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Rezension zu
Schwarzer Leopard, roter Wolf

Dieses Buch tut weh, es widert an und wird einen vielleicht ein wenig verzaubern

Von: Barbaras Bücherbox
20.11.2019

„Man sagt, du habest eine Nase.“ Sucher ist ein Verlorener. Von zuhause ausgestoßen gibt es kaum einen Ort, an den er gehen kann, denn als Angehöriger des Flussstammes ist er bei den benachbarten Gangatom nicht gern gesehen. Als er durch Zufall in einem kleinen Dorf auf seinen Onkel trifft und sich mit einem Jäger auf den Weg in den Dschungel macht, trifft er auf eine Sangoma – eine Hexe, die in ihm mehr sieht, als nur einen jähzornigen jungen Mann. Geschützt durch ihren Zauber können ihm Schwerter, Dolche und Äxte nichts anhaben und so macht sich Sucher, nach einem schweren Schicksalsschlag, dazu auf, seine Nase in die Dienste reicher Leute zu stellen. Als ein Sklavenhalter von ihm erfährt, zögert er nicht, Sucher und einige weitere Söldner auszuschicken, um nach einem Jungen zu suchen, der ihm gestohlen wurde. Doch bereits nach kurzer Zeit ist nicht nur Sucher klar, dass der Junge mehr ist als nur ein Kind … Meine Rezension enthält teilweise Spoiler – weniger zur Geschichte selbst, als vielmehr der Welt und den Wesen, die diese bevölkern. Doch ich denke, dass gerade bei diesem Roman, der eindeutig nicht jeden erreichen kann, eine gewisse Vorkenntnis von Nöten ist. „Meine Mutter darf das ganze Buch bis auf zwei Seiten lesen“, sagt Marlon James in seinem Nachwort. Da stellte sich mir doch kurz die Frage, ob seine Mutter nicht zwei Seiten des kompletten Werkes lesen darf, denn Marlon James nimmt – um es freundlich auszudrücken – kein Blatt vor den Mund. Es wird nicht nur fast im Vorbeigehen gemordet, sondern auch Vergewaltigt und gefoltert. Die Welt, in die wir eintauchen – und bei mehr als 800 Seiten ist es eine sehr große Welt – ist nicht nur grausam: sie ist dramatisch brutal. Sucher befindet sich nicht auf der normalen Seite des Lebens, in seinem Geschäft sind Misshandlungen normal, weshalb wir auch in keiner Seite etwas über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Ngiki (wie die Welt, so denke ich, heißt) oder den Nordlanden (in denen Sucher lebt). Auch über die politischen Verhältnisse werden wir lange im Dunkeln gelassen und erfahren erst sehr spät, wer und weshalb König ist und wer mit wem im Krieg liegt (wobei man beizeiten denken möchte: jeder mit jedem!). Auch das Magiesystem dieser Welt ist grausam: Hexen und Hexer erhalten ihre Macht durch das Töten und Verstümmeln von Säuglingen (was nicht als tatsächliche Handlung geschieht, aber deutlich erklärt wird) und Vampire saugen nicht nur Blut, sondern vergewaltigen ihre Opfer und zerstören deren Seele und Verstand. In jeder Ecke herrscht Verzweiflung, Hass, Verrat … Und doch? Schwer zu erklären. Denn die ersten einhundertfünfzig Seiten waren beinah eine Qual. Die Brutalität der Welt und der innere Hass, mit dem Sucher zu kämpfen hat (und denkt nicht, das würde sich geben, nein, Sucher wird zu keinem sympathischen Charakter – nicht davor und nicht danach), haben mir schwer zu schaffen gemacht. Doch dann … entfaltet sich die Welt. Der Handlungsort weitet sich, die Nordlande erscheinen vor dem inneren Auge, die Städte – Malakal, eingeschlossen von mehreren Kreisen aus Schutzmauern, nach oben gebaut, um Platz zu sparen oder Dolingo, in den Bäumen schwebend und von unsichtbaren Mechanismen am Laufen gehalten – und die magischen Wesen – Omoluzu, die durch Blut gerufen werden und an der Decke gehen, als wäre es ihr Boden oder die Bunshi, die ihren Brustkorb aufbrechen und ein Kind darin verbergen kann – sind absolut einzigartig. Wir kennen alle die klassischen Fantasiewesen: Oger und Orks, Elfen und Feen, Zwerge und Halblinge – doch wer von euch kennt die Geschwister Asabonsan und Sasabonsan, zwei Wesen, von denen eines von Blut und das andere vom Fleisch ihrer Opfer leben? Das einweben dieser eindeutig afrikanischen Mythologie (wobei ich nicht weiß, in wie weit sich Marlon James von „tatsächlichen“ Sagen und Legenden hat beeinflussen lassen und wie viel seiner eigenen Vorstellung entspringt) ist so frisch und neuartig, dass es mich – ja, das kann ich so sagen – absolut begeistert hat. Dass die Geschichte dann nach dem ersten Viertel richtig an Fahrt auf nimmt, tat natürlich ihr übriges. Kommen wir nun zum Schreibstil. Welcher schonungslos ist. Wie weiter oben erwähnt frage ich mich, ob Marlon James wirklich seiner Mutter so viele vulgäre Ausdrücke zumuten würde – oder ob sie ihm nicht bereits nach Seite fünf den Mund mit Seife ausgewaschen hätte. Marlon James ist kein Clive Barker, der die große Brutalität seiner Romane in eine wunderbare Sprache verpackt und kein Colson Whitehead, der mit wenigen Worten große Geschichten umreißt: James will eindeutig polarisieren. Und das ist mein größter Kritikpunkt. Denn ich denke, dass der Autor absichtlich so vulgär schreibt, um den Leser zu schockieren – und das ist etwas, das mir nie zusagt. Denn liegt nicht viel größeres Können darin, den Leser mit sanften Worten das absolute Grauen näher zu bringen? Ein weiteres Problem für potentielle Leser könnte die James‘ Art sein, bestimmte Handlungsstränge nur anzuschneiden. Oftmals bleiben Dinge unausgesprochen und dem Leser – egal, wie aufmerksam er der Geschichte folgt und glaubt mir, nebenbei lesen bei diesem Roman ist nicht – somit ein großer Interpretationsspielraum. Nicht nur einmal stellte ich mir die Frage: was genau ist hier passiert?, nur um kurz darauf noch einmal zehn Seiten zurück zu blättern und erneut zu lesen. Das kann manchmal gut sein – ich liebe es, wenn Autoren mir nicht alles vorkauen – manchmal aber auch anstrengend. Zum Schluss seien wir ehrlich, oder? Dieses Buch ist grausam und wunderbar, vulgär und phantasievoll, überladen und spannend und noch so viel mehr – und ich bin absolut froh, es gelesen zu haben. Doch du, lieber potentieller Leser, sei dir bewusst, worauf du dich einlässt. Es wird wehtun, es wird dich anwidern, aber vielleicht wird es dich auch – so wie mich – ein bisschen verzaubern und deinen Horizont für all die Fantasy-Autoren öffnen, die nicht den ausgetretenen Wegen folgen.

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