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Rezension zu
Der ewige Gast

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Beeindruckend, bewegend, eröffnet neue Sichtweisen

Von: B. Hoffmann aus Freiburg
24.03.2019

Der Journalist Can Merey ist Halbtürke mit türkischem Vater und bayrischer Mutter. Er geht in diesem Buch zunächst der Geschichte seines Vaters nach und später seiner eigenen Identität. Tosun, sein Vater, kam als Stipendiat noch vor den Gastarbeitern Ende der 1950er Jahre nach Deutschland. Er gehörte zu den gebildeten "Weißtürken", die ebenso wie viele Deutsche die dann Anfang der 1960er Jahre ankommenden eher wenig gebildeten Gastarbeiter (=Schwarztürken) etwas verachteten, sie für primitiv hielten, auch wenn sie hier, besonders im Bergbau und in Fabriken, gern gesehene und dringend benötigte Arbeitskräfte waren. All das war für mich noch nicht so neu. Unbekannt war mir aber, wie eng und freundschaftlich die Verbindungen zwischen Deutschland und der Türkei früher waren, da zum Beispiel in der Nazizeit Verfolgte in die Türkei flohen und dort dann ihr Wissen ins türkische Leben mit einbrachten. Und langsam arbeitet Can Merey dann heraus, wie schwer seinem Vater das Leben in Deutschland gemacht wurde, sei es -trotz sehr guter Ausbildung und guter Sprachkenntnisse- bei der Arbeitssuche oder bei der Einbürgerung, die geradezu absurde Züge trägt. Die Vorgänge werden beschrieben, es wird immer versucht, beide Seiten zu beleuchten (also z.B. den Wunsch nach Zugehörigkeit, aber auch die Sorge der Behörden), und als Deutsche öffnen sich mir da oft die Augen, und ich schäme mich, denn manchmal merke ich, dass mein Bild von Türken auch durch die eher wenig gebildete Gruppe der Gastarbeiter geprägt ist. Und so schildert Merey, wie sein so deutschenoffener Vater, der natürlich auch gute Freunde in Deutschland gefunden hat, irgendwann sogar zum Erdogan-Anhänger wird, der ja am Anfang seiner politischen Karriere als "Europäer des Jahres" durchaus Hoffnung machende Entwicklungen in Gang setzte. Doch viele Türken änderten schließlich frustriert ihre Europa zugewandte Haltung, mit beeinflusst durch die ablehnende Haltung Deutschlands, die lang versprochene Aufnahme der Türken in die EU umzusetzen, sondern allenfalls eine "privilegierte Partnerschaft" zuzulassen. Das alles am Beispiel dieses offenen und klugen Vaters zu lesen, ist sehr spannend und bewegend. Merey berichtet, dass die Türken sich als "Mitbürger mit Verfallsdatum" fühlen, sie empfinden die Haltung der Deutschen oft als besserwisserisch und wenden sich deshalb Erdogan zu, der sich ihrer annimmt. Merey relativiert das Wahlergenis der Deutschtürken, die Erdogan gewählt haben (nur 15% der hier lebenden Türken hätten E. gewählt, allerdings waren das dann 63% der abgegebenen Stimmen) und berichtet, dass die Leute meist nicht für die autokratische Verfassung der Türkei gestimmt hätten, sondern gegen die Verhältnisse in Deutschland, wo ihnen immer signalisiert worden sei, Bürger zweiter Klasse zu sein, egal, wie sehr sie sich um Integration bemühen. Und dieses Thema zieht sich durch bis in Can Mereys eigene Generation, obwohl er in Deutschland geboren wurde und in seiner Kindheit gar nicht türkisch sprach, nur aufgrund seines Namens, der seine teil-türkische Herkunft deutlich macht. Und er vergleicht das mit der Familie seiner Tante, die in den USA lebt und ihre türkischen Wurzeln nie als Ressentiments weckend empfunden hat. Das Buch ist spannend, lehrreich, entlarvend, bewegend und bringt mich zum Nachdenken. Unbedingt lesenswert, auch wenn man denkt, dass man doch offen ist und keine Vorurteile hat.

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