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SPECIAL zu Michail Schischkin - "Die Eroberung von Ismail"

Michail Schischkin im Gespräch mit Nikolai Alexandrow

Auszug aus einem Interview, erschienen im Oktober 2000 in der russ. Wochenzeitschrift "Itogi"

Michail Schischkin
© Evgeniya Frolkova
Lieber Michail, dein Roman Die Eroberung von Ismail ist in Zürich entstanden. Wie hat sich diese Perspektive auf das Buch ausgewirkt?

In Moskau wäre ich auf diesen Text gar nicht gekommen. Gleich nach meinem Umzug in die Schweiz ging ich daran, einen in Russland begonnenen Roman weiterzuschreiben, und kam nicht voran damit. Die dort ausgebrüteten Buchstaben nahmen hier plötzlich eine ganz andere Dichte an, sie bedeuteten auf einmal nicht mehr dasselbe, der ganze Roman handelte von etwas anderem. Ich stolperte über jedes Wort wie über eine zu hohe Stufe.
Der Umzug, genauer gesagt: der „Auszug“ aus meiner Umgangssprache hat mein Sprachverhalten wohl maßgeblich beeinflusst. Hatte ich bis dahin mit dem heutigen Russisch der Straße oder des Fernsehens Umgang gepflegt, so beziehe ich mich nun immer ausschließlicher auf das „Allzeitrussische“, das in meinem Bücherregal steht. Als herrschte an den Ufern der Limmat eine andere Schwerkraft: Jedes Wort aus dem russischen Tintenfass wiegt hier schwerer als im Herkunftsland. Was in Russland weithin ausgestreut, ausgegossen ist, in der Atmosphäre schwebt, sich abregnet, in den Gesichtern niederschlägt – hier erscheint es in jedem einzelnen kyrillisch geschriebenen und gedruckten Wort konzentriert, in jede Letter gestopft und gestampft. So kam dann dieser neue Roman zu mir, über die Alpen gewissermaßen. Wäre ich in Moskau gewesen, wäre er vielleicht mit der Metro gekommen. Es wäre einfach ein anderes Buch gewesen. Gekommen wäre es trotzdem.

Was ins Auge fällt, ist die Fülle von Zitaten und Anspielungen, die Vielfalt der Stile, der Erzählstimmen und -zeiten. Archaische neben moderner Rede, Memoirenhaftes, Vorlesungen, Gerichtsfall, Liebesgeschichte, Familienchronik. Alltag vor 1917 und Stalin‘sche Realitäten verschmelzen problemlos in einem Raum. Warum diese ausgesuchte Komplexität?

Über das Buch ist gesagt worden, es schnitten sich Zeiten und Räume in einer Person. Mir scheint, der Roman geht noch einen Schritt weiter. Keinen großen, aber man muss ihn tun. Eine simple arithmetische Operation: Sprachzeit multipliziert mit Sprachraum ergibt einen Stil. Normalerweise sind handelnde Personen die feste Bezugsgröße im Roman. Bei mir wird der Stil zur handelnden Person.

Es funktioniert nicht so, dass sich der Komsomolze der sowjetischen 1930er plötzlich in die russländische Zarin verwandelte. Es ist die russische Sprache, aus denen Komsomolze und Zarin gleichermaßen bestehen; sie sind miteinander darin eingeschlossen wie in einer Zelle und müssen damit klarkommen, müssen die russische Suppe auslöffeln, die ihnen jemand eingebrockt hat.

Die Reibung zwischen den Stilen ergibt die tragende Konstruktion des Romans, so wie ihn herkömmlicherweise der Konflikt zwischen Gut und Böse trägt, zwischen Wille und Vorsehung, dem großen ehernen Reiter und der gegen ihn erhobenen kleinen menschlichen Faust. Nicht bloß Satzenden reiben sich da aneinander, sondern Weltanschauungen.

Eine solche Mechanik, wo nicht Handlungslinien, sondern Stilmuster als Zahnräder ineinandergreifen – das Pathos eines Plewako (1); Tschechow; der Leidensweg der Gottesmutter; ein alter Spottvers, Kantemir (2), die Berichte fremder Russlandreisender, Vorlesungen in russischer Rhetorik, Strafbefehle etc. pp. – ist nicht etwa beliebig, man könnte nichts so einfach weglassen. Du extrahierst einen lateinischen Spruch oder ein Stück zotiger Folklore, und das Ganze fällt auseinander. So wie in einer Partitur jede Note ihren Platz hat, kann man in meinem Roman den Massenmörder Tschikatilo (3) ebenso wenig aus dem Bild von der Welt entfernen wie den Massenmörder Stalin oder Russland im Ganzen. Sonst kippt der Text. Jedes Einzelne wird gebraucht für die Große Harmonie. Von der der Roman ja letztlich handelt.

