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Rezension zu
Alles ist möglich

Wunderbar

Von: LiteraturReich
23.12.2018

Die US-amerikanische Autorin Elizabeth Strout wird gerne die „Chronistin des Alltäglichen“ genannt. Weil sie sich mit dem Alltag der Menschen in der Provinz beschäftigt und ihre Beziehungen untereinander analysiert, Mutter-Tochter- und Geschwisterbeziehungen, generell Familiengefüge untersucht. Undramatisch und unsentimental erzählt sie von deren Leben, den Erinnerungen, den Lasten, die sie mit sich herumschleppen, ihren Ängsten, Träumen, Hoffnungen, oder dem, was davon übrigblieb. Aber ist das wirklich nur alltäglich? In ihrem neuesten Roman „Alles ist möglich“ gibt es Ehebruch, verheimlichte Homosexualität, Inzest, bitterste Armut, Kriegstraumata, Misshandlung, Verrohung und Brandstiftung. Weil Strout davon aber so unaufgeregt erzählt, nehmen auch wir Leser diese Dinge als das hin, was sie sind – Lebensalltag, etwas, das bestanden werden muss. Die Charaktere in den Büchern von Elizabeth Strout sind alle irgendwie unglücklich, zeitweise zumindest, alle auf die eine oder andere Weise verletzt, aber sie mühen sich weiter, den einen gelingt das besser als den anderen, aber die meisten machen kein Drama daraus. Wie beispielsweise Tommy Guptill, den man gleich zu Beginn des Buches kennenlernt. Einst ein erfolgreicher Farmer, verlor er seinen ganzen Besitz bei einem verheerenden Brand. Er und seine Familie überlebten aber unverletzt. Und Tommy hat seinen Frieden mit dem Schicksal geschlossen. Er arbeitet seitdem als Hausmeister der Schule und ja, vielleicht weiß er sein Glück seit damals sogar mehr zu schätzen. Tommy ist einer der Charaktere, der vielleicht positivste, in einem Vielpersonenstück, das nach Art der „Short Cuts“ aufgezogen ist. Neun kunstvoll verwebte Geschichten erzählen von dem kleinen Ort Amgash, irgendwo in der Provinz von Illinois. Nachbarn, Verwandte, Bekannte sind in einem Beziehungsreigen miteinander verknüpft, selten sind sie Freunde, denn dafür sind sie alle viel zu vereinzelt. Elizabeth Strout erstellt ein Soziogram der amerikanischen Provinz, recht düster, aber niemals hoffnungslos. Denn: „Alles ist möglich“. Auch die Erfüllung der Sehnsucht, die die meisten der Menschen dort umtreibt, die Sehnsucht nach dem „Draußen“, dem Weg raus aus der Enge, der Beschränktheit, der Einsamkeit. Einer der Personen ist das gelungen. Elizabeth Strout LeserInnen ist sie aus dem letzten Roman „Die Unmöglichkeit der Liebe“ bekannt (Original: I am Lucy Barton), eben jene Lucy Barton, die nach New York gezogen ist und dort nun als sehr erfolgreiche Schriftstellerin lebt. Hier in „Alles ist möglich“ ist sie nur eine der vielen Charaktere. Sie besucht im Rahmen einer Lesung in Chicago nach siebzehn Jahren zum ersten Mal wieder ihre Heimat, ihren Bruder Pete und die Schwester Vicky, nachdem sie als junge Frau vor der schrecklichen Armut und Verrohung ihrer Familie floh. Die Mutter, die im letzten Roman eine tragende Rolle gespielt hat, ist mittlerweile gestorben. Schwester Vicky trägt immer noch einen immensen Groll gegen die kleine Schwester, den „Liebling“ der Mutter, der die Flucht und der gesellschaftliche Aufstieg gelang. Lucy wiederum verkraftet die Wiederbegegnung mit ihrer Vergangenheit gar nicht, sie erleidet eine Panikattacke. Andere in der Charaktere wiederum bewundern Lucy, so der Bruder Pete und auch die Lehrerin Patty. Deren Mann ist vor einer Weile gestorben, Lucys autobiografische Kindheitserinnerungen sind für sie eine Offenbarung. Seit langer Zeit fühlt sie sich zum ersten Mal wieder verstanden. Abel, ein entfernter Cousin von Lucy, trifft diese auf einer Lesung nach vielen Jahren wieder. Bei ihm endet das Buch, passend zur jetzigen Lesezeit, mit einer „Weihnachtsgeschichte“. Er besucht mit Tochter und Enkeln eine Aufführung des Dickens-Klassikers. Da die kleine Enkelin ihr geliebtes Plasikpony dort vergessen hat, fährt er lang nach Aufführungsende noch einmal ins Theater zurück und begegnet dort „Scrooge“. Eine merkwürdige und schicksalhafte Begegnung. Dies sind nur wenige der Personen, die „Alles ist möglich“ bevölkern. Sie alle sind Meister der Verdrängung unliebsamer Erinnerungen, Meister des Weitermachens. Alle biegen sich ihr Leben ein wenig zurecht. Ihre Erinnerungen sind immer unzuverlässig. Elizabeth Strout erzählt stilistisch brillant, sachlich, aber immer mit einer großen menschlichen Wärme. Sie schont ihre Figuren nie, stellt sie aber auch niemalsfür mich bloß. Ihre Romane sind mit das Wunderbarste, was amerikanische Literatur zu bieten hat, allen voran „Mit Blick aufs Meer“, für den sie 2009 den Pulitzer Prize erhalten hat, und „Das Leben, natürlich“ (2013). „Alles ist möglich“ ist zersplitterter, die vielen Charaktere und ihre Geschichten sind unübersichtlicher, aber dadurch nicht weniger erhellend und berührend. Wie eine Kritikerin schrieb: „Es ist ein Strauß von Geschichten über Menschen. Man kann sie sich auch nicht gut merken, aber man fühlt sich nach der Lektüre doch tatsächlich wie Patty, Lucy Bartons Buch lesend: irgendwie im Innersten verstanden.“

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