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Rezension zu
Der Tyrann

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Shakespeare, Populisten und Tyrannen

Von: Thursdaynext
13.10.2018

Eine Warnung: Wenn man Der Tyrann zu lesen beginnt, kann man das Buch nicht mehr weglegen. Ich musste eine Nachtschicht einlegen. Stephen Greenblatt, Pulitzerpreisträger und Shakespeare Spezialist aus Harvard, nimmt sich Shakespeare her, um die Mechanismen des Populismus und die Vorgehensweise der Tyrannen und Diktatoren zu untersuchen und sie mit jenen, die heute praktiziert werden, zu vergleichen. Und er wird fündig! Reichlich Material hat der wortgewaltige Autor in seinen Stücken zu bieten. Folgerichtig untertitelt Greenblatt sein Werk: Shakespeares Machtkunde für das 21. Jahrhundert. Seit Beginn seiner Karriere anfangs der 1550er Jahre interessierte sich Shakespeare dafür, wie es geschehen kann, dass ein Land in die Fänge eines Tyrannen fällt. Zu dieser Zeit musste man sich sehr vorsichtig und behutsam mit dieser Thematik befassen, sonst konnte es geschehen, dass einem plötzlich der Kopf oder andere geschätzte Körperteile abhanden kamen. Freie Meinungsäußerung war kein Bürgerrecht, Theater wurden bei unliebsamen Stücken geschlossen oder abgerissen. Shakespeares „Trick“ dem zu entgehen bestand darin, dass er die Handlung seiner Stücke in frühere Zeiten und andere Länder verlegte. Der Erfolg gab ihm recht. Ihm war es wichtig Unterhaltung für die Massen zu machen, dabei waren ihm Amüsement und Inhalt gleich wichtig. Wer wollte und dazu in der Lage war konnte im Theater auch immer wieder politisch relevantes finden. Diese Relevanz hat sich bis ins 21. Jahrhundert gehalten. Die Art und Weise wie Narzissten und Egomanen sich den Weg zur Macht bahnen ohne sich um Werte, Mitmenschen und Gemeinwohl zu scheren ist noch immer dieselbe. Putin, Trump, Erdogan, Kim Dingens und wie sie alle heißen interessiert doch nicht das Volk, außer um es für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Macht ist ihr Ziel, sei es um den Reichtum in ihrem Sinne zu verteilen, sei es zum puren Selbstzweck. Brilliant und scharfsichtig beginnt Greenblatt anhand des englischen Rosenkrieges, Inhalt eines seiner frühen Stücke, aufzuzeigen wie alles beginnt. Spannend und faszinierend liest sich das, aber auch zunehmend beängstigend: „Dieser Hass ist ein wichtiger Teil dessen was zu sozialen Zusammenbruch und schließlich zur Tyrannei führt. Er macht die Stimme des Gegners, ja den bloßen Gedanken an ihn fast unerträglich.“ So analysiert er in Heinrich dem VI. den jungen König der zu schwach ist diesen „Bruderkrieg“ zu unterbinden. Und auch in Deutschland und den USA ist dieser Hass auf den politischen Gegner wieder aufgekommen, wird forciert und genutzt von Machtmenschen, die nur ihr eigenes Interesse im Blick haben. Alles schon mal dagewesen. Wir wissen es, unsere Politiker wissen es doch entweder sind sie, wie Heinrich zu schwach oder sie glauben diese rasende Wut in ihrem eigenen Interesse kanalisieren und beherrschen zu können, oder sie sind absolute Egomanen denen jedes Mittel recht ist. King Lear, Julius Caesar, Macbeth, sie alle sind in verschiedenen Varianten auch heutzutage vertreten. So grandios und informativ Stephen Greenblatt hier seinen Shakespeare auf diese Thematik hin durchleuchtet, so niederschmetternd und furchteinflößend sind die Schlüsse die er zieht. Soziale Ungleichheit ist gewollt, ermöglicht die Kontrolle der Massen, bis sie so brutal wird, dass diese sich erheben. Daher sind all diese Tyrannen, Despoten und Egomanen in ihrem tiefsten Innern unglücklich, paranoid und vertrauen niemandem. Weder ihren Verbündeten und Mitläufern bis hin zu ihren Familienangehörigen. Was Greenblatt in seinem Buch darlegt ist eine exakte Analyse dieser Menschen und ihrer geistigen Verfassung und dies alles anhand der Stücke eines vor Hunderten Jahren verstorbenen großartigen Beobachters der menschlichen Natur und Seele. Trotz des unerfreulichen Themas ein großes, spannendes Lesevergnügen das ich gerne weiterempfehle. Unter anderem macht es auch Lust sich wieder an Shakespeares Klassikern zu erfreuen. Sie sich zu erlesen. Und am Ende resümiert Greenblatt: „…Shakespeare war überzeugt, die Tyrannen und ihre Günstlinge würden am Ende scheitern, an ihrer eigenen Bösartigkeit und an einem Geist der Menschlichkeit, der sich zwar unterdrücken, aber nie ganz ausrotten lasse. Die größte Chance lag für ihn im politischen Handeln gewöhnlicher Bürger.“ Eine Interpretation die sich wie ein Thriller quer durch die (englische) Geschichte liest.

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