Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.

Rezension zu
Der Winter unseres Missvergnügens

Ein Roman über Geld und andere Werte...

Von: ricysreadingcorner
17.02.2019

Nachdem mir “Of Mice and Men” letztes Jahr bereits so gut gefallen hat, habe ich mir vorgenommen, weitere Werke von John Steinbeck zu lesen. Da sein eher weniger bekannter letzter Roman Der Winter unseres Missvergnügens neu, in einer schönen Ausgabe der Manesse-Bibliothek erschienen ist, habe ich dies als Anlass genommen, mich endlich einem weiteren Werk des Literaturnobelpreisträgers zu widmen. Worum geht’s? Ethan Hawley, stammt aus einer alten reichen Familie, die schon seit Generationen auf Long Island lebt und es zu viel Geld gebracht hat. Als Kind und Jugendlicher musste er sich somit nie viele Gedanken um finanzielle Themen machen: das alte Geld war da und neues floss durch die Walfängerei stetig nach. Doch nach der Pleite seines Vaters muss Ethan nun als Erwachsener auf eigenen Beinen stehen und bringt seine Familie eher schlecht als recht als angestellter Verkäufer in seinem damals eigenen Lebensmittelladen, der nun einem italienischen Einwanderer gehört, über die Runden. Während Ethan sich immer noch an das alte Ansehen seiner Familie klammert, scheinen seine Frau und Kinder zunehmend unzufrieden mit dem einfachen Lebensstil zu sein. Ein Provisionsangebot eines Händlers hinter dem Rücken seines Chefs, der Vorschlag eines Bankiers, mit dem bescheidenen Erbe seiner Frau zu spekulieren und weitere moralisch immer verwerflichere Angebote und Ideen, fügen sich zusammen und keimen in Ethan. Es machen doch alle so, oder? Als dann eine vermeintliche Wahrsagerin seiner Frau prophezeit, dass ihr Mann zu viel Geld gelangen wird, bringt dies Ethans steinerne Moralvorstellungen ins Wanken und seine Veränderung ins Rollen. Meine Meinung Steinbeck hat mich erneut nicht enttäuscht. Sein letzter Roman ist eine Kritik an Amerikas immer weiter ausuferndem skrupellosen Kapitalismus. Dieses kritische und ernste Thema ist auf literarisch komplexe Weise in eine unterhaltsame Geschichte verpackt, die die Veränderungen eines Familienvaters und die Beteiligung seines Umfeldes dargestellt. “Geld ist nicht freundlich. Geld will keine Freunde, will nur mehr Geld.” Der Winter unseres Missvergnügens, John Steinbeck (S. 52) Ethan Hawley ist zu Beginn des Romans ein ehrbarer, freundlicher und beliebter, wenn auch armer Bürger und Familienvater. Ehrlichkeit, Bildung und Zusammenhalt sind Werte, die er in seinem Leben und vor allem in seiner Familie hochhält. Zwar in Reichtum aufgewachsen, hat er sich doch mittlerweile mit seiner verarmten Situation abgefunden. Doch dann nimmt der Druck von außen immer mehr zu, von allen Seiten wird ihm klar gemacht, dass er es zu mehr bringen könnte. Gleichzeitig wird er belächelt für seine eisernen Moralvorstellungen. Als ihm dann auch noch seine Frau und seine Kinder deutlich machen, dass sie gerne mehr hätten, wieder mehr Ansehen in der Kleinstadt New Baytown genießen möchten, bringt das sein Weltbild ins Wanken. Denn Ansehen ist in diesen Zeiten nicht mehr nur durch eine ruhmreiche Familiengeschichte zu erlangen oder zu halten. Nein, im Kapitalismus heißt Ansehen einfach nur Geld! Je mehr, desto besser. Der Roman zeigt am Beispiel des Protagonisten einen Werteverlust zugunsten des Kapitalismus und welche Bedeutung dies für den Einzelnen hat. Ist ein gutes Leben gleichzusetzen mit einem Leben in finanziellem Reichtum? Gibt es so etwas wie genug Geld? Ist es in Ordnung, einmal