Der Überfluss an Zitaten (und letztlich besteht das Buch aus nichts anderem: wortwörtliche Übernahmen und Stilentlehnungen, reale und anzunehmende) ist kein Konzept aus dem Studierstübchen, keine Anwendung irgendeines -ismus. Es ist die natürliche Fortführung der Tradition.

Der Same des neuen Lebens keimt aus dem Humus. Ein Kompost aus den Substraten der Kindheit und allem Angelesenen ist die Grundlage der Reproduktion. Alles, was fault, zerfällt und sich als Kulturschicht ablagert, bildet den Humus, jenen „Müll“, aus dem es die Achmatowa in ihrem berühmten Gedicht (4) sprießen lässt. Mit der Zeit und den Generationen wird diese Schicht immer dicker und reichhaltiger (Nabokov ist einem fetteren Humus entwachsen als Tschechow, und bei denen, die nach Nabokov aus dem Misthaufen gekrochen kommen, ist er noch fetter – wobei sich das Verhältnis von Selbsterlebtem und Angelesenem nolens volens zu Letzterem hin verschiebt).

Natürlich muss ich mich abfinden mit Übertragungsverlusten, so wie man das Rauschen und Knistern in einer schlechten Telefonleitung hinzunehmen hat. Doch immer in der Hoffnung, dass da irgendwo ein Leser ist, zu dem ich einen direkten Draht habe. Wo nichts verloren geht. Der sofort merkt, dass zum Beispiel jenes „Letzte Wort“, das anhebt als Monolog einer Strafgefangenen in der Stalinzeit, übergeht in die Schlusssätze russischer Romane (und ein Roman hört auf mit dem Weltende, und das letzte Wort ist das wirklich letzte unter dem Himmel, „wie ein eingewickelt Buch“ (5)) – und von den letzten Worten sterbender Personen im Roman, die die Textwelt beschließen, hinüber zu den letzten Worten, die wirkliche Menschen einmal vor ihrem Tode gesprochen haben.

Wer taucht und die Hand ausstreckt, ertastet irgendwann Grund – jeder den seinen. Für die einen ist das am Ende stehende „Ja.“ ein anonymes Wort. Für den anderen das „Yes“ des Ulysses. Oder Chlebnikows (6) letztes Wort auf die Frage einer Bäuerin – jener, in deren Haus der Tod über ihn kam: ob Sterben denn wehtue. Es könnte aber auch mein Ja sein zu dieser niemals zerfallenden, weil von Groll und Sperma und wenn schon nicht Liebe, so Liebesverlangen zusammengehaltenen Welt.

Oder das große abschließende Urteil, das rein aus Zitaten gebaut ist. Etwas wie die Zuspitzung des Verfahrens, seine Offenlegung. Die Packungsangabe, aus welchen Ingredienzien der Brei besteht. Man könnte es auch eine Stil-Anamnese nennen.

Und die Freizügigkeiten in den Erzählzeiten, woher kommen die?

Sprache mag Präteritum und Futurum als grammatische Zeitformen haben, doch sie hat weder Vergangenheit noch Zukunft. Ewig fährt der Bunin‘sche Zug durch die Camargue (7), immer aufs Neue wird dieses lebenspralle Weibchen das Abteil betreten und wieder verlassen, immer wird ihr einer seufzend hinterhersehen und an den eigenen Tod denken, der längst keine Angst mehr macht, lebendiger erscheint als das Leben. Im Raum der Worte dreht die Zeit durch wie eine Schraubenmutter mit defektem Gewinde. Auf jeder beliebigen Zeile lässt sie sich neu eröffnen. Hundertmal kannst du die Seite eins aufschlagen und Ihn dazu bringen, Himmel und Erde zu erschaffen und übers Wasser zu gehen. Versuch es gleich nachher, es wird wieder klappen.

Der Meridian meines Ismail geht quer durch das russische Schrifttum.

Auch der Gang der Dinge in deinem Buch, sein Erzählfluss, kann Irritationen hervorrufen. Es gibt keine Progressivität, statt dessen eine Verknüpfung unabgeschlossener Sujets, flüchtig auf- und wieder abtauchender Personen und Situationen. Wie ist der Roman organisiert?

