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Rezension zu
Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau

Clarice Lispector muss gelesen werden!

Von: Buchberührung
02.05.2021

Es ist keine Lüge, dass in der Regel die ersten 20 Zeilen eines Textes darüber entscheiden, ob einem der Ton gefällt oder nicht. Denn es geht – wie im echten Leben – auch bei einer Geschichte immer um den Ton. Er bestimmt den Sound, die Vibration, und wenn Sie so wollen, den Herzschlag dessen, was nach außen dringt – er ist die Basis einer jeden Erzählung, die dafür sorgt, dass man hin- oder weghört. In diesem Fall reichten genau acht Zeilen: und ich hörte den Soundtrack meines Lebens. Ja, pathetisch und noch pathetischer, aber Spaß beiseite: und ich verliebte mich in Clarice Lispector. Denn ich konnte die Gewissheit nicht abschütteln, die weibliche Stimme jeder Kurzgeschichte dieses Bandes solle eine andere unglaubliche Figur sein, als jene auf dem Cover und den unzähligen Schwarz-Weiß-Fotografien, die ich bei der Lektüre unter „Clarice Lispector - Autorin“ nebenher googelte. Ich werde in dieser Kurzkritik deshalb die Trennung von Autor:in und Figur auflösen und für „den Text“ immer das „sie“ verwenden, weil ich nicht anders kann, und weil ich glaube, dass ich damit goldrichtig liege. Mit anderen Worten: Diese Kurzgeschichten, die unter dem fulminanten Titel „Tagtraum und Trunkenheit einer jungen Frau“ zusammengefasst sind, – und die an nichts weniger als an Emma Bovarys, Ingeborg Bachmanns und Sylvia Plaths Gefühlsodysseen erinnern – tragen eine Lebendigkeit in sich, die Fiktion und Realität so miteinander verwebt, das man nur eines glauben kann: Jemand, der das geschrieben hat, muss dies WIRKLICH erlebt, gefühlt und gedacht haben. Es geht nicht anders. Nun ja, manche/r würde hier sagen: die Kunst der literarischen Fiktion at its best. Ich halte mir die Ohren weiterhin zu, denn mir ist diese Wissenschaftlichkeit an dieser Stelle völlig egal. Ich will nicht analysieren, ich will bewegt werden. Und das werde ich hier ohne Unterlass. Hier geht es um Obsessionen, die Liebe, Melancholie – oh ja, ganz viel Melancholie. Da wird einem ganz mulmig, so tief geht das Gelesene in den Bauch und legt sich dort nieder. Was ich mit diesen schrägen, metaphorischen Umschreibungen sagen will, ist: Clarice Lispector ist eine Virtuosin in der literarischen Darstellung weiblicher Emotionen und der Suche nach: sich selbst, dem anderen, einer unbekannten Tiefe, einer weiteren und mehr Bedeutung, der Durchdringung von Oberflächlichkeiten. Dabei erinnert ihr textueller Detailreichtum an Joyce, das Literarische ihrer Erzählungen an Flaubert, und das unterhaltsam Düstere wie Faszinierende an Baudelaire. Wahnsinn – nicht nur diese verblüffende Ähnlichkeit, sondern auch die Themen ihrer Textarbeit, die allesamt um Erscheinungsformen des Wahnhaften, Entrückten und Ausbrüchen kreisen. Ganz gleich, wie man hier literaturgeschichtlich einzuordnen hat, man kommt immer wieder zum Ausgangspunkt der Analyse: Der Versuch dieser Einordnung begründet sich darin, dass die unglaublichen Texte von Lispector zweifelsohne in den Litertaur-Kader der ganz Großen Könner:innen gehört. Ich könnte ewig so weitermachen, so berauscht bin ich von dem, was sie über Obsessionen schreibt und Austritte aus einem Schein-Dasein, der sich Glück des Alltags, unzweifelhafte Zufriedenheit, Beständigkeit im Gesellschaftlichen und Konventionellen nennt. Liebe Leute, falls mein Funke noch nicht übergesprungen ist: lesen! Alle bitte lesen, die die Ur-Kraft der Literatur und Kunst, ihr Mediales, das uns ‚An-gehende‘ endlich, wieder, aufs Neue erfahren will. Danke für das Rezensionsexemplar, es war mir eine ganz große Ehre.

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