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Rezension zu
Der von den Löwen träumte

Der alte Mann und Ortheil - großartig!

Von: Buchbesprechung
10.01.2020

REZENSION – Es gibt nur wenige deutsche Schriftsteller unserer Zeit, die wie Hanns-Josef Ortheil gleichzeitig und mit dauerhaftem Erfolg in unterschiedlichsten literarischen Genres heimisch sind. Ob autobiografische oder historische Romane, ob Essays oder Sachliteratur, immer wieder versteht es der 68-jährige Autor aufs Neue, mit seinem aktuellen Buch die Bestsellerliste zu erobern. Gerade waren im Mai 2019 seine Kindheits- und Jugenderinnerungen „Wie ich Klavier spielen lernte“ erschienen, folgte nur ein halbes Jahr später die Romanbiografie „Der von den Löwen träumte“, eine liebevolle Hommage an den amerikanischen Nobelpreisträger Ernest Hemingway (1899-1961). Ortheil beschreibt darin den mehrmonatigen Aufenthalt des Schriftstellers in Venedig im Jahr 1948. Der bald 50-Jährige steckt in einer Lebenskrise, leidet unter starken Depressionen und einer mehrjährigen Schreibblockade. Seit „Wem die Stunde schlägt“ (1940) ist ihm kein Roman mehr gelungen, weshalb der Ortswechsel auf Anregung seiner vierten Ehefrau Mary neuen Schwung geben soll. Anfangs genießt Hemingway die Ruhe und Einsamkeit eines Landhauses in der Lagune und die täglichen Bootsfahrten mit dem Fischersohn Paolo. Doch unerwartet erwacht im „alten Mann“ die Liebe zu der erst 18-jährigen Venezianerin Adriana Ivancich. Mit ihr amüsiert sich der nun wieder lebenshungrige Genussmensch wochenlang auf Ausflügen und in Tavernen, wie es uns Ortheil hautnah miterleben lässt. Hemingway lebt seinen neuen Roman; er selbst und Adriana sind die wahren Figuren des Buches „Über den Fluss und in die Wälder“ (1950). Nicht nur Ehefrau Mary missfällt diese venezianische Liaison Hemingways, auch der junge Fischer Paolo kritisiert während einer ihrer Bootsfahrten den 30 Jahre älteren Amerikaner für dessen unkonventionelles Verhalten: „Ein Mann Deines Alters und die Liebe zu einer erheblich jüngeren Frau! Ich hätte es besser gefunden, wenn Dein Colonel allein geblieben wäre. …. Er sollte auf Fischfang gehen.“ Hemingway findet Gefallen an dieser anderen Romanidee: „An unseren gemeinsamen Roman denke ich jeden Tag. Ich hebe ihn mir wie versprochen für mein nächstes Buch auf“, schreibt er später aus Cuba an seinen jungen Freund. Schon 1952 erscheint die Novelle „Der alte Mann und das Meer“ als sein letztes Buch zu Lebzeiten, das maßgeblich zur Verleihung des Literaturnobelpreises (1954) beitrug. Immer wieder spürt man im Buch die Sympathie Ortheils für Hemingway, kann sogar eine ähnliche Arbeitsweise erkennen: Wie wir es von Ortheil wissen, ist auch der Amerikaner ein genauer Beobachter und notiert sich während seiner Streifzüge durch Venedig scheinbar Unwichtiges, das später als Materialsammlung für den geplanten Roman dienen könnte. Ortheil gelingt es meisterhaft, nachweisbare Fakten und reale Personen mit Fiktivem zu einer lebendigen Geschichte zu vermengen. Am Ende ist man überzeugt, genau so müsse es gewesen sein. Man leidet mit Hemingway und gleichermaßen empört man sich über sein Verhalten. Man lernt diesen großartigen Schriftsteller, diesen „alten Mann“, besser zu verstehen und vielleicht seine Werke neu zu entdecken. „Der von den Löwen träumte“ ist deshalb ein Buch für alle Freunde Hemingways, ohnehin Pflichtlektüre für Ortheil-Fans, aber nicht zuletzt auch - der Ortheil'schen Sprachkunst wegen - wieder eine wundervolle Romanbiografie für die Liebhaber belletristischer, also wirklich „schöner Literatur“.

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