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Rezension zu
1984

George Orwell – Farm der Tiere und 1984 – Neuübersetzungen

Von: LiteraturReich
06.04.2021

Im vergangenen Jahr jährte sich der Todestag von George Orwell zum 70. Mal. Der 1903 im damaligen Britisch-Indien geborene Eric Arthur Blair, der hinter dem Schriftsteller-Pseudonym steckte, starb 1950 erst sechsundvierzigjährig an den Folgen einer Lungentuberklose in London. Neben seinen weltberühmten Werken Farm der Tiere und 1984, die nun nach Beendigung des Urheberschutzes in zahlreichen Neuauflagen und Neuübersetzungen in verschiedenen Verlagen erscheinen, verfasste George Orwell drei weitere Romane, Sozialreportagen, Autobiographisches und Essays. Ein Reread birgt im Allgemeinen so manche Gefahren. Meist sind es Herzensbücher, solche, die sich bei der Lektüre tief eingebrannt haben, die man ein zweites oder auch drittes Mal hervorholt. Oft bestehen sie den Test und die Leser:in ist genauso verzaubert wie beim ersten Mal, entdeckt vielleicht neue Aspekte, legt andere Schwerpunkte, erinnert die Zeit der Erstlektüre. Manchmal aber enttäuscht ein Buch beim Wiederlesen. Hin und wieder ist man fast entsetzt darüber, diesen Text einmal so gemocht zu haben. Bücher, mit denen man nicht wirklich warm geworden ist, haben es meist leichter. Zwar werden sie selten zu einem Reread, dann aber müssen sie keinen hohen Erwartungen oder trügerischen Erinnerungen standhalten. SCHULLEKTÜRE So erging es mir mit Orwells Weltbestsellern. Einst als Schullektüre (Animal Farm) bzw. in den frühen Achtzigern, als die verhasste Volkszählung vor der Tür stand, auf Englisch (dem mein Schulenglisch kaum gewachsen war) gelesen, hatte ich nur im Kopf, was alle, auch ohne die Texte wirklich gelesen zu haben, darüber wissen. Dazu kamen eher unerfreuliche Leseerfahrungen. Es waren vor allem die schönen Manesse-Ausgaben und das diffuse Gefühl, da etwas nachholen zu müssen, die mich erneut nach George Orwell greifen ließen. Die Parabel auf den Totalitarismus und die Überwachungsdystopie sind nicht nur seit über siebzig Jahren blendend verkaufte Stoffe – 1984 hat es während der Ära des Donald Trump sogar wieder in den Bestsellerlisten ganz nach oben geschafft -, sie fußen auch auf ganz persönliche Erfahrungen des Eric Arthur Blair. Am 25. Juni 1903 im zu Britisch-Indien gehörenden Motihari als Sohn eines Kolonialbeamten und der Tochter eines Teakholzhändlers geboren, reiste er bereits 1904 mit Mutter und älterer Schwester nach England, wo er nach einer Zeit auf dem Internat zur Eliteschule Eton zugelassen wurde. Ein Studium kam aus finanziellen Gründen nicht in Frage und so bewarb er sich bei der britischen Kolonialpolizei im damaligen Burma (heute Myanmar), wo er von 1922 bis 1927 mit wenig Freude diente. 1927 quittierte er den Dienst und lebte als freier Journalist und Autor mehr schlecht als recht. Auch einen Aufenthalt 1928 in Paris bestritt er in großer Armut. Über diese Zeit erschienen 1933 seine Aufzeichnungen „Down and out in Paris and London“. Erfahrungen, die ihn zum Sozialisten werden ließen. 