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Rezension zu
Gehen, ging, gegangen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Bücherlese - aus meinen Bücherregalen: Jenny Erpenbeck - Gehen, ging, gegangen

Von: Dr. Helge Mücke
28.11.2019

Gehen, ging, gegangen – immer noch eines der besten Bücher zum Umkreis Asylsuchende, Flüchtlinge, Neubürger. Ein Roman, geschrieben von Jenny Erpenbeck. Ein erneuter Blick darauf lohnt, auch wenn das Buch schon 2015 erschienen ist. Gehen, ging, gegangen: der Titel ist schlicht genial, weil er alles enthält: die Mühen, die deutsche Sprache zu erlernen; den Fortgang der „Fremden“; den Abgang des Professors von seiner langjährigen Wirkungsstätte und … Gehen, ging, gegangen: Richard, Professor der Altphilologie, seit fünf Jahren verwitwet, von seiner Geliebten verlassen, ist frisch emeritiert und beginnt sich einsam zu fühlen. Auf dem Alexanderplatz vor dem Roten Rathaus sieht er Ende August zehn Männer im Hungerstreik, die ihren Namen nicht sagen wollen, mit einem Schild „Wir werden sichtbar“, die dort in Zelten auch übernachten; an einem der nächsten Tage sind sie verschwunden, weil es eine Vereinbarung mit dem Senat gegeben hat, in der eine genaue Einzelprüfung versprochen wird. Richard kommt auf die Idee, mit ihnen in ihrer Sammelunterkunft am Oranienplatz Verbindung aufzunehmen; zunächst hat er nur vor, Interviews zu führen, aus wissenschaftlicher Neugier; doch wird er mehr und mehr zum Helfer und Handelnden, bis er schließlich sogar sein Haus mit Behördenbilligung zu einer Heimunterkunft macht. Gehen, ging, gegangen: Anfang Februar treffen für alle Männer der Oranienplatz-Gruppe die Bescheide ein. „Einzelfall für Einzelfall ist nun geprüft und entschieden. Es hat sich herausgestellt, was man auch bei der Räumung des Platzes im Herbst letzten Jahres schon wusste: dass nur Italien für die Männer, die in Italien angekommen sind, zuständig ist“ (entsprechend der Dublin-II-Verordnung). In dem Buch sind die beiden gegenüberliegenden Seiten 328 und 329 fast leer – da steht nur jeweils „Wohin geht ein Mensch, wenn er nicht weiß, wohin er gehen soll?“ Am Schluss des Romans feiert Richard seinen Geburtstag mit alten und neuen Freunden. In einem Gespräch mit Detlev und Khalil spricht er verdrängte Wahrheiten aus seiner Ehe erstmals aus – auch er hat etwas gelernt. Damals (als seine Frau nach einer Abtreibung fast gestorben wäre) sei ihm klargeworden, „dass das, was ich aushalte, nur die Oberfläche von all dem ist, was ich nicht aushalte. So wie auf dem Meer?, fragt Khalil. Ja, im Prinzip wie auf dem Meer.“ Gehen, ging, gegangen: heimliche (dritte) „Hauptperson“ des Buches ist die Zeit. „Die Zeit macht etwas mit einem Menschen, weil ein Mensch keine Maschine ist, die man an- und ausschalten kann. Die Zeit, in der ein Mensch nicht weiß, wie sein Leben ein Leben werden kann, füllt so einen Untätigen vom Kopf bis zu den Zehen“ (S. 293). Was mir an dem Roman besonders gefällt, ist, dass er nicht einfach schwarz-weiß malt. Beispielsweise kann sich Richard nie ganz von seinen bürgerlichen (Vor-)Urteilen lösen. Er ist keineswegs ein reiner Gutmensch. Als Osarobo die Verabredung zum Klavierspielen vergessen hat: „Er ärgert sich, aber worüber eigentlich? Dass der Afrikaner nicht so glücklich und dankbar ist, wie er es von ihm erwartet? … Vielleicht auch darüber, dass der Afrikaner nicht verzweifelt genug ist, um seine Chance zu erkennen?“ (S. 145) Nachdem bei ihm sich ein Diebstahl ereignet hat, kann er nicht verhindern, dass er im Stillen Osarobo bezichtigt, der regelmäßig zum Klavierspiel gekommen war. Ob er es tatsächlich war, lässt die Autorin offen. Die Asylbewerber (genauer: ein Teil von ihnen) sind differenziert gezeichnet. Die Sprache ist einfach, die Sätze meistens kurz. Öfter werden Wiederholungen als Stilmittel verwendet. Auch tiefere Gedanken sind gut verständlich (einfach) formuliert. Richard vor der Begegnung mit den Flüchtlingen: „Richard wartet, aber er weiß nicht, worauf. Die Zeit ist jetzt eine ganz andere Art von Zeit. Auf einmal. Denkt er. Und dann denkt er, dass er, natürlich, nicht aufhören kann mit dem Denken. Das Denken ist ja er selbst, und ist gleichzeitig die Maschine, der er unterworfen ist. Auch wenn er ganz allein ist mit seinem Kopf, kann er, natürlich, nicht aufhören mit dem Denken. Auch, wenn wirklich kein Hahn danach kräht, denkt er.“ Gut finde ich auch, dass der Roman auf gründlicher Recherche beruht (wozu auch viele Gespräche mit Asylsuchenden gehören). Die Danksagungen am Schluss lassen darauf schließen. Jenny Erpenbeck: Gehen, ging gegangen. Roman. Albrecht Knaus Verlag, München 2015, 352 Seiten, 19,99 EUR Text: Dr. Helge Mücke, Hannover; Bild: Umschlaggestaltung des Verlages. Verfasst am 28. November 19 um 17:22 Uhr | Permalink Tags: gehen ging gegangen, Jenny Erpenbeck, knaus

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