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Rezension zu
Die Schweigende

Die Vergangenheit ist niemals vergangen

Von: Franziska_J
18.05.2021

Trauma, Verdrängung und Scham. Das sind die großen Themen, um die es in Ellen Sandbergs neuem Roman Die Schweigende (erschienen im Oktober 2020 im Pengiun-Verlag) geht. Wie viele von Sandbergs vorherigen Romanen ist auch dieser eine Mischung aus Spannungs- und Familienroman. Über mehrere Generationen wird hier vom Schicksal der Familie Remy erzählt, das geprägt ist durch ein grausames Geheimnis und ewiges Schweigen, weil das Sprechen über die Geschehnisse vor 60 Jahren viel zu schmerzhaft wäre. Auf erdrückende aber eindrucksvolle Weise zeigt Sandberg, wie das Trauma eines einzelnen Familienmitgliedes noch Generationen später zu spüren sein kann und wie Schweigen und Scham eine ganze Familie fast zerstören können. Darum geht’s: Auf dem Sterbebett muss Imke ihrem Vater ein Versprechen abnehmen: Sie soll nach Peter suchen. Mehr sagt ihr Vater nicht. Doch zunächst sind ohnehin erst einmal andere Dinge wichtig: Denn nach dem Tod des Familienoberhauptes entfernen sich nicht nur Imke und ihre beiden Schwestern Geli und Anne immer weiter voneinander sondern auch ihre Mutter Karin, die ohnehin schon emotional abwesend und kalt war, zieht sich völlig aus dem Leben zurück, so dass Imke sich neben ihrem Job auch noch um ihre Mutter kümmern muss. Doch beim Aufräumen eines alten Schuppens stößt Imke wieder auf den Namen Peter und begibt sich dabei auf eine Spur, die sie bis in die Kindheit ihrer Mutter führt, eine Kindheit in einem deutschen Erziehungsheim, die geprägt ist durch Grausamkeit, Unterdrückung und Ausbeutung. Und Imke muss feststellen, dass die Suche nach dem ominösen Peter immer mehr zu einer Suche nach ihrer Mutter wird, einer Suche nach den Gründen, wie aus einem lebensfrohen jungen Mädchen mit Wünschen und Träumen diese kaltherzige, distanzierte Frau werden konnte,die mit dem Leben schon abgeschlossen hat. Die Schweigende ist ein Roman, der Spuren hinterlässt, der erschüttert und über den man im Nachhinein noch lange nachgrübeln kann. Denn obwohl die Geschichte um die Familie Remy zwar nur Fiktion ist, so sind es die grausamen Verhältnisse in den deutschen Fürsorgeheimen der Nachkriegszeit keinesfalls. Wie Sandberg im Nachwort festhält, war es ihr ein wichtiges Anliegen, das Schicksal eines Heimkindes lebendig werden zu lassen und besonders auch die Auswirkungen einer solchen Erziehung auf die nächste und übernächste Generation darzustellen. Das ist ihr definitiv gelungen, denn in dem Moment, in dem Imke mit ihren Nachforschungen beginnt, setzt auch bei ihrer Mutter Karin ein unaufhaltsamer und vor allem schmerzhafter Prozess des Erinnerns ein, so dass der Roman letztlich in zwei Zeitperspektiven erzählt wird. Die Passagen dieses Erinnerns sind stellenweise nur schwer zu ertragen, denn was diesen Kindern damals zustieß, war mehr als grausam. Besonders gelungen sind auch die psychologisch komplexen Protagonisten. Nach dem Tod des Vaters bleiben nur noch die vier Frauen der Familie Remy übrig: Mutter Karin und ihre drei Töchter Imke, Geli und Anne. Und obwohl insbesondere die Schwestern zutiefst unterschiedlich sind, so haben sie doch eins gemeinsam: Sie alle sind auf die ein oder andre Weise geprägt durch die traumatischen Erfahrungen ihrer Mutter und ihrer daraus resultierenden emotionalen Kälte. Als Leser ist man stellenweise einfach fassungslos darüber, wie rücksichtslos und grausam die Charaktere sich teilweise zueinander verhalten, doch im Verlauf des Buches (das ist das Faszinierende an dieser Erzählung) schafft es die Autorin, die Beweggründe der Personen aufzuklären und das Gefühl von Ärger schwingt in Bedauern und Mitleid um. Das ganze Buch hat einfach etwas zutiefst Tragisches an sich. Die Schweigende ist ein spannender und vor allem bewegender Familienroman, der zeigt, dass Vergangenheit uns prägt und zu den Menschen macht, die wir heute sind. Es ist ein Roman, der an ein Kapitel der Geschichte erinnert, von dem sicher nur sehr wenige Menschen wissen, das aber unbedingt Beachtung verdient.

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