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Rezension zu
Mit dem Wind

Der Weg des Windes führt fort von der Zivilisation

Von: Ben Vart
08.07.2020

Nick Hunt war sechs, als der Sturm auf Ynys Enlli seinen Mantel blähte und ihn ein Stück weit in die Luft hob. So beginnt Hunt sein Buch "Mit dem Wind", und so begann für Hunt die Suche nach den Winden. Es war nicht die wissenschaftliche Suche eines Meteorologen. Oder die von jemanden, der sie für sich nutzbar machen wollte. Als Segelflieger etwa oder Windsurfer oder Drachenflieger. Vielmehr war es das Interesse des Forschers. Und wie Roald Amundsen und Robert Scott zu Fuß und nur mit Schlittenhunden den Wettkampf ausfochten, wer als erster den Südpol erreicht oder Henry Morton Stanley den afrikanischen Regenwald auf der Suche nach David Livingstone durchquerte, machte sich auch Nick Hunt zu Fuß mit Rucksack und Zelt auf den Weg, um in den Pennines im Norden Englands, den "Helm" zu finden; den einzigen Wind, der in England einen Namen hat. In Mittel- und Südeuropa weht der kalte Mistral in Frankreich, der warme Föhn in den Alpen und die Bora auf dem Balkan, deren Namen  verknüpft sind mit einer Geschichte, die so lang ist wie es die Menschheit gibt. Winde, die Menschen prägen, Kulturen beeinflussten, Landschaften schufen und Kriege entschieden. Und auf den Spuren der Winde reist Nick Hunt zu den Menschen und deren Geschichte in den jeweiligen Regionen, in denen die Winde heimisch sind. Die Uskoken, ein seeräuberisches Volk, das sich im frühen 16. Jahrhundert im Schatten der osmanischen Eroberungszüge im nördlichen Balkan angesiedelt hatte, nutzte vor vierhundert Jahren die Bora, um die Schiffe der Venezianer davon abzuhalten, an ihren Gestaden zu landen. Und zwei, drei Eigenschaften hat die Bora zum Beispiel mit den französischen Mistral gemeinsam:  Sie ist ein heftiger kalter Wind, sie bläst ablandig - als vom Land weg hinaus aufs Meer - und ihr wird nachgesagt, immer eine bestimmte Anzahl von Tagen zu wehen. Während die Bora entweder einen, drei, fünf oder sieben Tage weht, sagt man vom Mistral er wehe einen, drei, sechs oder neun Tage. Die Einheimischen müssen es wissen. Der Föhn (nicht zu verwechseln mit dem elektrischen Gerät, das warme Luft künstlich erzeugt - dem Fön) trägt Unwohlsein und Feuer in sich. Schon Hermann Hesse befasste sich mit dem Föhn als er in der Schweiz lebte. Dem Föhn wird nachgesagt, notiert Hunt, er sei der Grund für Migräneanfälle, Angstzustände, Depressionen bis hin zu Suiziden. Und er trage bei zu verheerenden Feuerbrünsten - und tatsächlich findet Hunt auf seinem Weg durch die Schweiz, immer dem Föhn nach, Beispiele von flammender Zerstörung, bei der der Föhn eine wenig ehrenvolle Rolle gespielt haben soll. So wurde das Schweizer Dorf Heiden im Kanton Appenzell am 7. September 1838 fast vollständig von einem Feuer zerstört, das von einem Föhnsturm begünstigt wurde. 129 Gebäude samt der Kirche im Dorfkern und den nördlichen Gemeindeteilen brannten nieder. Innerhalb von zwei Jahren bauten die Bewohner ihr Dorf wieder auf. Heute ist der Ort ein mondäner Erholungsort. Und auch die Herkunft des Wortes Föhn könnte sich durchaus von Feuer ableiten, schreibt Hunt. Es gebe zwei Theorien über die Herkunft. Eine davon lautet, es entstammt dem mittelalterlichen "fôn" (Feuer). Die zweite, der Begriff könne göttlicher Abstammung sein, nämlich vom althochdeutsche "Fönno". Dieser Begriff seinerseits habe seinen Ursprung bei "Favonius", dem römischen Gott des Westwindes. Genährt wird diese These dadurch, dass im italienischsprachigen Tessin noch heute der Fön als "Favonio" bezeichnet wird. Die "Financial Times" habe Nick Hunts Buch, das im Original den Titel "Where the Wild Winds Are" heißt, als "mitreißend und unterhaltsam" bezeichnet, heißt es auf dem Buchrücken. Ich möchte ein Stück weitergehen und es als "mitreisend und unterhaltsam"  bezeichnen. Denn Hunt und mit ihm sein Übersetzer Leon Mengden, schufen ein Buch, das die Landschaften, die Hunt durchwandert, die Menschen, mit denen er spricht, die Geschichten, die er erzählt, die den Leser mitnimmt auf eine phantastischen Exkursion und dabei im Kopf wunderbare, phantastische, abenteuerliche Bilder entwickelt. Hunt gelingt es, einer Kunst frischen Wind einzublasen, die lange Zeit vergessen schien: Der Reiseschriftstellerei, die den Autor und mit ihm den Leser entführt in Bereiche, in denen die Natur auch den Menschen beherrscht. Oder, wie Hunt es ausdrückt: "Der Weg des Windes führt fort von der Zivilisation."

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