Sie haben sich erfolgreich zum "Mein Buchentdecker"-Bereich angemeldet, aber Ihre Anmeldung noch nicht bestätigt. Bitte beachten Sie, dass der E-Mail-Versand bis zu 10 Minuten in Anspruch nehmen kann. Trotzdem keine E-Mail von uns erhalten? Klicken Sie hier, um sich erneut eine E-Mail zusenden zu lassen.
Header zu Keglevic, Ich war Hitlers Trauzeuge

SPECIAL zu Peter Keglevic »Ich war Hitlers Trauzeuge«

PETER KEGLEVIC IM INTERVIEW

In ihrem Roman erzählen Sie einerseits die letzten Wochen des „Tausendjährigen Reiches“ als Groteske, andererseits setzen siemit der Lebensgeschichte Harry Freudenthals den verfolgten und ermordeten Juden ein Denkmal. Groteske Komik und tödlicher Ernst – wie passt das zusammen?

Anders lässt sich tödlicher Ernst nicht ertragen. Man muss ihn, und die, die ihn verursachen, lächerlich machen und verhöhnen. Nur, indem man sich über das Ekelhafte und Widerwärtige lustig macht, es verspottet, es wortwörtlich nimmt und zitiert, wird das Widerwärtige decouvriert und in all seiner Peinlichkeit und Primitivität sichtbar.

Man darf also über den Nazismus lachen?

Selbstverständlich. Das sollten wir doch gelernt haben von Chaplin und Lubitsch bis zu Mel Brooks. Und vielleicht muss man gerade jetzt, wo die Gefahr besteht, dass Totalitarismen wieder schick werden, deren Auswüchse in der Geschichte, in unserer Geschichte, der Lächerlichkeit preisgeben. Und dabei trotzdem den vielen Opfern gerecht werden. Nichts anderes habe ich versucht.

In „Ich war Hitlers Trauzeuge“ muss Harry Freudenthal am Volkslauf „Wir laufen für den Führer“ teilnehmen und „1000 Kilometer für das 1000jährige Reich“ nach Berlin rennen statt nach Santiago de Compostela zu fliehen, um zu überleben. Der Lauf beginnt in Ihrem Roman zum 13. Mal am Ostersonntag 1945 in Berchtesgaden, am 20. April wird der Sieger am Brandenburger Tor erwartet und darf – das ist der 1. Preis – den Führer im Namen des deutschen Volkes zum Geburtstag gratulieren. Wie sind Sie auf dieses Ereignis gestoßen?

Die Nationalsozialisten benutzten vor allem auch den Sport, um ihren Machtanspruch öffentlichkeitswirksam zu inszenieren. Mit der Macht der Bilder kannten sie sich aus. So wurde für die Olympischen Spiele 1936 der Fackellauf mit dem „Olympischen Feuer“ erfunden. Den gab es vorher nicht: über 3000 Läufer, über 3000 Kilometer, in zwölf Tagen von Griechenland ins Berliner Olympiastadion! In Szene gesetzt von Leni Riefenstahl. Dazu die unzähligen regionalen Volksläufe zu Ehren von Hitlers Geburtstag, Leipzig mit seinem Völkerschlachten Marathon usw. Das alles diente dazu, den siegreichen deutschen Athleten zu erhöhen und als Beispiel für die deutsche Jugend, die wenig später im Krieg verheizt wurde. So gesehen ist der Volkslauf Wir laufen für den Führer! nur konsequent. Und auch dass Leni Riefenstahl noch 1945 anhand des 13. Laufes den großen Durchhaltefilm drehen soll, liegt auf der Hand. Wer sonst käme dafür in Frage? Ich denke, wer sich all der Absurditäten der Naziherrschaft bewusst ist, wird an meiner Version der Historie keinen Zweifel hegen. Und hatnicht Goebbels im April 1945 gesagt: „Meine Herren, in hundert Jahren wird man einen schönen Farbfilm über die schrecklichen Tage zeigen, die wir durchleben. Möchten Sie nicht in diesem Film eine Rolle spielen? Halten Sie jetzt durch, damit die Zuschauer in hundert Jahren nicht johlen und pfeifen, wenn Sie auf der Leinwand erscheinen.“

Zu Ihrer Version der letzten Tage und Wochen des Dritten Reiches gehört auch, dass Ihr Held Harry Freudenthal, der sich nach vielen Identitäten nun Paul Renner nennt, am 20. April in den Führerbunker gerät und den „Untergang“ miterlebt. Das sollen wir glauben?

