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Rezension zu
Walkaway

Cory Doctorow - Walkaway

Von: Esthers Bücher
20.10.2018

Der neue Roman von Cory Doctorow bringt uns in eine nicht allzu ferne Zukunft. Der Planet ist vom Klimawandel gezeichnet, manche Teile sind unbewohnbar, viele Flächen stehen unbewohnt und unbenutzt da. In den Städten, im „Default“ ist das Leben nicht einfach, außer man ist Mitglied der superreichen Minderheit, die alle Macht in der Hand hält. Alle anderen können nur schuften und darauf hoffen, dass die Arbeit ihnen oder ihren Kindern irgendwann mal eine bessere Zukunft ermöglicht. Aber meistens führen sie ein Leben ohne große Aussichten. Eine Möglichkeit für ein anderes Leben bietet der Walkaway. Im Walkaway zu sein oder eine Walkaway zu sein heißt vereinfacht nur so viel, wie das Wort schon sagt: weggehen. Alles (Job, Wohnung, Freunde, Familie…) hinter sich lassen, und ein Leben außerhalb der Städte zu führen mit anderen Walkaways. Dank neuster 3D Drucktechnologie lässt sich nämlich alles nach einer Programmierung einfach herstellen, von den herkömmlichsten Alltagsgegenständen bis zu großen Häusern, die vielen Walkaways ein Heim bieten können. Denn es gibt in dieser Welt alles im Überfluss. Im Default sorgen die Reichen, die „Zottas“ dafür, dass das Leben zu einem harten Kampf wird. Aber es wäre eigentlich gar nicht nötig, wenn jeder einfach seinen Beitrag leisten würde und so viel nehmen würde, wie er braucht. Im Walkaway funktioniert das Geben und Nehmen auf eine ganz natürliche Art und Weise. Manche leisten mehr, andere weniger, aber Leistungen werden im Walkaway nicht gemessen. Es gibt keinen Druck, keine Zwänge. Es wäre die ideale Welt, würden die Zottas den Walkaway nicht als Bedrohung ihrer eigenen Existenz sehen. Und als im Walkaway dann auch noch eine bahnbrechende Entdeckung gemacht wird, sieht der Default die Zeit gekommen, die Walkaways endgültig aus dem Weg zu räumen. Wir begleiten in diesem Buch mehrere Walkaways über viele Jahre hinweg, und erleben mit ihnen Freude, Glück, Leid und Tod. Denn obwohl der Walkaway mit seinen Hippie-Nerds eine Utopie verwirklicht, kehrt hier der Frieden selten für eine längere Zeit ein. Der Default kämpft gegen sie, und die Walkaways sehen sich immer wieder gezwungen, aufzustehen und wegzugehen. Eine sehr interessante Grundidee bietet die Basis des Romans, es hapert jedoch an der Ausführung. Die ersten ca. 200 Seiten waren eine Qual, es lässt sich nicht beschönigen. Die Figuren verwickeln sich immer wieder in lange philosophische Streitgespräche, die sich unrealistisch anfühlen. Hier fühlt sich irgendwie jeder dazu angehalten, in einer alltäglichen Situation einen Vortrag zu halten. Später wird es dann besser, teilweise ist die Geschichte ausgesprochen spannend, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass gerade die Teile, die wirklich interessant wären (wie ist das Leben längerfristig im Walkaway? kann diese Welt aufrechterhalten werden? woher kommt das viele Material für die 3D Drucker?) ausgespart werden oder nach einem Zeitsprung zusammenfassend erzählt werden. Die Zeitsprünge und die Perspektivenwechsel erschweren auch die Entstehung einer Beziehung zu den Figuren. Da hilft es auch nicht, ganz im Gegenteil, dass im Walkaway alle einen neuen Namen aufnehmen, der ihre neue Identität repräsentieren soll, aber für mich zumindest sehr willkürlich gewirkt hat. Mit seinen über 700 Seiten eine zum Teil anstrengende, zum Teil viel zu technische Lektüre. Die Idee hätte eine bessere Ausführung verdient, trotzdem bin ich froh, das Buch gelesen zu haben, weil es mir einige Denkanstöße gegeben hat. Ob der Walkaway tatsächlich funktionieren könnte? Er hat einige Parallelen zum Kommunismus, der nicht verwirklicht werden konnte. In einer Welt, in der tatsächlich alles im Überfluss ist (obwohl ich keine Ahnung habe, wie das möglich sein sollte), könnte der Walkaway eventuell funktionieren. Es stehen aber so viele Fragen dafür in der Luft, von denen Doctorow nur wenige beantworten konnte, dass ich keine reale Grundlage dafür sehe. Dass der Default entstehen kann, das steht auf der anderen Seite wohl gar nicht zur Debatte. Umso wichtiger ist es, sich Gedanken darüber zu machen, wie man ihm entkommen kann. Es ist eine bedingte Leseempfehlung, aber wer sich darüber Gedanken macht, in welche Richtung sich unsere Welt entwickelt und sich vor philosophischen Debatten nicht zurückschrecken lässt, der wird eventuell sogar seine Freude mit diesem Buch haben.

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