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Rezension zu
Für immer die Alpen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Aus dem Leben eines Datendiebs

Von: Buchfundbüro
18.05.2020

Mit „Für immer die Alpen“ hat Benjamin Quaderer einen temporeichen Schelmenroman vorgelegt, der nicht nur einmal um die ganze Welt, sondern auch hinter die Kulissen des Liechtensteiner Bankenwesens führt. Überaus unterhaltsam und mit viel Spaß am Formexperiment lässt Quaderer hier einen wortgewandten Kleinbetrüger davon erzählen, wie er zum international gesuchten Datendieb wurde – und damit einen der wohl größten Steuerskandale der europäischen Geschichte aufdeckte. Als Johann Kaiser im Frühjahr 1965 im Fürstentum Liechtenstein das Licht der Welt erblickt, zeigt sich diese dem Neugeborenen nicht gerade von ihrer besten Seite. Das Verhältnis zum Vater ist vom ersten Tag an gestört, die beiden älteren Schwestern heißen das neue Familienmitglied willkommen, indem sie es heimlich mit einem Kissen zu ersticken versuchen. Auch die Ehe der Eltern steht von Beginn an auf wackligen Füßen und als die Mutter nach einem Streit mit dem Vater spurlos verschwindet, landet der siebenjährige Johann kurzerhand im Waisenhaus. Was wie der Anfang vom Ende klingt, ist jedoch nur der Auftakt zu einer Biografie voller abenteuerlicher Wendungen. Schon früh reiht sich so im Leben des Johann Kaiser eine unerhörte Begebenheit an die nächste – sei es durch folgenschwere Zufallsbegegnungen oder weil Johann selbst dem Schicksal mit eigenem Erfindungsreichtum etwas auf die Sprünge hilft. Auf der Suche nach seiner verschollenen Mutter findet sich der mittellose Teenager so plötzlich in einem spanischen Eliteinternat wieder, wo er – unter falschem Namen – erstmals Kontakte in die Welt des Wohlstands knüpft. Wie sich zu einem späteren Zeitpunkt zeigt, wird dieses Spiel mit den Identitäten für den erwachsenen Johann noch fatale Folgen haben. Zunächst jedoch scheint das Leben ihn für seinen missglückten Start entlohnen zu wollen: Mehr als einmal gelingt es Johann, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein und so das Beste aus den Möglichkeiten heraus zu holen, die sich ihm bieten. Fast beiläufig wird Johanns Weg dabei immer wieder von Persönlichkeiten gekreuzt, die innerhalb des Romans zwar namenlos bleiben, aber dennoch unschwer realen historischen Persönlichkeiten zuzuordnen sind: Kurze Gastauftritte haben im Roman so etwa Bergsteigerlegende Heinrich Harrer oder aber auch Schriftsteller Roberto Bolaño. Mehr als eine Nebenrolle übernimmt wiederum Liechtensteins Fürstin Gina, die seit seinen Tagen im Waisenhaus für Johann die Funktion einer Art Ersatzmutter übernimmt. Umso tragischer, dass es ausgerechnet Ginas Sohn Hans Adam ist, der den Protagonisten Jahre später offiziell zum Staatsfeind Nr. 1 ernennen wird. Wie aber konnte es dazu kommen? Genau dies sucht der Roman Schritt für Schritt zu rekonstruieren. Kaiser selbst tritt dabei als Icherzähler auf, der sich nach eigenem Bekunden einzig der Wahrheit und nichts als der Wahrheit verpflichtet sieht. So detailgetreu und aufrichtig wie möglich sucht er in seinem Bericht die einschneidenden Stationen seines ungewöhnlichen Lebens zu rekapitulieren, das ihn hin und her geworfen hat „wie eine Kugel in einem Flipperautomaten“. Da ist von illegalen Immobiliengeschäften die Rede, von Gefangenschaft und Folter in Argentinien, von einem internationalen Haftbefehl und schließlich vom Diebstahl geheimer Bankdaten – der ein monatelanges Katz-und-Maus-Spiel mit der Liechtensteiner Regierung in Gang setzt, das für Kaiser schließlich im Zeugenschutzprogramm des BKA endet. Je stärker er jedoch die Authentizität des Geschilderten zu betonen sucht, desto fragwürdiger erscheint, wie genau er es wirklich mit seiner vorgeblichen Faktentreue nimmt. Das Fantastischste an Quaderers Roman ist dabei wohl allerdings, dass es sich bei der hier erzählten Geschichte keineswegs um ein reines literarisches Fantasieprodukt handelt. Im Gegenteil besitzt die Figur des Datendiebs Johann Kaiser ein sehr reales Vorbild: So sorgte der Liechtensteiner Bankmitarbeiter Heinrich Kieber im Jahr 2008 für internationales Aufsehen, als dieser geheime Bankdaten vermeintlicher Steuerhinterzieher an den Bundesnachrichtendienst verkaufte und dafür knapp 5 Millionen Euro erhielt. Auch wenn das Thema Steuerhinterziehung auf den ersten Blick keine besonders amüsante Lektüre verspricht: Quaderer legt mit seinem Debüt einen ebenso temporeichen wie leichtfüßigen Roman vor, der in jeder Hinsicht großen Spaß macht. Das ist nicht zuletzt auch seinem spielerischen Umgang mit der Form zu verdanken. Egal ob großzügig angesetzte Schwärzungen im Text, wortwörtliche Parallelerzählungen oder geradezu absurd lange Fußnoten: Langweilig wird es in „Für immer die Alpen“ nie. Und ob es sich bei seinem Protagonisten am Ende nun eher um einen naiv-versponnenen Antihelden mit einem dehnbaren Verständnis von Wahrheit handelt oder eben doch um einen gewieften Hochstapler mit erheblicher krimineller Energie – dies zu bewerten überlasst Quaderer ganz seinen Lesern.

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