direkt, dass ich bis dato noch nie was von Dirk Bernemann gelesen habe, zu meiner Verteidigung muss ich aber anführen, dass ich ein kleines ignorantes emsländisches Landei bin. Ich hoffe das reicht als Entschuldigung, denn als Provinzler steht „Was am Glas können“ auf der Liste lebensnotwendiger Fähigkeiten halt klar über „Rezeption deutscher Gegenwartsautoren“. Da musste Bernemann jetzt also schon ein Buch namens „Schützenfest“ schreiben, damit wir endlich zusammenkommen. Aber Scherz und bemüht lustige Einleitungen beiseite, er hat mir mit seinem aktuellen Roman ein wirklich tolles Leseerlebnis beschert. Auf 220 Seiten gibt es eine echte Tour de Force des Ich-Erzählers durch Kleinstadtmief, Neurosen, Traumata sowie gute und schlechte Erinnerungen. Das Ganze natürlich projiziert in das konzentrierte Nonplusultra des Provinzlebens: Das Schützenfest! Wer auf dem Land lebt kennt die Klischees: Geburt, Kindergarten, Schule und danach Familie, Hausbau und Spießerleben bis zum Dahinscheiden. Oder als Alternative: Landflucht in die große Stadt! Letzteres unternahm auch Gunnar Bäumer, der Ich-Erzähler in „Schützenfest“, den es nun aber für eine Woche wieder aus Berlin in das westfälische Kaff seiner Geburt, Kindheit und Jugend verschlägt. Vorab hätte ich eigentlich damit gerechnet, dass es hier darauf hinausläuft, die Kleinstadt an sich und ihre Einwohner im Speziellen permanent herablasserisch niederzumachen. Aber nein, Bernemann wird stattdessen nicht müde, den Ich-Erzähler auch seine eigenen Unzulänglichkeiten als Großstadt-Exilant ziemlich ungeschminkt Revue passieren zu lassen. Doch keine Sorge, die rurale Fraktion - vom Dorftrottel bis zum Kleinstadtmusterbewohner - kriegt natürlich auch ordentlich ihr Fett weg. Ohne groß zu spoilern werden wir also Zeuge, wie das Schützenfest seine schleimigen Tentakel um Gunnar Bäumer schlingt und ihn recht schnell in die Abgründe finsterster Dorfexzesse hinabzieht. Dabei brennt Dirk Bernemann in seinem Roman ein wundervolles Feuerwerk an Szenen ab, die jeder, der mal ernsthaft (also so richtig mit Saufen, Rauchen, Schießbude, außerehelichem Geschlechtsverkehr, Prügeleien etc. pp.) das ein oder andere Schützenfest mitgemacht hat, schon so oder ähnlich selbst erlebt haben dürfte. Schockierend aber wahr: Vieles passiert wirklich so! Ich weiß wovon ich spreche... „Schützenfest“ bietet dabei natürlich mehr als eine stumpfe Aneinanderreihung witziger Saufanekdoten. Die bilden eigentlich nur den zugegeben unterhaltsamen Rahmen für den Egotrip und die Selbstreflexion des Ich-Erzählers Gunnar Bäumer. Insofern sehe ich das Buch irgendwie auch als eine Art Coming Of Age Roman für Leute die nie erwachsen geworden und vielleicht auch nie irgendwo richtig angekommen sind. Ein Buch auf den ein Satz zutrifft, wie: „Du kriegst den Jungen aus der Kleinstadt, aber die Kleinstadt nicht aus dem Jungen!“ Die Story ist vielleicht nicht sonderlich überraschend aber interessant erzählt. Bernemann hat einen tollen Sprach- und Erzählstil, der oft erfrischend knurrig und pissig ist. Es ist alles im Fluss, unausweichliche und vielleicht sogar vorhersehbare Szenen führt er trotzdem spannend herbei. Es bleiben außerdem immer wieder Kernsätze hängen, selbst wenn er manchmal dazu neigt etwas dick aufzutragen. Dem Lesespaß tut das aber keinen Abbruch, auch wenn einem das Lachen bei vielen vordergründig lustigen Szenen manchmal im Halse steckenbleibt. Bernemann beherrscht Dinge wie spaßige Ernsthaftigkeit und unterhaltsame Garstigkeit, ohne dass es aufgesetzt wirkt. Das Buch kann ich jedem*r wärmstens empfehlen, der/die sich bereits in den vorangegangenen Zeilen wegen ähnlicher Erlebnisse und/oder Biographie wiederfindet. Und dem Rest auch, denn ein kleiner Gunnar Bäumer steckt vermutlich in jedem/jeder von uns...

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