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Rezension zu
Der Gott der Stadt

Fragment

Von: letteratura
01.09.2019

Es sind die 90er Jahre, Berlin befindet sich in einem seltsamen Zwischenzustand, die Stadt ist eins, muss aber noch zusammenwachsen. Fünf junge Menschen kommen an die Piscator-Schauspielschule, um Theaterregie zu studieren. Die Plätze sind begehrt, allein schon angenommen zu werden, bedeutet, auserwählt zu sein. Doch es wird auch viel verlangt von den jungen Erwachsenen, vor allem seitens Korbinian Brandner, Lehrer und selbst gefeierter Regisseur. Er ist so etwas wie das Aushängeschild der Schule. Und er ist derjenige, der überzeugt werden will, der, zu dem alle aufsehen, eine Art Lichtgestalt – zumindest in den Augen Katharinas, die einen großen Teil des neuen Romans „Der Gott der Stadt“ von Christiane Neudecker aus der Ich-Perspektive erzählt. Katharina kommt aus dem Westen, ist behütet aufgewachsen, hat aber auch einen familiären Verlust zu verkraften. Brandner hat sie bereits persönlich getroffen, und er hat sich dafür eingesetzt, dass sie auf der Schauspielschule angenommen wird. Vorteile wird sie dadurch aber nicht genießen, wie bald deutlich wird. Außerdem ist da noch Schwarz, gutaussehend und arrogant, der eigentlich lieber Filme drehen als am Theater arbeiten will, außerdem der Franzose Francois, verschlossen und voller Selbstzweifel. Schließlich Tadeusz, er hat polnische Wurzeln und ist der einzige, der Brandner von vornherein duzt, ohne dass die anderen verstünden, wieso, es scheint eine Geschichte zu geben zwischen den beiden. Und schlussendlich kommt etwas verspätet Nele an die Schule, sie ist ein paar Jahre älter als ihre Kommilitonen und war bereits als Schauspielerin erfolgreich. Charismatisch und sehr hübsch, fühlt Katharina sich zunächst unzulänglich und unscheinbar neben ihr. Dass an der Piscatorschule nur die Besten geduldet sind, dass bei Nichterreichen der hohen Anforderungen auch der Ausschluss von der Schule relativ schnell möglich ist, erfahren die Schüler schnell. Brandner stellt ihnen eine Aufgabe, die es in sich hat: Im Januar, am Todestag Georg Heyms, sollen die fünf eine Aufführung zum Besten geben, basierend auf einem Fragment Heyms, dem „Faust-Fragment“, dessen einzelne Teile Brandner unter den Schülern aufteilt. Heym selbst konnte sein Fragment nicht mehr vollenden, da er 1912 mit nur 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen auf der Havel tödlich verunglückte. Die Schüler erarbeiten ihre Regiekonzepte, doch als sie sie Brandner präsentieren, ist der nicht von allem, was ihm dargeboten wird, begeistert… Christiane Neudeckers neuer, seitenstarker Roman „Der Gott der Stadt“ vereint mehrere Themen gekonnt zu einem sehr runden, schlüssigen Ganzen, und vor allem zu einem sehr fesselnden Roman, den ich kaum aus der Hand legen konnte. Fünf junge Leute, die sich für erwachsen halten, es aber eigentlich noch nicht sind, an einem Punkt in ihrem Leben, der entscheidend sein wird dafür, wie es mit ihnen weitergeht. Die Schauspielschule hat eine enorme Strahlkraft, eine Schule, die zu besuchen ein absolutes Privileg ist – niemand würde sie freiwillig verlassen – oder doch? Neudecker erzählt fesselnd, wie sich die fünf, zwar auf unterschiedliche Weise, aber dennoch mit Haut und Haaren hineinstürzen in die Aufgabe, die ihnen gestellt wird, Selbstzweifel und Größenwahn liegen nah beieinander. Heyms Fragment stürzt sie in einen Rausch, lässt sie alles andere vergessen. Neudecker lässt dabei Katharina einen Großteil der Geschichte erzählen, wechselt aber auch die Perspektive, so dass der Leser auch den anderen Protagonisten nahe kommt und stets mehr weiß als sämtliche Figuren im Buch. Aber nicht alles, natürlich nicht. Diese Konzeption mag einigermaßen konventionell sein, aber das Konzept geht auf, da die Spannung hoch bleibt. Zudem erfahren wir schon zu Beginn, dass nicht nur der Tod Heyms wie ein Schleier über der Geschichte liegt, ein bisschen rätselhaft, diffus und schaurig (könnte es vielleicht doch ein Suizid gewesen sein?), sondern dass auch an der Schauspielschule ein Todesopfer zu beklagen sein wird. Neudeckers Figuren haben allesamt ihre Geheimnisse und ihre Last zu tragen. Einige haben frühe Verluste erlitten und auch Brandner ist bei näherem Betrachten alles andere als eine Lichtgestalt. Häppchenweise werden wir mit Informationen versorgt, und wir leiden und hoffen mit den Protagonisten mit, die Autorin schafft es, dass man sie allesamt, einige mehr, andere weniger, ins Herz schließt. Nebenbei lässt Neudecker uns die Atmosphäre dieses Nachwende-Berlins spüren, diese besondere Stimmung, als zwei Städte zu einer zusammenwachsen. Atmosphärisch ist das alles sehr dicht und intensiv. Ihr Roman trägt mystische Züge und ist dann doch wieder schmerzlich real. Sprachlich genau und unaufdringlich, auch in der Charakterisierung der einzelnen Figuren stets auf den Punkt. Ein rundum gelungener Roman, ein Schmöker im allerbesten Sinne, denn Neudecker schreibt sowohl intelligent als auch unterhaltsam.

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