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Reimer Gronemeyer und Michaela Fink: Unsere Kinder. Was sie für die Zukunft wirklich brauchen

Reimer Gronemeyer und Michaela Fink: Unsere Kinder. Was sie für die Zukunft wirklich brauchen

Wir sind in der High-Tech-Gesellschaft angekommen.

Den Staub der guten alten Industriegesellschaft haben wir von den Schuhen abgeschüttelt. Mit ihr verschwindet die stabile Familie, endet die Arbeit als Lebenszentrum, bröckelt der Wohlfahrtsstaat. Und auch das prinzipiengeleitete Individuum, das sich perfekt in Familie und Arbeitswelt einfügte, dankt ab. Stattdessen begrüßen wir die neuen flexiblen, beschleunigungsfähigen und mobilen Nomaden: unsere Kinder. Sie bewegen sich souverän im digitalen Zeitalter, nehmen die Welt so, wie sie ist, in Gebrauch. An der Vergangenheit sind sie wenig interessiert, auch an der Zukunft nicht sonderlich. Politik? Nein danke. Karriere? Ach ja.

Sind unsere Kinder eigentlich auf die globalen und lokalen Krisen, in die sie stürzen werden, vorbereitet? Sind sie imstande, sich die Zeitgeistzipfelmütze vom Kopf zu reißen, um sich auf den Weg zu machen, der aus der Ich-Gesellschaft herausführt?

Sind unsere Kinder also stark genug für diesen Weg? Und mit Stärke meinen wir nicht die Anabolica-Jungs mit Muskelshirt aus dem Fitnessstudio, auch nicht den kleinen Bengel, der mit seiner Mutter beim Kindertherapeuten sitzt und ihr von der Seite ein »fuck you« ins Ohr zischt. Ganz gewiss auch nicht die quengelnde Tochter, die ihre Mutter aus dem Kinderbett heraus terrorisiert, stundenlang. Mama muss bis zum Umfallen dableiben, weil die Tochter nicht einschlafen kann. Was sind das für Eltern, die, so konturlos wie Amöben, sich fest im Griff der Kinder befinden? Papa der Butler, Mama das Dienstmädchen. Das ist nicht Stärke, die hier vorgelebt wird. Da werden Ichlinge gezüchtet, in denen allenfalls der ranzige Narzissmus der Eltern wiedergeboren wird. Gefallsüchtige Mütter und Väter, die ängstlich in den Zügen der Kinder suchen, ob sie akzeptiert werden. Jeder Wunsch wird erfüllt, vom Schokoriegelreigen bis zur Playmobilhalde. So entwickeln sich kleine Egomanen, die ihre Eltern und Lehrer in den Wahnsinn treiben und selbst trostlose Gespenster sind. Mit der Welt verbunden durch Chips aus der Tüte und der Konsole auf dem Schoß. Diese Wracks haben eine große Chance, irgendwann bei der Kindertherapeutin Clara zu landen, die von solchen unglücklichen Wesen erzählt: dicke Jungs, die von ihren Müttern grenzenlos verwöhnt sind und dazu angeleitet wurden, die Welt als etwas zu begreifen, aus dem sie sich endlos bedienen können. Mama hält das Füllhorn schräg, sodass alles in den Mund rutschen kann. Groß und größer geworden sind sie in einer künstlichen Blase, wie es sie für immunkranke Kinder, die die Außenwelt nicht vertragen, gibt. Und wenn dann irgendwann Kontakt mit der Welt unvermeidlich ist, in der Schule zum Beispiel, dann fallen sie fassungslos in sich zusammen. Depressiv, gestört, lebensuntüchtig. Es hat ihnen ganz offensichtlich etwas gefehlt. Was? Ein Gegenüber. Erfahrung im Umgang mit der Wirklichkeit. Die Welt ist eben kein Supermarkt, in dem Mama an der Kasse sitzt und für ihren kleinen Engel alles über den Scanner schiebt.

Starke Kinder sind auch nicht die Früh-Egomanen, die in der Vorstellung leben, dass die Zukunft für sie schon perfekt eingerichtet ist, dass alles wie am Schnürchen laufen wird und der schicke Partner, der Spitzenjob, die Penthouse-Wohnung und das Cabrio für sie bereitstehen. Der mit Süßigkeiten vollgestopfte dicke Junge lebt ebenso in einer Kunstwelt wie das in Designerklamotten gehüllte kindliche Erfolgsmodell, das denkt, die Zukunft sei schon in trockenen Tüchern.

Über beide wird kübelweise Eiswasser ausgeschüttet werden. Diese Generation, die jetzt heranwächst, erbt vor allem eins: Krisen, die jeder aufzählen kann, der Zeitung liest oder die Tagesschau sieht: Europa ist nicht mehr das Gravitationszentrum der Welt, der Wohlstand ist von chinesischer und indischer Konkurrenz bedroht, man sieht es schon im Süden Europas. Die Kluft zwischen Reich und Arm wächst, und das wird auf Dauer nicht ohne schwere Konflikte abgehen.

Die Folgen des Klimawandels spüren bisher die Bewohner Schwarzafrikas; weit weg sind sie: Sie hungern oder fliehen – und landen dann hier bei uns. Aber da kommt noch mehr, die Klimakatastrophe ist nicht nur was für Afrika, das ahnen die Menschen.

Die Börsen sind wie im Fieberwahn – kein vernünftiger Mensch glaubt, dass diese Pokerrunde immer so weitergeht. Und im Inneren unserer radikalisierten Leistungsgesellschaft zeigen sich mehr und mehr Brüche: Die Zahl der seelisch Verkrüppelten wächst. Burnout. Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Störung (ADHS). Depression. Die Weltgesundheitsorganisation gibt die Devise aus, dass schon im Jahre 2020 Depression die weltweit häufigste Krankheit sein wird.

Es wird nicht so weitergehen wie bisher. Wer das nicht sehen will, handelt seinen Kindern gegenüber fahrlässig. Wir Europäer müssen uns warm anziehen. Und die Kinder werden es ausbaden, wenn wir diesen drohenden Eisregen ignorieren.

Unsere Kinder

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