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Rezension zu
Undercover

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Hochspannender Einblick in eine Schattenwelt

Von: Michael Sterzik
30.05.2020

Wir alle erinnern uns an den fürchterlichen, terroristischen Anschlag in Berlin am 19.12.2016. Der tunesische, radikalisierte Terrorist Anis Amri fuhr mit einem gestohlenen LKW direkt in den Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche in Berlin. 12 Menschen starben, über 55 weitere Besucher wurden zum Teil schwer verletzt. Der Attentäter floh zu Fuß, wurde aber wenig später in Italien bei einer Ausweiskontrolle von zwei Beamten erschossen, da Anis Amri sofort zu seiner Waffe gegriffen habe, mit der auch den polnischen Fahrer des gestohlenen LKWs getötet hat. Kapitel und Fall abgeschlossen!? So einfach ist es nicht – ganz und gar nicht. Ein V-Mann der Kriminalpolizei in Nordrhein-Westfalen warnte das LKA schon ein Jahr vor dem Anschlag in Berlin vor Anis Amri. Er beschwor und warnte die Beamten, dass dieser Hochgefährlich sei und schlug vor, ihn vorzeitig bei einem fingierten Waffenkauf zu verhaften. Diese Warnungen wurden nicht ernst genommen – vielleicht von seinen Führungsagenten, nicht aber vom LKA, oder dem Innenministerium. Das LKA zieht den V-Mann Murat Cem aus der Salafistenszene ab und verfrachtet ihn und seine Familie in ein Zeugenschutzprogramm. Er gilt als sehr gefährdet – es gibt einen Tötungsaufruf. Als V-Mann ist er vielleicht nun für immer „verbrannt“. Dies ist seine persönliche Geschichte. Murat Cem ist der Deckname – VP01 heißt er in den Akten. Als türkischer „James Bond“ ermittelte er verdeckt für die Kriminalpolizei. Ihm ist es zu verdanken, dass viele Mörder, Dealer, Diebe und schließlich auch idealisierte, islamische Terroristen aus dem Verkehr gezogen wurden. Die Spiegel-Reporter erzählen in dem vorliegenden Band seine „Lebensgeschichte“. Der V-Mann Murat Cem wächst im Ruhrgebiet auf. Schon als Kind und Jugendlicher wird er mit Verbrechen konfrontiert. Seine Umgebung ist ein kleiner Kosmos von türkischen Familien - durchsetzt von Drogen- und Waffenhandel, von täglicher Gewalt und Straßenkämpfen. Ende der 90er Jahre wird er als Dealer beim Drogenschmuggel verhaftet und vor die Wahl gestellt – Gefängnis – oder verdeckter Ermittler. Er ist hochtalentiert, kann sich gut auf andere Menschen einstellen, ist erfindungsreich, wortgewandt und sensibel. Er überredet, manipuliert, hinterfragt seine Zielpersonen und wird so zum erfolgreichsten Polizeispitzel der deutschen Kriminalgeschichte. Murat Cem genießt seinen „Job“ und geht völlig in ihm auf, er wird zum Adrenalin-Junkie, er braucht den Nervenkitzel und den lebensgefährlichen Tanz auf dem Vulkan. Ein Fehler könnte seinen Tod bedeuten – dass weiß er. Seine Kalkulation geht auf, auch wenn er manches Mal Kopf und Kragen riskiert. Eine Anerkennung bekommt er von seinen Führungsagenten, auch Geld – letzteres ist ihm nicht wichtig – was zählt ist der „Kick“. Von seiner „Arbeit“ weiß seine Frau nichts, sie ahnt etwas, aber äußert sich nicht. Seine „Erfolge“ werden zwar in den Nachrichten thematisiert – aber als V-Mann ist er eine Person, die immer im Schatten steht. Nahezu 60 Einsätze gehen auf sein Konto, dass in 17 Jahren als V-Mann. Das Buch bezieht sich auf den persönlichen Schilderungen von Murat Cem. Die Autoren vom Spiegel – haben aber durch die Recherche von Justizakten und Gesprächen, den Wahrheitsgehalt geprüft. Murat Cem ist kein Engel – er hat mehrere Vorstrafen, er ist ein Krimineller, aber einer mit Herz und Verstand. Er hatte die unterschiedlichsten Jobs, nie lange Zeit – seine Berufung ist die eines professionellen, verdeckten Ermittlers. Tragisch ist – dass er von verschiedenen Polizeibehörden und auch dem Innenministerium fallen gelassen worden ist. Er ist depressiv, die Bilder des Anschlages auf den Berliner Weihnachtsmarkt werden ihn immer begleiten. Er hatte gewarnt – seine „Schuld“ wird er nicht los, es lässt ihn nicht los, der Job besonders der in Salafistenszene hat ihn körperlich und geistig über seine Grenzen verbrannt. Noch immer im „Fegefeuer“ stehend versucht er wieder Anschluss zu finden – er will wieder ermitteln. Er darf „noch“ nicht. Doch sein Kapitel ist noch nicht gänzlich beendet. Vielleicht sagt er vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags aus – das könnte unangenehm werden, besonders für das LKA und das Innenministerium. „Undercover – ein V-Mann packt aus“ ist ein brisanter Titel, der auch hoch spannend ist. „True Crime“ in seiner reinsten Form. Informativ – bewegend – und eine indirekte Anklage, dass man V-Männer, die ihr Leben riskieren um andere zu schützen zu retten, nicht einfach nackt im Regen stehen lassen sollte. Gerade dieser Aspekt – die soziale, menschliche Verantwortung ist ein direkter Laserpointer auf das Gewissen der Polizei- und Justizbehörden. Fazit Pageturner – der manchen Thriller und Krimi der Belletristik einäschert. Spannende Unterhaltung – Authentizität ist hier das Zauberwort – dass den Leser in eine Zelle mit dem „Gewissen eines V-Mannes“ einsperrt und flugs den Schlüssel wegwirft. Murat Cem – verdient ein solches, gegenwärtiges Schicksal nicht. Er hat Leben gerettet – Mörder überführt, Drogen und Waffen aus dem Verkehr gezogen, die viele Leben zerstört hätten. Als V-Mann ein Täter und Opfer in einer Person. Er ist „Türke“ aber in seinem „Herzen“ Deutscher – eigentlich nicht wichtig – viel wichtiger ist, dass er als Mensch in Stich gelassen wird. Dieser Aspekt verärgert, wirft Fragen auf, lässt Misstrauen gegenüber den Instanzen zu, die uns eigentlich schützen sollen. Lesen Sie diesen Titel – vielleicht werden sie sehen das Justizia zwar nicht blind ist – aber durchaus ein fieses Miststück sein kann. Michael Sterzik

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