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Rezension zu
Der Zug der Waisen

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Scheinbares Wohlfahrtsprogramm für Waisenkinder, in vielen Fällen leider eine andere Form der Sklaverei

Von: JogiExperience
13.04.2015

Die Geschichte über die "Orphan Trains" ist auch ein kaum beachtetes Stück Geschichte der USA. Kinderverschickung im 19. und 20. Jahrhundert mit der Eisenbahn, als über 200.000 elternlose Kinder von der Ostküste der USA in den mittleren Westen verbracht wurden. Voller Zuversicht auf neue Familien und neuer Heimat fanden sich viele Kinder als billige Arbeitskräfte wieder. Man könnte eigentlich auch sagen, dass sie zu Sklaven wurden. In "Der Zug der Waisen" schildert die amerikanische Autorin Christina Baker Cline im Jahr 2011 die Geschehnisse um die 17-jährige Molly, die bei Pflegeeltern in Spruce Harbor, Maine, aufwächst. Molly hat schwarze Haare mit hellen Strähnen, schwarze Fingernägel und trägt klobige Kruzifixe und Ringe aus dem Trödelladen. Man nennt so etwas auch Gruftie. Wegen eines Diebstahls von einem Buch in der örtlichen Bibliothek hat Molly die Wahl zwischen Jugendknast und 50 Stunden sozialer Arbeit. Sie entscheidet sich für letzteres. Als die 91-jährige Vivian ihren Dachboden entrümpeln will, wird Molly als helfende Hand organsiert. Vivian ist die geborene Niamh Power, die mit ihren Eltern aus Irland in die USA auswanderte. Eine Flucht aus der Armut, mit der Hoffnung auf ein besseres Leben. In New York verliert sie bei einem Brand ihre Familie und wird zur Waise und somit ein Fall für das "Orphan Train Movement". In der Folge erzählt Vivian ihr frühes Leben und verwandelt dabei ganz nebenbei Molly in eine pflichtbewusste Jugendliche. Es entsteht eine beeindruckende Freundschaft zwischen der alten Dame und der Halbwaise Molly. Ohne Schnulz und Schmalz (ein bisschen Herzschmerz ist bei so etwas immer dabei) liest sich dieser Roman sehr flüssig. Nichts wurde unnötig in die Länge gezogen, der Handlungsstrang ist übersichtlich und somit gut nachvollziehbar. Die Geschichte zeigt, dass Waisenkinder zu Beginn des 20. Jahrhunderts in den USA nichts anderes als eine Last für die Gesellschaft waren. Vielmehr beschäftigte das Land der Börsencrash im Jahr 1929, so dass für Menschlichkeit gegenüber Hilfsbedürftigen nicht allzu viel übrig blieb. Der Roman zeigt aber auch, dass Kinder, die im Zuge der Kinderverschickung Glück hatten, ein ganzes Leben von der Angst begleitet wurden, Liebgewonnenes wieder zu verlieren. Und während sich viele Erwachsene ihre Kindheit zurück wünschten, war für die meisten Waisenkinder das Erwachsensein eine Erleichterung. Und noch ein weiteres wird sehr anschaulich dargestellt: Verluste im Leben sind nicht nur wahrscheinlich, sondern unvermeidbar. Ein unterhaltsamer und lesenswerter Roman über ein Stück Geschichte der USA. Ein scheinbares Wohlfahrtsprogramm für Waisenkinder, welches in vielen Fällen leider nichts anderes als eine andere Form der Sklaverei gewesen ist.

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