1934 erschien sein kolonisationskritischer Roman „Tage in Burma“. DER SPANISCHE BÜRGERKRIEG 1936 ging er mit seiner frisch angetrauten Frau Eileen nach Spanien, um sich dem Kampf der republikanischen Truppen gegen die Faschisten anzuschließen. Eher zufällig landete er bei einer trotzkistischen Splittergruppe, die bald in den Radar der auch in Spanien immer mehr Macht erlangenden Stalinisten gerieten. Diese führten auch hier Säuberungen durch, denen Orwell nach einer Verwundung nur knapp durch Flucht nach England entging. PARABEL AUF DEN STALINISMUS Weiterhin bekennender Sozialist, war ihm fortan die Aufklärung über die hässliche Seite des Stalinismus eine Herzensangelegenheit. Von der gerade während des Krieges, als Russland als Verbündeter gegen Nazideutschland dringend gebraucht wurde, keiner hören wollte. 1943 verfasst, stieß seine Parabel über den Stalinismus, Farm der Tiere, auf Ablehnung, bis es schließlich von Secker & Warburg im August 1945 veröffentlicht wurde. 1984 Noch bekannter und im Kollektivgedächtnis präsent ist von George Orwell natürlich 1984, vielleicht der dystopische Roman überhaupt. Ein Zitat wie „Big Brother is watching you“ kennt fast jeder. Die Zukunftsvision einer jeden Privatraum und jede Gedankenregung ausspähenden, totalitären Regierung hatte in den 1980er Jahren eine ganz besondere Brisanz. Der heutzutage weitgehend sorglose Umgang mit privaten Daten, sei es im Internet oder auf Social Media, war noch undenkbar, da die technischen Möglichkeiten fehlten. Die große Volkszählung in der BRD konnte 1981 durch massiven Widerstand eines großen Teils der Bevölkerung verhindert werden. Big Brother war ein häufig verwendetes Menetekel. (1987 wurde sie dann doch durchgeführt) Die Amtszeit von US-Präsident Trump brachte dann noch einen anderen Aspekt des Romans in den Fokus der Wahrnehmung. Mit „Neusprech“ und einer von der Regierung etablierten alternativen Wahrheit hatte schon Winston Smith, der Protagonist in 1984, zu kämpfen. Sprache wurde zum Machtinstrument, zum Manipulierungsmittel, heute nennen wir es „Fake News“. Es steckt also eine Menge aktueller Brisanz in George Orwells 1949 unter dem Eindruck von Faschismus und Stalinismus entstandener Dystopie. Dennoch konnte mich der Roman nicht so erreichen wie Farm der Tiere. AKTUALITÄT Das lag zum einen an der Hauptfigur Winston Smith, dessen misogyne Art mir zu schaffen machte. Seine Geliebte Julia nennt er tatsächlich „Rebellin von der Taille abwärts“ (Was diese natürlich herrlich amüsant findet). Weswegen die beiden nun gegen das Regime von Big Brother und seine Zweiteilung der Menschen in Mitglieder der Partei unterschiedlichen Rangs und die „Prolos“, die in großem Elend, aber einer gewissen Freiheit leben, revoltieren, erschließt sich mir auch bei der Wieder-Lektüre nicht ganz. Die Gewalt- und Folterszenen fand ich relativ abstoßend. Die dumpf vor sich hinlebenden „Prolos“, die für schmalzige Liebeslieder schwärmen und sich im permanenten Krieg, mit dem die drei Weltmächte Ozeanien, Eurasien und Südostasien sich wechselseitig überziehen, eingerichtet haben, sind arg platt dargestellt. Aber natürlich enthält 1984 auch überraschende Klarsicht, tiefe Erkenntnisse und vor allem visionäre Kraft, die auch mehr als siebzig Jahre nach dem Entstehen sehr beeindrucken. Die damals kaum vorhersehbaren heutigen Überwachungsmöglichkeiten, Fake News, Spaltung der Gesellschaft, Doppeldenk und alternative Wahrheiten – das beschäftigt uns auch heute. Damit bleibt es das Buch, an dem sich sämtliche Dystopien messen lassen müssen. Eine Wiederlektüre lohnt sich auf jeden Fall. Die Neuübersetzung von Gisbert Haefs ist moderat modernisiert und gut lesbar. Ein Nachwort von Mirko Bonné ist beigefügt. Beide Neuübersetzungen von George Orwell – Farm der Tiere und 1984 – sind sehr schön gestaltet und rundum empfehlenswert.

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