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Rezension zu
HERKUNFT

Politisch, persönlich, grandios: Ein Buch fürs Heute. Fürs Jetzt.

Von: Buchberührung
16.03.2020

Es gab eine Zeit, da war das Wort „Migrationsliteratur“ in aller Munde. Ich selbst hatte damals sogar eine einjährige Lesereihe dazu veranstaltet, denn die Gesellschaft sehnte sich zu diesem Zeitpunkt nach dem Verstehen des Anderen, nach einer ernsten Annäherung an das, was einem Fremd war, aber nicht fremd bleiben sollte. Die öffentlichen Diskussionen, die hier entstanden, erreichten ziemlich bald ihren Höhepunkt – nämlich mit etlichen AutorInnen, die sich endlich berufen sahen, mit Erzählungen zu Wort zu kommen, die vom Ursprung, von Abstammung und allen dazugehörenden Gefühlen berichteten –, sodass ich nur noch zusammenfassend sagen konnte: Das Feld der Migrationsliteratur ist „abgegrast“. Immerzu ging es um das Nicht-Gänzlich-Angekommen-Sein, um Darstellungen emotionalen Changierens, um Identitätskrisen und –Findungen, um wichtig bis lapidar witzige Geschichten darüber, was es bedeutet, irgendwo noch-auf-der-Suche zu sein und um das, was man erlebt hatte und nun verarbeiten musste. Ich muss gestehen, ich war schwer genervt davon. Denn es waren identische Erzählungen (ok, MigrantInnen fühlen ziemlich ähnlich), die literarisch gesehen kaum voneinander abzugrenzen zu sein schienen. Und dann verkündete auch noch Feridun Zaimoglu, er wolle nicht mehr unter dem Titel „Migrationsliteratur“ lesen. Er tat alles richtig. Dann kam Saša Stanišić. Und lehrte uns, wie über den Begriff der „Herkunft“ zu sprechen sei, wie es sich wirklich anfühle, etwas in Worte zu fassen, das vollends kaum zu verstehen war. Saša Stanišić hatte früh begriffen, dass Literatur kein Ort einfacher Darstellung von Sachverhalten und Themen war, sondern ein Instrument der Analyse, ein Analogon von Gedankenprozessen. Literatur war die Möglichkeit der Ordnung eines realen Chaos’, war zugleich Raum für Verwirrung und Entwirrung, war Beichtstuhl und politisches Werkzeug. Literatur erwies sich für Stanišić als Tagebuchführung, als begrenzter Einblick in eine Seele. Mein Gott – ja, ich kippe hier ins unprofessionell Emotionale –, selten war eine Geschichte so berührend und schmerzlich, so glasklar und wirr, so ehrlich und friedensstiftend wie Saša Stanišićs „Herkunft“. Ihm ist gelungen, was viele Schreiberlinge nicht begriffen haben und die Literaturwissenschaft mit Vehemenz zu lehren sucht: Inhalt und Form ineinander zu bringen. Hier ist pure Konstruktion offengelegt zugunsten der Projektion eines persönlichen Wahrnehmungsvorgangs. Anders gesagt: Die Bestimmung von Herkunft beruht bei Stanišić auf demselben Puzzle-Prinzip wie die Wahrnehmung von Leben, Realität und Erinnerung. Es ist ein Spiel mit Phantasien, eine Auseinandersetzung mit Gefühlen, ein fortlaufendes Unterfangen desjenigen, der wissen will, woher man kommt und was Leben alles sein kann. Stanišić ist ein Meisterwerk geglückt, gar keine Frage. Eine solche tiefgründige Verschwisterung mit Kunst hat es bisher nur selten gegeben. Ehrenwort! „Mein Widerstreben richtete sich gegen die Fetischisierung von Herkunft“, schreibt Stanišić, „und gegen das Phantasma nationaler Identität. Ich war für das Dazugehören. Überall, wo man mich haben und wo ich sein wollte. Kleinsten gemeinsamen Nenner finden, genügte.“ Bestimmte Worte für eine ganz bestimmte Zeit: das Jetzt.

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