Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Abschied von Hermine

Das Leben, der Tod und ein Hamster

Von: Mario Keipert
04.05.2021

Abschied von Hermine Das Leben, der Tod und ein Hamster Ein Buch über das Leben, das Sterben und den Tod: Jasmin Schreiber legt die Latte für ihr zweites Buch (nach dem bewegenden Roman Marianengraben) ziemlich hoch. Enthält dieser schmale Band mit dem Hamster auf dem Titel etwa die Antworten auf die ganzen ungelösten Fragen? Etwas, das die Trauernden tröstet und den Ängstlichen hilft? Eine neue Perspektive auf den Sinn des Ganzen? Ja. Ich gehöre zu den Menschen, die in Büchern allen Ernstes nach Schlüsseln für all die Herausforderungen und Geheimnisse des Lebens suchen, nach Anhaltspunkten, wie dieses Leben (und das Sterben) zu verstehen und zu meistern ist. Dabei ahne ich, dass es keine Antwort gibt – aber kann die Suche nicht lassen. Jasmin Schreiber macht schon in der dem Buch mitgegebenen Widmung in Form einer mathematischen Formel deutlich, dass die menschliche Sehnsucht nach Verstehen und Sinn spätestens an dieser Grenze zum Scheitern verurteilt ist: in Puncto Leben und Tod gibt es keine einfache Antwort, keine hinreichende, keine allgemeingültige. Abschied von Hermine ist kein Handbuch für Trauernde, kein Ratgeber, wie sich mit dem Tod leben lässt. Dafür aber ist die Botschaft der Autorin, die nicht nur Biologie studiert, sondern auch eine Ausbildung als Trauerbegleiterin absolviert hat und ehrenamtlich als Sterbeamme und Sternenkind-Fotografin arbeitet, ziemlich klar: Leute, lernt mit dem Tod zu leben. Zum Anfang direkt die schlechte Nachricht: Wir müssen alle sterben. Jasmin Schreiber: Abschied von Hermine. Über das Leben, das Sterben und den Tod – und was ein Hamster damit zu tun hat. Goldmann 2021 Dabei ist das Buch – das ahnt man ziemlich schnell – ein äußerst unterhaltsam und in leichtem Plauderton geschriebenes, das der Schwere seines Gegenstands gerade nicht mit nach unten gesenktem Blick und ernstem, getragenenen Ton begegnet. Genau wie die titelgebende Hamsterdame Hermine, deren Leben und Sterben Jasmin Schreiber im Laufe des Buches immer wieder aufgreift (ebenso wie ihre Trauer über das Ableben ihres Haustieres), müssen wir alle irgendwann dran glauben. Der Tod also irgendwie was ganz Normales, über das man deshalb ebenso normal reden kann? Aus der Sicht der Biologin ist da was dran. So wie sie im ersten Teil des Buches über die Definition des Lebens, über den Weg von der einzelnen Zelle zum komplexen Organismus (Hamster!) schreibt, wie sie Definitionen des Alterns diskutiert und wundersame Tiere wie das Bärtierchen oder den Nacktmull portraitiert, so kann sie auch die Phasen des Sterbeprozesses plastisch aber einfühlsam beschreiben. Ja, wir können über das Sterben und den Tod reden! Und es macht Sinn, das zu tun, bevor es ernst wird. Mir half dieser Teil des Buches enorm, im Nachgang zu verstehen, was da letztes Jahr passierte, als ich am Sterbebett meines Vaters stand. Ich glaube nicht, dass dieses Wissen irgendetwas einfacher gemacht hätte – ein Verständnis davon, wie sich Sterben vollzieht, hilft aber mit Sicherheit, die Situation des Sterbenden klarer wahrnehmen und ihr bzw. der/dem Sterbenden vielleicht besser (?) entsprechen zu können. Für die Wissenschaftlerin, und das ist vielleicht eine der Hauptbotschaften in Abschied von Hermine (und gar nicht so weit von der Geschichte in Marinanengraben entfernt), endet das Leben aber nicht mit dem Tod. Hier geht es gar nicht um Gott, das Jenseits oder das ewige Leben. Sondern um Fäulnis und Verwesung, die Jasmin Schreiber sehr detailliert und lebendig beschreibt. Was Bakterien, Schmeißfliegen, Käfer, Schnecken usw. mit einem toten Körper anstellen, gehört vielleicht nicht zu dem, was man gerne vor dem Mittagessen liest. Aber irgendwie liegt in dieser großen Tischgemeinschaft, die sich da zur Beerdigung einfindet, etwas Beruhigendes: wie da der Tod Grundlage neuen Lebens wird und der Leichnam zum Mittelpunkt pulsierenden Lebens, rückt das irgendwie die Perspektive gerade. Nein: so ganz normal ist das alles nicht. Daraus macht auch Jasmin Schreiber keinen Hehl. So einzigartig wie jedes Leben ist auch jedes Sterben. Und so fremd und undenkbar wie der Tod ist, so kann man sich weder optimal auf ihn vorbereiten noch auf Basis guter Ratschläge mit ihm und der eigenen Trauer fertig werden. All das will dieser schmale Band auch gar nicht (was ich, siehe oben, ehrlich gesagt auch ein wenig enttäuschend fand). Aber zu verstehen, wie Leben und Tod funktionieren, schafft es bei mir, die Angst in einem Maß kleinzuhalten, das ich kontrollieren und mit dem ich gut umgehen kann.

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.