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Rezension zu
Denn es will Abend werden

Nach dem Überfall

Von: letteratura
28.07.2019

„Das Leben von früher schlägt die scharfen Reißzähne in das Leben von jetzt.“ S. 151 Carolien, Jochem, Hugo und Heleen haben viele Jahre zusammen in einem Streichquartett musiziert, waren eng befreundet. Carolien und Jochem sind verheiratet und haben vor einigen Jahren ihre beiden Söhne bei einem Unfall verloren. Das gemeinsame Musikmachen hat auch sie beide sie zusammengehalten, doch eines Tages wurden die vier Freunde bei einer Probe auf einem Hausboot überfallen und als Geiseln genommen. Das Geschehene hat sie allesamt traumatisiert und voneinander entfernt. Das Streichquartett gibt es nicht mehr. Carolien hat bei dem Überfall einen Finger verloren, sie hat ihre Arbeit als Allgemeinmedizinerin aufgegeben und nicht mehr Cello gespielt. Ihr Mann Jochem, der Instrumentenbauer ist, flüchtet sich in eine Art blinden Aktionismus und fühlt sich erst wieder sicher, als er diverse Sicherheitsschlösser und Alarmanlagen in sein Atelier sowie auch in die gemeinsame Wohnung eingebaut hat. Heleen verschwindet fast völlig von der Bildfläche, verändert sich auch äußerlich stark und fängt ein ganz neues Leben an. Und Hugo sucht sein Glück in China, wo er ein neues Business aufzieht, statt sich um seine kleine Tochter zu kümmern, die ebenfalls bei dem Überfall anwesend war und keinen Kontakt mehr zu ihren Vater zulässt. Von dem Überfall, auf den in Anna Enquists neuem Roman „Denn es will Abend werden“ immer wieder verwiesen wird, hat die Autorin in ihrem letzten Roman „Streichquartett“ erzählt. Man kann den neuen Roman völlig eigenständig lesen, da die genauen Geschehnisse des Überfalls nur so weit von Bedeutung sind, wie sie hier nun thematisiert werden. Ich hätte mir dennoch gewünscht, das Vorgängerbuch noch präsenter zu haben, aber auch so hat mich „Denn es will Abend werden“ bewegt und beeindruckt. Im Mittelpunkt des Romans stehen Carolien und Hugo, die so unterschiedlich mit dem Geschehenen umgehen und sich dabei immer weiter voneinander entfernen. Hugo will Carolien unbedingt davon überzeugen, wieder Cello zu spielen, während sie sich einfach nicht dazu in der Lage fühlt, wie gelähmt ist und auch die Rückkehr in die Praxis verweigert, obwohl sie von ärztlicher Seite als arbeitsfähig diagnostiziert wurde. Hugos Verfolgungswahn und sein ständiges Beharren darauf, dass sie etwas tun soll, erwirken bei ihr genau das Gegenteil. Er dagegen kann nicht verstehen, dass sie, in seinen Augen, nicht versucht, ihrer Starre zu entkommen. Es kommt ständig zu Konflikten. Schon vor dem Überfall stand es um die Ehe der beiden nicht zum Besten: Der Überfall ist das zweite Trauma, das die beiden verwinden müssen nach dem Verlust ihrer Kinder. Enquist beschreibt einigermaßen nüchtern und doch sehr eindringlich, wie ihre Figuren auf unterschiedliche Art und Weise versuchen, nach dem Erlebten wieder zurechtzukommen. Dabei sind alle vier isoliert. Das Quartett existiert nicht mehr, der Kontakt zueinander ist nur schwer auszuhalten und wird daher von ihnen lieber vermieden. Es ist schmerzlich zu lesen, wie sie an ihre Grenzen kommen, wie sie auch die Kluft zum anderen nicht überwinden können. Und wie es ist, wenn ein traumatisches Ereignis das Leben in ein Davor und ein Danach teilt. Dabei zeigt die Autorin gekonnt auf, was so ein einschneidendes Erlebnis alles verändern kann. Wie der soziale Zusammenhalt auseinanderbricht, wenn Freundschaften brüchig werden, und wenn man keiner geregelten Arbeit mehr nachgeht. Carolien flüchtet sich zu Hugo nach China, bricht aus, lässt das Erlebte hinter sich – doch wirklich entkommen kann sie ihm nicht. Enquist lotet die Nöte der Figuren wie auch ihre Beziehungen untereinander gekonnt und behutsam aus. „Denn es will Abend werden“, ein Zitat aus dem mehrfach (vor allem von Bach und Rheinberger) vertonten Abendgebet aus dem Evangelium nach Lukas, das sowohl Zuversicht und Geborgenheit als auch die kommende, ungewisse und angsteinflößende Nacht beschwört, gibt dem eindrücklichen und manchmal auch bedrückenden Roman einen vieldeutigen, passenden Titel.

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