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Rezension zu
Machandel

Erlösung durch Erinnerung

Von: Barbara62
01.02.2019

Aus einem fünfstimmigen Potpourri besteht der Debütroman "Machandel" der 1950 geborenen Journalistin und Autorin Regina Scheer. In 25 Kapiteln kommen drei weibliche und zwei männliche Ich-Erzähler zu Wort, die wichtigste ist die Claras, der jedes zweite Kapitel gehört. Ein Personenverzeichnis mit Kurzbiografien am Ende des Romans hilft weiter, sollte man den Überblick verlieren, was jedoch kaum zu erwarten ist. 1960 in Ost-Berlin geboren, kommt Clara 1985 erstmals nach Machandel, einem fiktiven Dorf bei Güstrow in Mecklenburg. Sie und ihr Mann verlieben sich spontan in einen verfallenen Katen mit verwildertem Garten neben dem ehemaligen Gutshaus, den sie zunächst mieten, später kaufen und als Wochenendhaus renovieren. Clara schreibt dort an ihrer Doktorarbeit über das Grimmsche Märchen "Von dem Machandelboom", niederdeutsch für Wacholderbaum, in dem ein Mädchen die Knochen ihres toten Brüderchens unter den Machandelbaum legt und ein Vogel daraus wird, der ein Lied über seine mörderische Stiefmutter vorträgt. Was Clara in der vermeintlichen Idylle weit weg von Berlin zunächst nicht ahnt: Lüge, Verrat und Hoffnungslosigkeit gibt es auch in Machandel und hat es immer gegeben. Und so erfährt sie allmählich bei ihren Nachforschungen im Dorf, in dem nicht viel geredet wird, was sich hier seit den 1930er-Jahren zugetragen hat. Es sind Geschichten von Fremden, wie der Zwangsarbeiterin Natalja aus Smolensk, die nach dem Krieg mit ihrer Tochter Lena im Gutshaus geblieben ist, von Marlene, die mit ihren kleinen Geschwistern im Katen lebte und Opfer der Denunziation und der NS-Euthanasie wurde, von Emma, der ausgebombten Hamburgerin, die sich um die Kinder im Katen kümmerte, und von den Kriegsgefangenen. Doch sie stößt hier auch auf die Spuren ihrer eigenen Familie, denn Mutter und Großmutter kamen 1945 als Ostpreußen-Flüchtlinge ins Gutshaus, genau wie ihr Vater, der als Kommunist zehn Jahre im Zuchthaus und in KZs saß und nach dem Todesmarsch aus Sachsenhausen hier gesund gepflegt wurde. Ich habe diesen Roman über siebzig Jahre deutsche Geschichte, beginnend mit der NS-Zeit über die Gründung der DDR, den Prager Frühling, die Vor-Wendezeit, die Wiedervereinigung und die Jahre bis 2000, mit großer Begeisterung gelesen. Regina Scheer verknüpft die bewegenden Einzelschicksale sehr gekonnt und ohne Pathos, kommt immer wieder auf die Mythologie des Märchens zurück, lässt einzelne Ereignisse aus verschiedener Perspektive berichten und bettet alles in großartige Naturschilderungen Mecklenburgs ein, so dass ich nun diesen am dünnsten besiedelten deutschen Landstrich sehr gerne bereisen würde. Von enttäuschten Hoffnungen handelt der Roman, sei es bei Claras Mutter, deren Traum vom besseren Leben schließlich nicht über das Trauma der Flucht triumphieren kann, bei ihrem Vater, der mit seinem Traum von einem sozialistischen Staat scheitert und nach der Wende verstummt, aber auch von Claras in den Turbulenzen der Wende zerbrechender Ehe und das Scheitern des in ihrem Freundeskreis favorisierten „dritten Wegs“. Gleichzeitig entsteht aber auch Neues und vor allem die starken Frauenfiguren des Romans verhindern, dass es eine düstere Geschichte wird. Im März 2019 erscheint Regina Scheers zweiter Roman "Gott wohnt im Wedding", auf den ich mich jetzt schon sehr freue.

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