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Rezension zu
Das Bücherhaus

„Verletztlich – ein bisschen wie das Leben selbst“

Von: Ben Vart
11.02.2020

„Das Bücherhaus“ ist keine Liebesgeschichte, aber eine Geschichte der Liebe. Der zu Büchern, der zur Philosophie und zu den Philosophen und, nicht zuletzt, auch eine zu den Menschen. Und wie die Liebe oft verschlungene Wege geht, führt auch Kaag seine Leser mäandernd durch seine Geschichte. „Seine“ Geschichte meint das, was es sagt: Es ist auch ein Stückweit die Biografie des inzwischen 41 Jahre alten Professors für Philosophie an der University of Massachusetts. Derzeit gilt er als einer der spannendsten jungen Philosophen der USA. 2016 erschien „American Philosophy: A Love Story“ (deutsch: "Das Bücherhaus"), das durchaus als eine Hommage an die Entwicklung der Philosophie von frühan verstanden werden darf. Eine Statue des Laokoon bringt Kaag zu der Erkenntnis, dass Ehrlichkeit häufig mit Schmerz und Qual verbunden ist. Der Trojanische Seher, der seine Mitbürger vor dem Danaer-Geschenk des Trojanischen Pferdes warnte und damit den Zorn Apolls erregte, wurde für die Verkündung der Wahrheit bestraft. Apoll schickte zwei Seeschlangen, die Laokoons Söhne vor den Augen des Vaters ins Wasser zerrten und töteten bevor dann der Vater selbst stirbt: „Das geschieht mit Menschen, die das Pech haben, schmerzhaft ehrlich zu sein“, sagt Kaag. Und angesichts seiner zunehmend darnieder gehenden Ehe und dem Beispiel des hingemetzelten Laokoons vor Augen, stellt er fest: „Mein jüngstes Experiment mit der Ehrlichkeit war ziemlich brutal ausgegangen.“ Um zu konstatieren: „Vielleicht war es besser, nicht ganz so ehrlich und am Leben zu sein als selbstgerecht und tot.“ Seine Wahrheit beruhte darin, dass er die jahrelangen Zweifel an seiner Ehe seiner Frau gestand, sich trennte und scheiden ließ. Und ein schlechtes Gewissen hatte, denn auch sein Vater hatte die Familie verlassen und war ihm nie ein guter Vater gewesen. Als er schließlich an dessen Sterbebett stand und hoffte: „Und so, ganz am Ende, würde er mit mir reden wie ein liebender Vater es mit seinem Sohn täte. Er würde mich überzeugen, dass unsere kurze Zeit zusammen nicht ein hohles, schmerzliches Versäumnis gewesen war“, bleibt dies vergeblich. Eine Hoffnung, die sich für den jungen Kaag nicht erfüllt: „Als ich ins Krankenhaus kam, war er schon weitgehend weggetreten, so still und bewusstlos wie er die meiste Zeit in meinem Leben gewesen war.“ Als Kaag sich von seiner Frau trennte, hatte er sich längst in die verschollene Bibliothek mitten im Wald im Hinterland von New Hampshire geflüchtet, die er durch Zufall fand. Die einstige Privatbibliothek des Philosophen und Theologen William Ernest Hocking (1873 – 1966) barg einen bibliophilen Nibelungenhort. Erstausgaben, frühe Schriften, Manuskripte, Schreiben fast aller namhafter europäischer und von diesen beeinflusster amerikanischer Philosophen. Jahre verbringt Kaag erst allein, dann mit seiner Kollegin Carol Hay, um die Bücher zu sichten, zu sortieren und zu katalogisieren. Und immer findet Kaag in dem aufgezeichneten philosophischen Denken Parallelen zu seinem eigenen Leben. Beides verknüpft er in einer intellektuellen, ja fast paradigmatischen, Art. Dabei findet er durch die Gedanken und Schriften von Charles Sanders Peirce, Josiah Royce, William James, Jane Addams und Walt Whitman zu seiner Gegenwart. Er räsoniert über die in der Bibliothek gefundenen Werke Kants und Hegels, Platons und Dantes, die durch ihr Denken die amerikanischen Philosophen beeinflussten und somit ihre Gedanken in sowohl in der „verschollenen Bibliothek“ wie bei Kaag und daher auch im „Bücherhaus“ hinterließen. Es ist die Unendlichkeit des Denkens, des Gedankens, die Kaag hier darstellt und die immer wieder erinnert an die Erzählung von Jorge Luiz Borges‘ „Die Bibliothek von Babel“. Nur, dass entgegen der Unendlichkeit der Bücher in Borges Text die Bibliothek von Kaag endlich ist. Hockings Erben bestellen einen Gutachter, um den Wert der Bücher zu ermitteln. Für Kaag ein blasphemischer Buchhalter, der „die Philosophie, diese gewaltige Liebesafäre mit der Weisheit, auf einem Kalkulationsbogen summiert zum Zwecke steuerlicher Absetzbarkeit“. Hockings Erben schenken einen Teil der Bibliothek der University of Massachusetts Lowell. Dort verschwinden sie fast wie der Nibelungenhort, der nach Siegfrieds Tod von Hagen von Tronje im Rhein versenkt wurde. Und wie auch Hagen von Tronje nur weiß, wo der Hort liegt, kennen außer Kaag nur wenige den Ort, wo die Hocking-Bücher aufbewahrt werden. Sie kamen aus einer vergessenen Bibliothek und gingen in eine Bibliothek, die inzwischen schon wieder vergessen wäre. Wenn nicht Kaag daran erinnerte: „Ich besuche sie oft unter dem Licht der Neonröhren. Manchmal nehme ich Studenten mit.“ Aber eine richtige Bibliothek ist es nicht: „Es gibt keine wachsamen Bibliothekare und nicht einmal richtige Arbeitstische.“ Aber das stört weder die Studenten noch Kaag, der sich erinnert, wie er die Bücher in „West Wind“ - der verschollenen Bibliothek – fand und was sie blieben: „Unbezahlbar, aber verletzlich. Ein bisschen wie das Leben selbst.“

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