etwas Schlechtes zu tun, um danach weiterhin ein gutes Leben zu führen? Und ist das möglich, wenn man einmal eine bestimmte Grenze überschritten hat? Das sind einige Fragen, die dieser Roman aufwirft und mit denen sich der interessante Protagonist so einige schlaflose Nächte beschert. Innerhalb kürzester Zeit wird Ethan Hawley von einem ehrlichen und mitfühlenden Menschen zu einem Egoisten, der nur nach seinem eigenen finanziellem Vorteil strebt. Und das nur, weil ihm eine Möglichkeit offenbart wird und ein gewisser Druck von außen dazukommt. Zunächst handelt er nur in der festen Absicht, mit der Hilfe anderer Personen im Ort seinen Kindern ein besseres Leben und eine ordentliche Bildung zu ermöglichen, doch schon bald erkennt er, dass er alleine deutlich mehr haben könnte. Das klingt nun zunächst so, als sei Ethan Hawley ein abscheulicher Protagonist, doch dem ist nicht so. Er hasst sich für das, was er tut. Was er glaubt, tun zu müssen für ein besseres Leben. Und genau das ist der Trugschluss, dem meiner Meinung nach viele in unserer vom Kapitalismus geprägten Welt aufgesessen sind und den Steinbeck hier kritisiert. Es ist nicht gut, seine Werte für einen anderen Wert (in diesem Fall finanziellen Reichtum) herzugeben. Denn abgesehen von der Frage, ob Geld überhaupt glücklich machen kann, ist es umso unwahrscheinlicher, dass es glücklich machen kann, wenn man seine Werte dafür geopfert hat. Wenn man dafür zu einem anderen Menschen werden musste, mit dem man eigentlich nicht leben kann. Aber die Welt ist halt, wie sie ist und es macht ja jeder so… Dieser Irrtum fängt ja schon bei viel weniger drastischen Wertverlusten an: jemand, der für mehr Geld bis zum Umfallen in einem Job arbeitet, der ihn nicht ausfüllt, der dafür Zeit mit Familien und Freunden und sogar seine Gesundheit opfert, wird durch das Geld nicht unbedingt glücklicher werden. “Geht ein Licht aus, ist die Dunkelheit vollkommen, weit dunkler, als wenn es nie gebrannt hätte. Die Welt ist voller dunkler Wracks.” Der Winter unseres Missvergnügens, John Steinbeck (S. 559) Im Falle unseres Protagonisten ist dies noch einmal auf die Spitze getrieben, da er nicht nur persönliche Werte opfert sondern geradezu skrupellos Menschen gegenüber handelt, die ihm wohlgesonnen sind und auch vor kriminellen Machenschften nicht zurückschreckt. Er wird also damit Leben müssen. Und dann bleibt noch die Frage: gibt es einen Weg zurück, wenn man einmal eine gewisse Grenze überschritten hat? Wenn man sich sowieso schon damit abgefunden hat, mit diesen Schuldgefühlen leben zu müssen, ist die Hemmschwelle, weitere Schuld auf sich zu laden, nicht immer kleiner? Ethan erkennt erst spät, das Ausmaß und die Bedeutung seiner Veränderung, was jedoch zu einem starken Ende führt… Fazit Die Kapitalismuskritik und den moralischen Verfall, die man an dieser Stelle noch viel weiter ausführen könnte, verpackt Steinbeck in dieser leicht und flüssig lesbaren und dennoch literarisch aufwendigen Geschichte um einen Familienvater im Amerika der beginnenden 1960er Jahre, die einem jedoch dieMöglichkeit lässt, sie stets auch in einem aktuellen Kontext zu betrachten. Das interessante Nachwort von Ingo Schulze, das sich mit den zahlreichen literarischen Referenzen, den Inspirationen Steinbecks und dem zeitlichen Hintergrund beschäftigt, runden diese wunderbare kleine Ausgabe ab. Absolute Leseempfehlung!

Wir stellen nicht sicher, dass Rezensent*innen, welche unsere Produkte auf dieser Website bewerten, unsere Produkte auch tatsächlich gekauft/gelesen haben.