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Header zu Cognetti, Acht Berge

SPECIAL zu Paolo Cognetti

Interview mit Paolo Cognetti

Im Gespräch mit Paolo Cognetti über Männerfreundschaften, Berge und die Sehnsucht nach einem einfachen Leben
Vor einigen Jahren haben Sie sich einmal selbst als »Schriftstellerin mit Bart« bezeichnet, weil Ihre Texte immer weibliche Hauptfiguren hatten. Nun schrieb ein Rezensent, Ihr Roman sei das männliche Pendant zu Elena Ferrantes Bestseller Meine geniale Freundin. Wie ist es dazu gekommen?

In einer Zeit, in der die Geschichten über Frauen dominieren, wurde mein Wunsch immer stärker, von einer Freundschaft zwischen zwei Männern zu erzählen. Dieses Thema ist in der Literatur absolut unterrepräsentiert. Die Beziehungen zwischen Männern, zwischen Vater und Sohn, wie man zum Mann wird und was Männlichkeit heute bedeutet – das sind Themen, die mich schon lange beschäftigen. Befreundete Männer kommen oft ohne viele Worte aus, so auch die beiden Jungen in meinem Buch, Pietro und Bruno, denen der Leser über Jahrzehnte hinweg folgt. An die Stelle des Gesprächs tritt etwas anderes, was sie verbindet, was die Freundschaft überhaupt erst ermöglicht: die Berge. Ich sehe mich hier in der Tradition von Jack London, Mark Twain oder Ernest Hemingway und ihren Naturbeschreibungen.

Auf der Frankfurter Buchmesse 2016 hat Ihr Roman international für Wirbel gesorgt; viele Lektoren sahen darin ein Buch, das gut in unsere Zeit passt, weil es von der Nähe zur Natur erzählt. In Deutschland gab es ja schon einen Bestseller, der in den Bergen spielt, Robert Seethalers Roman Ein ganzes Leben. Ist das ein Zufall?

Nein, ganz bestimmt nicht. Bekanntermaßen gibt es ja eine immer größere Sehnsucht, die Stadt zu verlassen, um eine alternative Art des Lebens zu finden. Ich habe schon so viele Menschen getroffen, die den Film Into the Wild großartig finden, der auch für mich eine wichtige Referenz ist. Inspiriert hat mich auch Brokeback Mountain: Wie in dem Film, der auf einer Geschichte von Annie Proulx basiert, erlaubt auch in meinem Roman die Natur den Menschen, zu sich selbst zu finden und sich der eigenen Individualität zu stellen. Die Berge sind ein Ort der Wahrheit, der Aufrichtigkeit, fernab vom Maskenspiel der Stadt.

Sie verweisen gern auf den Klassiker des alternativen Lebens, auf Henry David Thoreaus Walden aus dem Jahr 1854.

Ich fühle mich Thoreau sehr verbunden, denn wie ich ist er ein Städter, der in die Wildnis hinauszieht. Wenn ich Romane von Autoren lese, die selbst in den Bergen aufgewachsen sind, merke ich, dass für sie die Natur eine ganz andere Rolle spielt als für mich. Für mich sind die Berge – und werden es auch immer bleiben – ein »Gegenort «, ein Ort des Glücks. Genauso geht es auch Thoreau, wenngleich er noch viel radikaler ist als ich. Am Ende von Walden stellt er fest, dass sein Leben ein immerwährendes Kommen und Gehen war von der Stadt aufs Land und wieder zurück in die Stadt. So ein Leben führe ich auch, denn mir ist es wichtig, mich manchmal auf Weniges zu beschränken und das Einfache zu suchen. Dann stellt sich das Glück ein.

Das einfache Leben, das Sie in Acht Berge beschreiben, hat einen zeitlosen Charakter – da klingelt kein Handy … In einer Rezension stand, Ihr Buch sei wie eine »Entgiftungskur«, da es den Hintergrundlärm unserer Zeit ausblende.

Ja, die Idee, die moderne Technologie außen vor zu lassen, war eine erzählerische Entscheidung, die in Teilen in meinem eigenen Widerstand gegen so manche Errungenschaft der Moderne wurzelt. Wir haben so viele Apparate, die uns das Leben erleichtern sollen, es gleichzeitig aber auch so viel komplizierter machen – auch mir gelingt es nicht immer, sinnvoll mit ihnen umzugehen.

Im Winter weigert sich Pietros Vater, in die Berge zu fahren, weil er die Skifahrer verachtet, die ohne die Mühen des Aufstiegs talwärts gleiten. Entspricht das auch Ihrer Vorstellung von den Bergen?

Für mich zeichnen sich die Berge durch eine große Würde aus. Etwas von ihr geht auf uns über, wenn wir uns in den Bergen beweisen. Sie sind eine Schule alter Werte, von denen manche in Vergessenheit geraten sind, die aber immer noch wichtig sind, wie zum Beispiel die Notwendigkeit, sich anzustrengen. Daneben empfinde ich auch Wut über ihre Zerstörung. Die Berge in Italien werden von uns Menschen verunstaltet. Der Ärger von Pietros Vater richtet sich auch gegen den Asphalt, die Straßen, die die Erschließung von Skigebieten mit sich bringt.

Ihr Roman zeigt, wie die Beschreibung eines Ortes manchmal mehr über den Charakter und die Befindlichkeit einer Romanfigur aussagen kann als viele gesprochene Worte. Gibt es hier einen Zusammenhang zu Ihrer früheren Arbeit als Dokumentarfilmer?

Das mag sein, wenngleich es mir vorkommt, als gehöre diese Arbeit zu einem anderen Leben. Seit einigen Jahren faszinieren mich Landschaftsbeschreibungen immer mehr. Ich lese sie gerne, weshalb ich neben Romanen und Erzählungen auch eine große Schwäche für Reiseberichte habe. In Acht Berge wollte ich durch die Landschaft etwas im Inneren der Geschichte bewirken. Die Natur sollte nicht nur als Hintergrund für die Handlung dienen, sondern etwas über meine Protagonisten erzählen, wenn diese schweigen. Die Berge werden zum Spiegel ihrer Gefühle. Wenn ich zum Beispiel den kühlen Frühlingsmorgen beschreibe, an dem Pietro und Bruno mit dem Wiederaufbau der Alm beginnen, dann ist das eine Art zu sagen, wie sich Pietro fühlt. Der ganze Roman funktioniert so. Daswar für mich die richtige Art und Weise, zum Wesenskern dieser introvertierten Figuren vorzudringen.

In Ihrem Buch spricht Pietro darüber, dass man Daheimgebliebenen nie wirklich vermitteln kann, was man oben in den Bergen erlebt hat. Sie versuchen genau das, allerdings ohne die von Ihnen sogenannte »Rhetorik der Berge« zu verwenden.

Ja, es gibt eine, zumindest für mich, unerträgliche Rhetorik der Berge, die ich vollkommen künstlich finde: das süßliche Empfinden der Schönheit, einer Lieblichkeit, das Gefühl, im Paradies zu sein. Ich habe mich bewusst dafür entschieden die entsprechenden Adjektive wie »zauberhaft«, »wunderbar«, »herrlich«, »fantastisch« nicht zu verwenden. Denn wenn man sich wirklich auf die Berge einlässt, stellt man schnell fest, dass das Leben dort ein anderes ist, als so manche idyllische Postkarte vermittelt. Es kann sehr schön sein, aber auch schwer zu ertragen – mit der Einsamkeit und der Stille. Die Natur ist majestätisch und unerbittlich zugleich, besonders wenn die Kälte kommt und die Dunkelheit …

GENRE