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SPECIAL zu Nagel »Was kostet die Welt«

Ein Gespräch mit Nagel zu seinem Roman „Was kostet die Welt“

Thorsten Nagelschmidt
© Harald Hoffmann
Ihr zweiter Roman erscheint jetzt und man könnte erwarten, dass es sich darin, wie im ersten, wieder um Musik dreht. Warum haben Sie sich dagegen entschieden?
Nagel: Für mich ging es in „Wo die wilden Maden graben“ gar nicht in erster Linie um Musik, trotzdem war das Thema mit dem Buch dann weitestgehend abgearbeitet.

Natürlich taucht auch in „Was kostet die Welt“ wieder Musik auf – allerdings diesmal eher negativ konnotiert, als nervende Belästigung in Form von Handyklingeltönen, SWR1-Beschallung, unerwünschten Ohrwürmern, Top 40 Band-Gemucke und Wirtshaus- oder Weinfestgegröle.

Mein Held Meise ist als Wirt und Müßiggänger durchaus vertraut mit der Popkultur. Er kennt trotz Geburtsjahr 1982 und Ostberliner Herkunft den Text von „Bohémien Rhapsody“ auswendig und leidet schließlich Höllenqualen, weil er unbedingt „Bizarre Love Triangle“ von New Order hören will – eins der wenigen Lieder, die im Roman positive Erwähnung finden.


Als Songwriter von Muff Potter wurden Sie immer sehr für Ihre Texte geschätzt. Gibt es Themen, die geblieben sind und jetzt in Ihre Romane einfließen?
Nagel: Ich habe für Muff Potter an die hundert Texte geschrieben, da wiederholen sich Themen, überschneiden sich, und das taugt, wenn man will, auch zur Selbstreflexion – „Warum komme ich immer wieder auf dieses eine Thema zurück, wieso fasziniert mich dieser Gedanke?“ Fragen von Herkunft und Heimat etwa, Rastlosigkeit und Heimweh, unterschiedliche Bedürfnisse, die sich scheinbar widersprechen. Einiges davon taucht auch in "Was kostet die Welt" auf.

Noch wichtiger als das Inhaltliche war mir aber immer der Stil. Also nicht nur, was man zu sagen hat, sondern vor allem, wie man es tut. Die Sprache, der Humor, der Rhythmus, das Pathos. Da merke ich beim Schreiben schon, dass es mir hilft, lange Jahre Songtexte geschrieben zu haben.


Ihr Roman zeichnet sich durch viele sehr intensive Schilderungen aus – man könnte denken, Sie hätten die Geschichte selbst durchlebt.
Nagel: Ich wäre vermutlich ein sehr schlechter Autor, wenn ich nicht in der Lage wäre, dieses Gefühl zu erzeugen. Zu erklären, an welcher Stelle wie viel Prozent Selbsterlebtes drinsteckt, möchte ich aber vermeiden, das wäre, wie einen Witz zu erklären.

Es ist mir aber wichtig zu betonen, dass es sich bei "Was kostet die Welt" um Fiktion handelt, und insbesondere um fiktive Charaktere. Ich bin nicht Meise, und Meises Familie ist nicht meine Familie.


Der Name Ihres Protagonisten, Meise, eine Abkürzung des Nachnamens, erinnert natürlich an Nagel.
Nagel: Ich habe lange überlegt, sowohl dem Helden als auch mir selbst mit diesem Buch einen seriösen Vor- und Nachnamen zu geben. Um den Eindruck von Berufsjugendlichkeit zu vermeiden. Ich habe die Idee aber letztendlich wieder verworfen. Es fühlte sich einfach nicht richtig an. Es gibt ja auch noch Madonna, Prince oder Pelé, in diese Armee nachnamenloser Künstler reihe ich mich gerne ein.

Und Tobias Meissner alias Meise stellt sich sowieso am liebsten mit falschem Namen vor.


Ein zentrales Thema des Romans ist das Reisen. Was bedeutet es für Sie?
Nagel: Eine Parallele zwischen mir und Meise: wir haben beide sehr spät angefangen, zu reisen. Ich wollte immer soviel Musik machen und schreiben wie möglich, dabei nur so viel arbeiten, wie nötig. Ich habe nie eine Ausbildung oder ein Studium begonnen, mich über zehn Jahre lang mit Nebenjobs über Wasser gehalten, bis ich endlich halbwegs von der Kunst leben konnte. Das heißt: ich war einen Großteil meines Lebens arm, wenn auch als Musiker in einem recht privilegierten Sinne.

Was zu so absurden Situationen geführt hat wie der, in einem Hotel zu übernachten, wo eine Nacht genauso viel kostet wie die Miete des WG-Zimmers, von der man noch nicht weiß, ob man sie nächsten Monat aufbringen kann.

Irgendwann war da auf einmal etwas mehr Zeit, etwas mehr Geld, und in mir wuchs das Gefühl, außer Backstageräumen und Autobahnen recht wenig von der Welt gesehen zu haben. Also begann ich, zu reisen.

Ähnlich wie Musik und Literatur ist das Reisen etwas, das mir niemand beigebracht hat, das ich mir selbst erschließen musste. Wahrscheinlich sind mir diese Dinge genau deswegen jetzt so heilig.


Meise beschäftigt sich eingehend mit dem Unterschied zwischen dem Leben in der Großstadt und dem Landleben. Warum ist der Unterschied so gewaltig – und ist er es überhaupt?
Nagel: Man tendiert ja dazu, zu glauben, dass es dank Globalisierung und Internet kaum noch Unterschiede gibt, aber das ist nicht ganz richtig. Vor allem für einen in (Ost-)Berlin geborenen Tunichtgut wie Meise – man könnte für ihn auch den euphemistischeren Ausdruck Bohemian verwenden – , hat so eine Reise in die westdeutsche Provinz ein paar Kulturschocks zu bieten.

Zigarettenautomaten mit Reval und Roth-Händle statt Gauloises, kein Frühstück mehr um elf Uhr vormittags oder die Erkenntnis, dass der Begriff "Stammtisch" nicht nur eine Metapher ist. Mit solchen Kleinigkeiten fängt es an, hört da aber noch längst nicht auf.

Meise wird bei seinen Gastgebern, der traditionsreichen Winzerfamilie Arend, mit einigen für ihn sehr irritierenden Dingen konfrontiert: Eine funktionierende Familie! Menschen, die sich mit ihrem Beruf identifizieren! Liebe zu Heimat und Natur!
Das alles ruft Erinnerungen in ihm wach, die er sich kaum zu denken, geschweige denn auszusprechen traut.

Sie kommen aus dem Münsterland, leben jetzt in Berlin. Was verbindet Sie mit der Mosel?
Nagel: Ich hatte die Idee für einen neuen Roman schon lange im Kopf, habe sogar schon angefangen zu schreiben, aber nie den richtigen Aufhänger dafür gefunden, das Setting. Irgendwann kam ich per Zufall ins Moseltal, auf ein Weingut, und da hat es KLICK gemacht. Ich wusste von einem Moment auf den anderen: hier wird meine Geschichte spielen, hieran kann ich mich reiben.


Muff Potter hat sich aufgelöst, Sie schreiben jetzt Romane – haben Sie die Musik jetzt komplett aufgegeben?
Nagel: Wenn ich mit einer etwas abgenutzten, aber dennoch sehr wahren Phrase antworten darf: Music was my first love, and it will be my last.