Ja, auf jeden Fall. Es gibt so viele verschiedene Versionen dieser letzten Tage in Berlin von den Russen bis zu Joachim Fest, da ist die, die uns Harry Freudenthal überliefert, absolut konkurrenzfähig und genauso glaubwürdig. Ohne mehr zu verraten, als es der Titel eh schontut: Dass ausgerechnet Harry Freudenthal, den Eva Braun liebevoll „Pauli“ nennt, zum Trauzeugen wird, ist ja längst nicht alles, was im Bunker geschieht und bisher nur Eingeweihten bekannt war... aber lassen wir das, das steht ja alles detailliert im Roman.

Aber wirklich bezeugt ist die Geschichte Ihres Paul Renners/Harry Freudenthals, diesem letztlich einzigen Überlebenden einer großbürgerlichen, deutschnationalen jüdischen Berliner Zahnarztfamilie doch nicht?

Ja und nein. Jeder, der zu Harry/Paul etwas zu sagen hat, bringt seine persönliche Sicht, die wiederum ein anderer gar nicht kennt. Ist sie deswegen falsch? Unwahr? Die Summe des Erzählten ergibt ein Ganzes. Und macht Sinn. Der ehemalige US-Fallschirmjäger Lieutenant Joe Irving, zum Beispiel, dem Harry in New York wiederbegegnet, sagt ja ausdrücklich, dass er wesentliche Teile der Erzählung von Harry Freudenthal bestätigen kann, was diesen grotesken Volkslauf angeht. Skeptisch ist er nur, was die Pointe von Harrys Erzählung über seine Trauzeugenschaft etc. angeht.

Zurecht?

Das wird der Leser entscheiden. Der Lieutenant war jedenfalls nicht im Bunker, Harry dagegen schon. Ich fi nde daher die Geschichte von

Harry Freudenthal in jedem ihrer Details – und mögen sie auf den ersten Blick als noch so haarsträubend erscheinen – glaubwürdig.

Apropos Details? Wie lange haben Sie und wo haben Sie recherchiert?

Lange. Insgesamt hat es rund 20 Jahre gedauert, bis der Roman fertig war. Ich habe mich mit den Schicksalen untergetauchter Juden beschäftigt, damit, wie sie überlebt haben in Verschlägen, in Zwischenböden, in Kohlenkellern und Erdhöhlen – und auch, wie viele in ihren erbärmlichen Verstecken nicht überlebt haben. Ich habe viele historische Bücher, Berichte gelesen, Biografien, Dokumentationen und Durchhaltefilme gesehen. Ausstellungen. Dokumentationszentren. Fotografien. Fotografien. Fotografien. Und letzten Endes bin ich für die Recherche die Route des 13. Laufs teils mit dem Fahrrad abgefahren und teils zu Fuß gegangen. Ein bisschen war es wie bei einer medizinischen Langzeitstudie – die braucht auch ihre 20, 25 Jahre, damit die gefundene Aussage eine Berechtigung hat.

Was ist das denn für ein „Genre“, in dem Sie Harry Freudenthal seine Geschichte erzählen lassen? Hatten Sie Vorbilder? In der Literatur? Im Film?

Kein direktes Vorbild. Sicher gab es Anreize, aber im Laufe der Jahre verflüchtigen die sich auch wieder. Es waren eher Assoziationen. Das grandiose Gesamtwerk von HJ Syberberg, Andre Heller – mit dem Angstlied: „..und wir hielten uns umfangen/Weinten, warn ein furchtsam Nest...“ – Felix Krull; Heinrich Heine, Aus den Memoiren des Herren von Schnabelewopski. Immer geht es um die Kunst der Täuschung, um zu überleben. Wie ein Chamäleon, ein Schauspieler. Harry ist für mich auch ein wiederauferstandener Simplicissimus. Ein Schelm, ein Eulenspiegel, ein Narr in Christo. Aber eigentlich ist es immer die Parzival-Geschichte, die ewige Suche nach dem Gral. Gegen Ende der Arbeit habe ich mich von Quentin Tarantinos Inglourious Basterds ermuntern lassen und Roberto Benignis Das Leben ist schön hat mir gezeigt, dass man sich auch dem Furchtbarsten und Schrecklichsten mit Humor nähern darf.

GENRE