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SPECIAL zu Oliver Hilmes

Die Geschichte einer europäischen Patchwork-Dynastie

Rezension von Roland Große Holtforth

Der Komponist Richard Wagner stirbt im Februar 1883. „Seine“ Bayreuther Festspiele sind gerade einmal sieben Jahre alt. Was als Experiment begonnen hat, wird zur Mission seiner Witwe. Cosima Wagner stellt sich und ihre Familie völlig in den Dienst der Sache: der Pflege des Erbes ihres Mannes und „Meisters“. Sie macht aus den Festspielen eine kulturelle Institution, der sich in der Familie alles unterzuordnen hat; auch und gerade die fünf Kinder, von denen zwei der ersten Ehe mit Hans von Bülow und drei der Verbindung mit Richard Wagner entstammen. Sie bilden das Fundament einer bis heute fortgeführten Dynastie, deren Geschichte alles bietet, was man von einer echten Familiensaga erwartet: Liebe und Tod, Skandale und Affären, Intrigen und Machtspiele.

Zwei Männer, fünf Kinder
Alles beginnt mit einem Missverständnis; denn nichts anderes ist die Ehe von Cosima und ihrem ersten Gatten Hans von Bülow. Von Bülow sieht in ihr vor allem die Tochter seines großen Lehrmeisters Franz Liszt, Cosima fühlt mit dem sensiblen und hypernervösen Mann, achtet ihn, bringt zwei Kinder von ihm zur Welt, aber ihre große Liebe ist er nicht. Die findet sie in Richard Wagner. Er wird ihr Liebhaber und später, nachdem ihre drei gemeinsamen Kinder bereits geboren sind, auch ihr Ehemann. Die Zeit des Übergangs trägt burleske Züge, etwa als Cosima Wagner für kurze Zeit mit Ehemann und Geliebtem unter einem Dach lebt.

Im Schatten des Meisters
Bezeichnend für das bereits damals von Cosima verinnerlichte dynastische Prinzip ist die Bedeutung, die sie der Geburt ihres fünften Kindes Siegfried beimisst. Nun, da ein Stammhalter auf der Welt ist, kann und muss sie sich ganz dem Werk des Meisters widmen und sich endgültig von ihrem Mann trennen. Sie hat ihre Berufung gefunden und begründet einen Kult, der sich später, nach dem Tode Richard Wagners, auch auf ihre eigene Person ausweiten sollte: „Mit Cosimas endgültiger Entscheidung für Richard Wagner begann ein Prozess, der im Laufe der Zeit pseudoreligiöse Züge annahm.“ Cosimas Kinder wachsen nun vollständig im Schatten des Meisters und seiner Statthalterin auf.

„Es wäre besser, wenn sie nicht geboren wären!“
Für Daniela und Blandine, die leiblichen Töchter Hans von Bülows, ist dieser Schatten durchaus ein dunkler. Denn unterschwellig spüren sie, dass sie im Hause Wagner immer Fremdlinge bleiben müssen. Auch wenn der Komponist sich im Umgang mit den Stieftöchtern selten etwas anmerken lässt, so spricht eine seiner Äußerungen gegenüber Cosima doch Bände: „Es wäre besser, wenn sie nicht geboren wären!“ Obwohl sich Daniela lebenslang als Propagandistin der Wahnfriedschen Ideale betätigt und später, nach ihrer gescheiterten Ehe mit dem Kunsthistoriker Henry Thode, als alternde „Tante“ auch ihren Platz im Wagner-Kosmos einnimmt: Sie bleibt eine Fremde. Ebenso wie Blandine, die sich durch ihre Heirat mit einem sizilianischen Adligen – auch diese eine tragische Verbindung – räumlich von Bayreuth entfernt und doch den „Makel“ ihrer unwagnerischen Herkunft niemals ganz hinter sich zu lassen vermag.

