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Rezension zu
Die Verlorenen: Eine Suche nach sechs von sechs Millionen

Daniel Mendelsohn: Die Verlorenen

Von: Esthers Bücher
22.02.2021

Als kleiner Junge brachte Daniel Mendelsohn seine älteren Verwandte immer wieder zum Weinen. Nicht mit schlechtem Benehmen, alleine mit seinem Erscheinen im Kreise der Familie. Irgendwann kam er dahinter, dass er seinem Großonkel Shmiel sehr ähnlich sah. Über Shmiel wurde in der Familie, zumindest vor den Kindern nicht viel geredet. Es hieß immer nur, dass er und seine Familie von den Nazis ermordet wurden. Daniel Mendelsohns Großvater, Shmiels Bruder erzählte zwar gut und gerne Geschichten, doch auch er umschiffte immer wieder dieses Thema. Doch das Interesse des jungen Daniels war geweckt und er versuchte immer wieder weitere Details aus seinem Großvater herauszubekommen, mit wenig Erfolg. Als dieser dann starb, tauchten Briefe von Shmiel aus seinem Nachlass auf, die alles veränderten. Der nunmehr erwachsene Daniel Mendelsohn nahm daraufhin erneut die Suche nach seinem Großonkel und dessen Familie auf. Denn die Aussage „von den Nazis ermordet“ reichte ihm nicht, er wollte mehr wissen. Dieses Buch ist die Geschichte seiner Suche nach sechs verlorenen Familienmitgliedern. Als er mit seiner Suche im Jahr 2000 anfing, war es gewissermaßen bereits zu spät, oder fast zu spät. Die engsten Familienmitglieder, die Shmiel gut kannten und seine Geschichte hätten erzählen können, waren tot. Es wurde zu einem Wettlauf mit der Zeit, Menschen aufzuspüren, die sich an diese sechs noch erinnern konnten und auch gesundheitlich in der Lage waren, ihre Erinnerungen mitzuteilen. Bolechow ist eine Kleinstadt, die beispielhaft für viele Orte in Osteuropa stehen kann. Ihre geopolitische Zugehörigkeit änderte sich über die Jahrhunderte ständig. Mal gehörte sie zu Österreich-Ungarn, mal zur Sowjetunion, zu Polen und dann zur Ukraine. Im Zweiten Weltkrieg wurde die Stadt zunächst von der Sowjetunion besetzt, dann von Deutschland annektiert. Nach der deutschen Besetzung, nach dem Krieg, waren von den etwa 6000 Juden in der Stadt nur noch 48 übrig. In dieser Stadt lebte einst Shmiel mit seiner Familie. Heute heißt die Stadt Bolechiw und ist teil der Ukraine. Die Suche führt Daniel Mendelsohn zunächst deshalb in die Ukraine, er will die Stadt sehen, aus der seine Familie stammt. Doch ohne die richtige Vorbereitung bringt ihm diese Reise nicht viel. Im Ort leben kaum noch Zeitzeugen, und die Erinnerungen dieser sagen Mendelsohn wenig, sind bloß nur winzige Teile eines Puzzles, das er sich an diesem Punkt noch nicht einmal vorstellen kann. Später lernt er immer mehr Überlebende kennen und seine Nachforschungen bringen in nach Australien, Schweden, Dänemark und Israel. Denn es gibt Überlebende, die ihm von Bolechow erzählen können und die sich an die Familie Jäger erinnern. Langsam erfährt er immer mehr über Shmiel, seine Frau und ihre vier Töchter. Das Familienfoto, das ihm Personen zeigte, die er zunächst nicht einordnen konnte, wird immer klarer, die Gesichter erhalten Namen. Seine Gespräche mit Überlebenden handeln nicht immer nur von seiner eigenen Familie, die einstigen Bolechower erzählen auch ihre eigenen Geschichten. Diese sind aber teilweise bis heute so traumatisch, dass sie nicht bereit sind, diese der Öffentlichkeit mitzuteilen. Mendelsohn hört ihnen zu, auch wenn er weiß, dass er diese Geschichten nicht für sein Buch verwenden können wird. Er, der nie religiös war, wir durch die Suche und die Menschen und Geschichten, die er kennenlernt, teil von einer Gemeinschaft, die letztendlich durch die gemeinsame Religion verbunden ist. Er nimmt die Tora in die Hand und liest zum ersten Mal darin und fügt auch diese Erfahrung in sein Buch ein. Was sich zunächst als fremdes Element anfühlt, gewinnt immer mehr Relevanz. Die Schöpfungsgeschichte, der Verrat zwischen Brüdern und vielleicht allen voran Noahs Geschichte fügen sich nahtlos in die grausame Geschichte des 20. Jahrhunderts ein. Daniel Mendelsohn wollte mehr darüber erfahren, wie seine verlorenen Familienmitglieder gestorben sind. Durch die Gespräche erkennt er, dass es viel wichtiger ist zu wissen, wie diese Menschen gelebt haben, wie ihr Alltag ausgesehen hat. Erst als er darüber mehr erfährt, werden die Verlorenen wieder lebendiger Teil seiner und unserer Geschichte. Mir hat dieses Buch so viel mehr gegeben, als ich mir hätte vorstellen können, und lässt mich einfach nicht mehr los. An dieser Stelle kann ich es jedem nur zum Lesen empfehlen.

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