Was den Text vorantreibt, ist der Konflikt zwischen den traditionellen Zentripetalkräften der Romanlogik (das Leben eines Advokaten, sein Verhältnis zu Frau und Kind, Erinnerungen an das Elternhaus, die diversen „Fälle“ seiner Laufbahn usw.) und denen, die diesen Fluss hintertreiben (das Leben des Autors mit Frau und Kind, Erinnerungen an das Elternhaus etc.) Die Realvariante jener prototypischen Konstellationen, die als Ausgangsmaterial für künstlerische Prosa herzuhalten pflegen, beginnen das Romangewebe an verschiedenen dünnen Stellen zu durchstoßen, bis die Fiktion am Ende reißt und die Realität ungehemmt einschießt …

Vielleicht sind die Figuren eher nach den Regeln anderer Genres angelegt: Keiner hört sich La Traviata an, um zu erfahren, ob Alfredo und Violetta sich am Ende kriegen oder nicht. In der Oper ist die Stimme schon lange der eigentliche Held … Herkömmliche Lesererwartungen – zum Beispiel dass einmal exponierte Figuren früher oder später wieder auftauchen müssen – werden in meinem Roman nicht oder eben auf andere Weise bedient, denn die unentwegt neu auftauchenden Figuren entpuppen sich als Wiedergänger der vorigen, genauer gesagt, als Teil von ihnen, sie lassen sich zerlegen wie Wörter in Vorsilbe, Wurzel, Suffix, Endung – gemeinsam bilden sie ein Ganzes, ein Figurenparadigma, wenn Sie so wollen.

So bilden sich die Figurenauftritte auf dem Lebenskreis ab: Geburt, erste Liebe, ein Kind wird zur Welt gebracht, bis hin zum Tod. Individualität geht unter in zahllosen Details, darüber erhebt sich die „Empfindung des Lebens“ als das eigentliche Agens im Text.

Auf einer übergeordneten Ebene zeichnet der Roman – dem Gerichtsthema gemäß – einen Prozessverlauf nach: Vereidigung, Verlesung der Anklage, Auftritte von Sachverständigen, Zeugenbefragungen, Plädoyers – bis hin zu den Letzten Worten der Angeklagten und zur Urteilsverkündung. Das ist natürlich eine parodistische Linie, die Abschweifungen, Sprünge, Umdeutungen zulässt.

Zuletzt bekommt diese Metapher ihre logische Vollendung, und der Prozess verwandelt sich in eine – durchaus unspektakulär und alltäglich anmutende – Art Jüngstes Gericht, verbunden mit einem (meinem?) Freispruch – beziehungsweise dem Versuch, sich selbst freizusprechen.

Die Eroberung von Ismail ist unübersehbar der Versuch, Russlands Geschichte des 20. Jahrhunderts abzubilden. Aber zuletzt ist diese Historizität jäh außer Kraft gesetzt durch einen lyrischen, explizit autobiografischen (stimmt das überhaupt?) Epilog. Wozu nun das?

Während der Leser im traditionellen Roman von einem Anfang zu einem Ende geführt wird – von der Geburt des Helden bis zu seinem Tod, von der Guillotine zur Gaskammer, von der Selbstbefriedigung zur Hochzeit, jedenfalls immer schön voran –, wird Ismail in meinem Buch auf dem Weg nach innen erobert: vom Blatt zum Zweig, vom Zweig zum Ast, und immer so fort.
Mein Ismail ist sozusagen der totale Roman, ein Roman über alles.

Über die Freuden des Sammlers, der nicht am Wert eines alten Thermometers zweifelt, er muss bloß denjenigen finden, der ebenfalls Thermometer sammelt, damit er die Freuden mit jemandem teilen kann – so wollte ich die Freude an der Sprache mit meinem Leser teilen.

Ein Roman über die Bezwingung des Lebens – durch Sammeln und durch Kinderzeugen, anders nicht. Das bewahrt nicht vor Leichenflecken, bringt aber Trost. Die Freude am Wort und die Freude am Kind macht dieses aus Leben und Tod bestehende Leben unterm Strich sehr schön.

Ein Roman über die Unmöglichkeit, sich von Russland zu befreien. Man kann ausreisen, wohin man will, in die Alpen oder in die lateinische Schrift: Die russische Fellmütze mit den Ohrenklappen kriegt man nicht vom Kopf.

Ein Roman über meinen Vater. Über meine Mutter. Deren beste Freundin, die ich aus irgendeinem Grund für längst tot hielt, hat nach der Erstveröffentlichung des Romans in der Zeitschrift Snamja meine Adresse herausgefunden und mir einen zwanzigseitigen Brief geschrieben. Darin ging es um meine Mutter und meinen Vater und ihr Leben, das ich so nicht kannte und nicht kennen konnte.

Am Ende also ein Roman darüber, dass man nicht sterben kann, solange man jemanden liebt.


