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Rezension zu
Boardwalk Empire

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Nuckys Imperium

Von: Michael Seiler aus Leipzig
23.05.2015

Dass HBOs kürzlich abgeschlossene Gangster-Serie auf einer Buchvorlage basiert war mir neu. Umso gespannter war ich, dieses von Nelson Johnson verfasste Sachbuch (!) in die Hände zu bekommen, das die Hintergründe des Aufstiegs und (Ver)Falls der Urlaubs- und Glücksspielmetropole Atlantic City behandelt. Der Autor ist hauptberuflich als Anwalt und Richter in dieser Gegend tätig, was ihm tiefe Einblicke in die Politik und Geschichte der Stadt ermöglichte. Unter anderem durch zahlreiche zum Teil über Jahrzehnte hinweg immer wieder geführte Interviews mit Zeitzeugen und deren Nachfahren zeichnet Johnson ein umfassendes Bild der Metropole mit der vielleicht turbulentesten Geschichte des amerikanischen Nordens. Nach einem knappen Vorwort des Serienschöpfers von "Boardwalk Empire" Terence Winter, welches durchaus unterhaltsam seine persönliche Verbindung zu Atlantic City erklärt, beginnt Johnson seine Chronik. Es war der verrückt anmutende Wunschtraum des Landarztes John Pitney, aus der sandigen Insel an der Atlantikküste ein anspruchsvollen Urlaubs- und Erholungsort zu machen. Zahlreiche Widerstände, Boykottversuche, Pleiten, Naturereignisse und politische Schachzüge später nimmt die Stadt langsam Gestalt an. Vom Seebad für Familien aller Schichten mutiert die Siedlung bald zu einem bunten Vergnügungspark in Stadtgröße, der bald auch zwielichtige Gewerbearten wie Glücksspiel, Prostitution und Drogenhandel anzieht. Vor allem während der Prohibition zwischen den beiden Weltkriegen blüht das organisierte Verbrechen, das jedoch die meiste Zeit keine ernsthaften Konsequenzen zu befürchten hat. Grund dafür ist der offizielle Schutz durch die "Bosse" der Stadt, die sich als Bürgermeister von (un)freiwillig motivierten Wählern auf eigenen Entschluss ins Amt befördern lassen und dabei meist solange dort bleiben, wie sie es wünschen. Ihnen unterstehen damit Polizei, Gewerbeaufsicht und die Vergabe von Anstellungen aller Art, was in der Folge reichlich ausgenutzt wird. Sogar die Eisverkäufer sind zu dieser Zeit in einem eigenen Kartell organisiert. Einer der berüchtigsten Stadtchefs war Enoch "Nucky" Johnson, das Vorbild für den Charakter des Nucky Thompson aus der Serie. Unter seiner Herrschaft wurde Atlantic City zu einer modernen Legende. Johnson, sein Vorgänger Louis "Commodore" Kuehnle und auch manche Nachfolger sind den Überlieferungen zufolge aber durchaus ambivalente Charaktere, die nicht nur das Klischee das vollständig korrupten Politikers erfüllen, sondern sich auch für sozial benachteiligte Familien und die reichlich vertretenen schwarzen Arbeiter einsetzten, ohne die die Stadt nie so weit gekommen wäre. Dass das so gut wie nie ohne Hintergedanken geschah liegt auf der Hand, doch irgendwie kann man einen Teil der Motive durchaus nachvollziehen. Jeder von ihnen tat, was immer er für das Beste der Stadt hielt und war damit teilweise sehr erfolgreich. Teilweise? Ja, Schattenseiten, rechtliche Probleme und Angriffe von außen blieben nicht aus, aber das sollte man selbst lesen. Einem von einem Juristen verfassten Sachbuch mag mitunter das Vorurteil der Trockenheit anhängen. Nelson Johnson hat so etwas nicht nötig. Viele Kapitel lassen sich sehr gut lesen, da sie oft wie ein Roman mit einer anschaulich beschriebenen Szene beginnen, die entweder historisch genau so oder wenigstens ähnlich belegt ist. Der Autor stellt zudem zahlreiche Persönlichkeiten aus der Geschichte von Atlantic City vor, die man zumindest in der ersten Hälfte noch gut zuordnen und auseinanderhalten kann. Danach kann man mitunter durcheinander kommen, vor allem wenn plötzlich eine Verbindung zu einem früheren Ereignis aufgebaut wird, das man schon fast vergessen hat. Für ein Sachbuch bleibt "Boardwalk Empire" aber dennoch leicht und verständlich zu lesen, wird fast nie langweilig und hat durchaus auch das Potenzial, den interessierten Leser üner weite Strecken zu unterhalten. Über einige winzige typografische Schnitzer, wie ausgelassene Buchstaben an Wortenden und eine fehlende Seitenzahl, kann man getrost hinwegsehen. Als Zugabe gibt es zwei Bildteile mit historischen Aufnahmen aus der Geschichte Atlantic Citys und Szenenfotos aus der Serie. Allerdings sollte man sich von letzterem nicht blenden lassen, denn die Geschichte von Nucky Johnson nimmt nicht einmal ein Viertel des Buches ein. Wie intensiv und ausführlich Nelson Johnson dieses Thema recherchiert und analysiert hat, wird in den umfangreichen Quellenverweisen und -anmerkungen deutlich und schließlich auch im Nachwort. Dort vergegenwärtigt Johnson die aktuelle Lage "seiner" Stadt und gibt sogar eine Aussicht, wie die Zukunft aussehen könnte, denn "Tatsächlich muss in Atlantic City noch sehr viel passieren."

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