Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens

Deutschland ist eine Alkohol-Nation: Rund ein Viertel der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland trinkt regelmäßig bis zum Rausch, ca. 1,6 Millionen sind abhängig.
Ein breites gesellschaftliches Problem – und doch fühlen sich Betroffene oft orientierungslos und alleingelassen. Habe ich überhaupt ein Alkoholproblem, wenn ich nicht täglich trinke? Wieso muss ich mich als Alkoholiker bezeichnen, wenn ich aufgehört habe? Kann ich auch ohne Reha und Anonyme Alkoholiker den Absprung finden? Und ist ein Leben ohne Alkohol nicht langweilig und freudlos?

»Ein Leben ohne Alkohol ist schöner und intensiver, als ich es mir je hätte vorstellen können«, sagt Nathalie Stüben, die selbst betroffen war. Die Journalistin räumt nicht nur mit Irrtümern auf, sondern erzählt auch schonungslos von ihren eigenen Erfahrungen. Sie nimmt Betroffenen Scham- und Schuldgefühle und vermittelt Gefährdeten an der Grenze zur Abhängigkeit Klarheit. Vor allem aber ist es ihr Anliegen, das Thema Alkoholabhängigkeit aus der Schmuddelecke zu holen und die Art und Weise zu verändern, mit der in Deutschland über Alkohol diskutiert wird.

Nathalie Stüben
© Puria Ravahi und Luca Köhler, Beech Studios, Rosenheim

Fünf Fragen an Nathalie Stüben

Bis zum 30. Lebensjahr haben Sie regelmäßig bis zum Absturz getrunken, seit Juli 2016 sind Sie nüchtern, wie kam es zur Wende?

Mir war schon länger klar, dass ich ein Alkoholproblem habe. Aber ich konnte mir nicht vorstellen, aufzuhören. Ein Leben ohne Alkohol, wie sollte das gehen? Muss ich mich dann Alkoholikerin nennen? Das fühlte sich für mich an wie ein lebenslanges Todesurteil. Also trank ich weiter, zuletzt alle drei bis vier Tage bis zur Besinnungslosigkeit. Wobei mein Leben nach außen hin noch zu funktionieren schien. Ich ging arbeiten, machte sogar noch Karriere, aber innerlich wusste ich, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis ich alles vor die Wand fahre. Im Juli 2016 wachte ich dann mal wieder mit einem nackten Mann neben mir auf, an dessen Namen ich mich nicht erinnern konnte. Vor mir ein Arbeitstag und in meinem Bauch dieser Schmerz, der mich nun schon viele Jahre begleitete. Das war alles nicht neu. Eher so der vertraute Horror. Aber dieser Morgen war anscheinend einer zu viel. Es gab keinen Paukenschlag, keine Erleuchtung oder so. Aber ich war so müde, ich war’s so leid, mich so zu fühlen. Und ich wusste: Ich höre auf zu trinken. Egal, wie ich mich nennen muss. Egal, was ich tun muss oder was andere dann von mir denken. Ich höre ganz auf zu trinken.

Wie haben Sie es dann geschafft, mit dem Trinken aufzuhören?

Mein Weg aus der Alkoholsucht verlief recht unkonventionell. Ich bin ja Journalistin. Und ich tat, was Journalistinnen so tun, wenn sie ein neues Thema angehen: Ich fing an zu recherchieren, besorgte mir Literatur und abonnierte die paar englischsprachigen Podcasts, die es damals gab. Jede freie Minute verbrachte ich mit Buch vor der Nase oder Kopfhörern im Ohr. Über Wochen, Monate und Jahre hinweg arbeitet ich mich ein. Verstand, was Alkohol wirklich mit meinem Geist und meinem Körper macht. Und mit meiner Seele. Begriff, wer von meiner Sucht profitiert und welche Rolle es spielt, wie unsere Gesellschaft Alkohol verharmlost. Das waren Recherchen, die mir intellektuell dabei halfen, mich einzuordnen und mir einen Reim drauf zu machen, warum das alles mit mir passiert ist. Parallel dazu befasste ich mich damit, wie Heilung funktioniert. Was hilft mir am besten, da dauerhaft rauszukommen? Wie kann ich mein Denken und meine Gewohnheiten so umkrempeln, dass es mir wieder gut geht? Mit welcher Geisteshaltung gehe ich idealerweise durchs Leben? Ich habe mich da querfeldein bedient, z.B. in der Verhaltenstherapie, der positiven Psychologie, in der Scham- und Verletzlichkeitsforschung, beim Yoga, in der Achtsamkeits- oder Meditationspraxis. Und dann habe ich ausprobiert, was für mich funktioniert.

Welche Rückschläge gab es?

Ich hatte keinen Rückfall, falls Sie das meinen. Seit diesem Morgen lebe ich nüchtern und ich hatte auch relativ schnell kein Bedürfnis mehr, Alkohol zu trinken. Aber es ist eben nicht damit getan, mit dem Trinken aufzuhören. Sucht hinterlässt in der Regel ein ziemliches Schlachtfeld, vor allem innerlich. In meinem Fall waren das zum Beispiel Selbsthass, Selbstzweifel und daraus resultierende Denkmuster à la: „Du kannst nichts, was bildest Du Dir ein, Du musst es allen recht machen, um akzeptiert zu werden.” Das kennen viele, die abhängig sind oder waren. Ist ja klar: Wer süchtig ist, enttäuscht sich permanent selbst, schämt sich in Grund und Boden, fühlt sich ständig schuldig. Da bleibt nicht mehr viel Selbstwert übrig. Dagegen wieder und wieder anzugehen, dieser tief verankerten (und deshalb bequemen) Angewohnheit, mich selbst fertig zu machen, zu widerstehen – das musste ich lange üben.

Warum sprechen Sie von „nüchtern“ und nicht von „trocken“?

Trocken klang für mich nach Angst und Verzicht. Es klang danach, ein Leben lang auf der Hut sein zu müssen, ein Leben lang befürchten zu müssen, wieder in den Abgrund gerissen zu werden. So erlebe ich meine Abstinenz aber nicht. Für mich ist sie ein Akt der Selbstbestimmung. Mein Leben heute ist das Gegenteil von Verzicht. Ich fühle mich nicht bedroht, sondern unabhängig. Dieses Gefühl transportiert das Wort „nüchtern“ für mich einfach besser.

Sie sagen, es gäbe Irrtümer, denen so ziemlich jeder Mensch mit Alkoholproblem aufsitzt, welche sind das?

Die Klassiker sind: Wenn ich nicht jeden Tag trinke, habe ich kein Problem. Ein Leben ohne Alkohol ist langweilig. Oder eben auch: Wenn ich abhängig bin und aufhöre, muss ich mich als Alkoholiker:in bezeichnen. Alle davon haben bei mir dazu beigetragen, dass es lange schlimmer werden musste, bevor es besser werden konnte. Das möchte ich ändern.

(c) Kailash Verlag.

Alkoholsucht: Mein Weg aus der Abhängigkeit