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Rezension zu
Ein anderer Planet

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Sehnsüchte in Suburbia

Von: amara5
01.06.2021

Die Singer-Songwriterin Tracey Thorn, bekannt aus dem Duo Everything But the Girl, blickt essayistisch auf ihre Teenagerjahre in der scheinbar idyllischen, vorstädtischen Wohnheimsiedlung Brookmans Park in Hertfordshire mit rund 3.000 Einwohnern, zurück. Dabei vermischt sie authentisch persönliche Tagebucheinträge aus den 1970er-Jahren mit ihrem präzisen Blick auf die Umgebung der Jetzt-Zeit. Ihre Jugend ist geprägt vom „Nicht-Haben“, „Nicht-Ereignissen“, Langeweile und den sehnsüchtigen Blick auf leere Bushaltestellen und Partyabende mit ersten Liebeleien in der Montagsdisco. Dringend benötigte Inspiration findet Thorn in zahlreichen Songs, Bands und schließlich in einer eigenen Gitarre, die ihr den Flair der nur 30-minütig entfernte Metropole London in die eigenen vier Wände transportiert. „Sie musste aus London sein. Eine urbane Gitarre, die mir die Stadt in mein Zimmer brachte.“ S. 155 „Ein anderer Planet“ ist ein Ausspruch ihres konservativen Vaters, der damit Traceys „rebellische“ Entscheidungen und Eigenschaften beschreibt – der Zugang zur Tochter hat dem Kriegsveteranen von jeher gefehlt und so schreibt Tracey Thorn auch präzise beobachtend über Eltern-/Kind-Beziehungen damals und heute und schwingt den Bogen als heutige Mutter von drei Kindern. Flüssig beschrieben spickt sie ihre Teenager-Memoiren mit Beobachtungen aus der Stadt- und Umweltplanung, unheimlichen Ordentlichkeiten ihres „anderen Planeten“ (der Vorstadt) sowie eine Menge Pop- und Punkkultur, die sie inspiriert haben. Lyrics zur Suburbia fädeln sich zwischen Tagebucheinträgen und anekdotenhaften Erzählungen des Alltäglichen, die in den Zeiten springen, und so manch einen Leser atmosphärisch in seine eigene Jugend zurückkatapultieren werden. Thorn schreibt dabei sehr klar, szenisch und unpathetisch, verschönert oder verschlimmert nichts, sondern setzt ein feinfühliges Puzzle der Selbstbefreiung mit der Gegenwart zusammen. Die Londoner Vorstadt ist universell übertragbar auf ein spießiges Aufwachsen in Suburbia und Thorn seziert die Gewohnheiten und Eigenschaften von Brookmans Park sehr detailliert, was einer kleinen, bissigen Sozialstudie gleichkommt. Und schaut trotzdem versöhnlich in ihre Erinnerungen und Vergangenheit. „Ich war ruhelos, intensiv und leidenschaftlich solipsistisch; hatte das Gefühl, in der Falle zu sitzen, unterdrückt zu werden, und schlug gereizt mit den Flügeln gegen die Gitterstäbe meines Käfigs.“ S. 200 Thorn packt ihre Vorstadtvergangenheit und das, was sie darin schwer vermisst hat, wunderbar einfühlsam in Worte und webt dabei viele thematische Stränge ein, ohne dass es langatmig wird. Und so treffen große Fragen wie Erziehung, Elternbeziehung, Abnabelung, Depression und Vorstadt-Tristesse auf die perfekte Vorgarten-Bepflanzung. Ein kluges, unterhaltsames und auch humorvolles Buch mit vielen kleinen spitzen Wahrheiten, die sich federleicht lesen lassen und Türen zur eigenen Vergangenheit öffnen.

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