Der Skandalprozess
Am Schicksal des dritten Kindes, Isolde, lässt sich die ganze Härte des dynastischen Prinzips beobachten. Nach ihrer Heirat mit Franz Beidler, einem von allzu großem Selbstbewusstsein geplagten Musiker, entwickelt sie sich für den Clan immer mehr zur persona non grata. Der Konflikt mündet in einen handfesten Skandal, als die Wagners die damals komplizierte Rechtslage zu Fragen der Vaterschaft nutzen und es tatsächlich schaffen, Isolde den Status als Tochter Richard Wagners aberkennen zu lassen. Als Folge des Prozesses werden nicht nur die Bettgeschichten Cosimas weidlich analysiert, auch die sexuellen Neigungen Siegfrieds drohen zum Gegenstand einer Pressekampagne zu werden. Letztlich rettet den Stammhalter nur der Ausbruch des Ersten Weltkriegs vor der Enttarnung als Homosexueller – es gibt plötzlich deutlich Wichtigeres als den Wagner-Skandal.

Dynastische Pflichten
Siegfried ist lange Zeit wenig geneigt zu heiraten. Es kursieren – teilweise auch belegbare – Gerüchte über seine Homosexualität, und der Clan erkennt: Hier muss etwas geschehen. Unter tätiger Mithilfe der Familie ehelicht Siegfried schließlich die deutlich jüngere Winifred; und, sehr zur Freude von Mutter und Schwestern: „Siegfried und Winifred erfüllten ihre dynastischen Pflichten gewissenhaft.“ Das Paar zeugte vier Kinder. Ob die vitale Winifred und der sich als Dandy gerierende Siegfried für einander bestimmt und miteinander glücklich waren, darf bezweifelt werden.

Die braunen Jahre
Ein besonderes Kapitel ist die Ehe der Eva Wagner. Ihr Mann Houston Stewart Chamberlain hatte sich über sie bewusst in den Clan des verehrten Meisters eingeheiratet. Der ebenso vulgäre wie schlaue Intrigant spielte nicht nur bei der Abkanzelung Isoldes eine entscheidende Rolle. Er war auch mit einer Art vaterländischer Patchwork-Ideologie zum Bestsellerautor avanciert. Sein Wort hatte in national-konservativen Kreisen Gewicht, und er war es schließlich auch, der einem damals noch relativ unbekannten Propagandisten namens Adolf Hitler zum Eintritt in höhere gesellschaftliche Kreise verhalf.
Tatsächlich stand der Wagner-Clan weitgehend geschlossen, sehr früh und bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges hinter dem Führer. Mehrmals bewahrte das NS-Regime die Festspiele vor der Pleite, indem man enorme Kartenkontingente aufkaufte und so auch Gelegenheit bekam, Bayreuth als Bühne für Inszenierungen der eigenen Größe zu missbrauchen. Winifred Wagner gehörte zu den hingebungsvollsten Verehrerinnen Hitlers – und manche Stellen des Buches legen nahe, dass es auch die (vermeintliche) Virilität Hitlers war, die sie anzog; möglicherweise als willkommenen Kontrast zu ihrem Ehemann.

Lebendiges Drama
Oliver Hilmes, der sich in der Biografie Herrin des Hügels bereits ausführlich Cosima Wagner selbst gewidmet hat, kennt seinen Gegenstand genau. Er weiß, dass er das Drama, das sich vor dem Auge des Lesers entfaltet, lediglich behutsam neu inszenieren muss, die „Uraufführung“ war stets das Leben der Wagners selbst: „[Es] gehört … zu den Besonderheiten der Wagner-Dynastie, dass selbst intime Details des Familienlebens auf die Bühne der großen Öffentlichkeit gezogen wurden … Die Wagners haben zweifellos ein großes Gespür für Theatralik und dramatische Inszenierungen.“ Hilmes ist ein souveräner Regisseur dieser Darbietung.

Roland Große Holtforth
(Literaturtest)
Berlin, Mai 2009

Cosimas Kinder

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