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Rezension zu
Äquator

Die Rezension bezieht sich auf eine nicht mehr lieferbare Ausgabe.

Auf der Flucht

Von: Constanze Matthes
03.10.2018

Der Western ist nicht totzukriegen. Noch immer erscheinen Filme aus diesem Genre, noch immer widmet sich auch die Literatur diesem Kapitel amerikanischer Geschichte – der Besiedlung des Kontinents, der kriegerischen Auseinandersetzungen und der Vertreibung der Ureinwohner, der Auslöschung der gigantischen Büffel-Herden. Mehr und mehr geschieht diese Beschäftigung mit dieser Historie und den einstigen Geschehnissen in einer anspruchsvollen Weise. Der Roman „Butcher’s Crossing“ des Amerikaners John Williams (1922 – 1994), dessen wunderbare Werke wie „Stoner“ man hierzulande wieder neu entdeckte hatte, hat vor einigen Jahren mein Interesse an diesem Thema entfacht. Doch auch europäische Autoren verlegen die Handlung ihrer Romane scheinbar gern nach Übersee und in eine längst vergangene Zeit. Mit „Äquator“ hat der Franzose Antonin Varenne einen eindrucksvollen Western geschrieben, der allerdings den geografischen Rahmen der Handlung weiter gen Süden spannt. Wer womöglich bereits sein Buch „Die sieben Leben des Arthur Bowman“ kennt, wird eine Wiederbegegnung erleben. Bowman ist der Mann, der einst Pete Ferguson, den Held des neuen Romans, sowie dessen jüngeren Bruder Oliver auf seiner Farm in Nebraska aufgenommen hat. Denn Pete war während des amerikanischen Bürgerkriegs aus den Reihen der Soldaten desertiert. Eine Tat, auf die die Todesstrafe steht. Als er einen Mann tötet, ist der junge Mann erneut auf der Flucht, teils unter falschem Namen. Auf seinem ruhelosen Weg durch das weite Land – man schreibt das Jahr 1871 – wird dies nicht die einzige Gewalttat bleiben: Pete fackelt ein Land Office ab. Als er für eine Gruppe Büffeljäger arbeitet, tötet er einen weiteren Mann. Wieder muss er fliehen. Allerdings nunmehr mit einem besonderen Ziel vor Augen: Am abendlichen Lagerfeuer erzählt ihm ein Mitstreiter vom Äquator und jenem Land, das sich hinter dieser Linie befindet. Ein Land, das anders ist, in dem das Wasser die Flüsse hinauffließt, Menschen Steine in den Taschen tragen müssen, um nicht abzuheben. Pete reist weiter gen Süden. Er trifft auf Menschen, die ihn mit Misstrauen begegnen, andere sind ihm wohlgesonnen. Seine Reise ist sowohl voller Gefahren, auf Soldaten und feindliche Indianer zu treffen, als auch voller Entbehrungen. Sein Weg ist eine stetige Suche nach Nahrung und Wasser, die Einsamkeit plagt ihn. Er ist sowohl Begleiter als auch Gefangener. Mit einem Floss setzt er den Rio Grande über nach Mexiko. Mit einem Schiff erreicht er später Guatemala, wo er in ein Attentatsversuch auf den Präsidenten nach den Plänen eines Schriftstellers verwickelt wird. Dabei lernt Pete die Indio-Frau Maria kennen. Mit ihr an seiner Seite reist er weiter zu ihrem Volk, Nachkommen der alten Maya Kultur. Doch hier sind sie ebenfalls nicht sicher, sie fliehen erneut und kommen nach Guyana, wo eine Strafkolonie Frankreichs existiert, und lernen später eine Gemeinschaft kennen, wo Männer und Frauen getrennt leben. Auf der Suche nach dem Land am Äquator erreichen sie schließlich Brasilien. Während seiner gefährlichen wie kräftezehrenden Flucht über Tausende von Kilometern, ob allein, in Gemeinschaft einer Gruppe oder später in Begleitung Marias, lässt ihn seine Vergangenheit, allen voran die schwere Kindheit und seine Herkunft sowie die Menschen, die ihm etwas bedeutet haben, nicht los. Eingeflochten in die Haupthandlung geben Briefe Einblicke in diese Zeit und seine Beziehungen zu den Eltern, zu seinem Bruder und Freunden. Mit dieser überaus komplexen Ausgestaltung des Helden erweist sich „Äquator“ mehr als nur ein spannender Abenteuerroman. Pete ist ein Flüchtiger, ein stiller Getriebener, der eine neue Heimat sucht, einen gefälligen Ort, an dem er in Ruhe und Sicherheit leben kann. Allerdings ist er nicht frei von Schuld, wohl auch, weil er an den verschiedenen Orten seiner Reise in die unterschiedlichsten Interessenkonflikten hineingerät und oft auch zum Handeln gezwungen wird. Jene Zeit, in der er lebt, wird indes beherrscht von rauen Sitten und schwierigen Verhältnissen, von Unruhe. Varenne hat nicht nur ein vielschichtiges Porträt eines eindrucksvollen Helden geschrieben, der Leser beschäftigt sich während der Lektüre auch mit einem historischen wie noch immer brisanten Thema: mit der Unterdrückung der amerikanischen Ureinwohner durch die Siedler, die mit ihren Trecks, neuen Siedlungen und den Eisenbahn-Linien von Ost nach West den Kontinent erobern. Im Fall der Indios waren die Gegner die spanischen Eroberer. „Äquator“ ist ein facettenreicher Roman, der mich sehr mit seiner Geschichte eingenommen hat – dank bildhafter Landschafts- und Szenebeschreibungen und mit überaus lebendigen, nahezu filmreifen Dialogen. Warum der Franzose, der für seine Krimis mehrfach mit Preisen geehrt wurde, gerade die Neue Welt als Handlungsort auserkoren hat, lässt sich wohl mit Blick in seine Vita erklären: Nach seinem Studium reiste der 1973 geborene Varenne ausgiebig durch die USA und Mexiko. Sein neuestes Buch lässt den Leser nicht nur durch Amerika, sondern auch zurück in das 19. Jahrhundert reisen. Ein spannendes wie nachdenklich stimmendes Erlebnis!

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