(1) Fjodor Plewako (1842-1908), berühmter, rhetorisch versierter Moskauer Strafverteidiger
(2) Antioch Kantemir (1708-1744), satirischer Dichter und Diplomat
(3) Andrej Tschikatilo (1936-1994), Schullehrer aus Rostow, der zwischen 1978 und 1990 mindestens dreiundfünfzig Kinder ermordete
(4) „Und wüssten Sie, wie ohne jede Scham / Gedichte wachsen, und aus welchem Müll!“ (Berufsgeheimnisse 2, 1940, Ü: Rainer Kirsch)
(5) Offenbarung 6 (Luther 1545)
(6) Velimir Chlebnikow (1885-1922), futuristischer Dichter
(7) Iwan Bunin, „Camargue“ (Erzählung, 1944)





Michail Schischkin im Gespräch mit Jelena Djakowa

Auszug aus einem Interview, erschienen im Oktober 2005 in der russ. Zeitung "Nowaja Gaseta"

Bei seinem Erscheinen las sich Die Eroberung von Ismail wie ein Buch Exodus. Eine Endabrechnung mit Sprache und Raum. Der Text selbst glich den Ruinen der Festung, im Stich gelassene Gebäude: Fragmente über das Russland der 1880er, 1970er, 1990er Jahre, die nie mehr zu Ende geschrieben werden würden. Mit Unmengen Zitatsplittern darin: das musste einer schon sehr geliebt haben, um es so zu erinnern, Steinchen für Steinchen. Als hätte es einmal eine für unzerstörbar gehaltene Wand aus kyrillischen Buchstaben gegeben, gegen die jemand dann so unerträglich fies und ungestraft hämmerte, bis sie einstürzte … Die Eroberung von Ismail konnte eigentlich nur das letzte Buch dieses Autors auf Russisch sein.

Schriebe man ein Buch nicht so, als wäre es das letzte, bekäme man es nie fertig. Während ich am Ismail arbeitete, zweifelte ich tatsächlich nicht daran, dass danach nichts mehr kommen konnte … Das Buch ist recht hermetisch, keine Frage. Ist dort vom Leben die Rede, dann ist nicht das Leben auf der Erde gemeint, sondern das in Russland. Und man darf nicht vergessen, dass sich darin Moskau in den 1960ern spiegelt, wo Kindern beigebracht wird, dass man das Leben wie eine Festung bezwingen muss.

Also wurde aus der Bezwingung Russlands die Bezwingung des Lebens an sich.

Eine Zeitlang hatte ich dann tatsächlich das Gefühl, als würde ich nichts mehr schreiben können, weil alles schon im Ismail stand. Finito, so empfand ich es und hatte Angst, dass dem tatsächlich so war.

Doch die Zeit vergeht, und irgendwann begreifst du: König Herodes, das ist nicht Russland. Überhaupt geht es nicht um Geografie, sondern um die Zeit. Das zu wissen ist wichtig: dass es noch andere Menschen in anderen Ländern gibt. Dass Gott nicht Russland geschaffen hat, sondern Himmel und Erde. Und Russland ist ein Teil der Welt. Kein Fluch, der uns auferlegt ist.

Jahrhundertelang hat das Russische nur in zwei Aggregatformen existiert: als Ukas (8) von oben, und als Mat (9) von unten. Zwei Kehrseiten desselben Bewusstseins. Die beiden koexistierten hervorragend miteinander. Die Wirklichkeit hat eine Sprache aus nackter Gewalt und Erniedrigung geschliffen.

Im 18. Jahrhundert wurde mit der Idee von der Menschenwürde auch die russische Literatursprache geboren. Es gab damals keine Worte dafür, sie mussten erst erschaffen werden: Zuneigung. Menschlichkeit. Literatur. Die russische Literatursprache zwängte sich in den Spalt zwischen schroffem Anschiss und brünstigem Stöhnen. Und errichtete eine hohe chinesische Mauer zwischen dem Volk und der Macht.

Doch in Zeiten, wo Mat und Ukas wieder zueinanderrücken, geht der Literatursprache die Luft aus. Ihr knacken die Knochen in dieser Umklammerung. Und wenn sie nicht sterben will, muss sie heraus aus diesem Zwang.

Vor Zeiten kam die Kunstsprache der Sowjetmacht über uns, es war der Leib, in dem sie existierte. In den 1990ern verschwand sie, und der Lager-Slang wurde nach oben gespült, er füllte den frei gewordenen Raum aus, quer durch das ganze Sozium.

Wenn aber alle nach den Gesetzen des Lagers leben, dann ist die Sprache nur das Mittel zum kalten Krieg, jeder gegen jeden. Wenn der Starke unbedingt den Schwächeren auf den Kopf hauen muss, dann ist die Sprache das verbale Mittel dafür. Erniedrigen, beleidigen, die Ration wegfressen, das ist das ganze Alphabet.

Russland hat zu allen Zeiten nur dieses eine Gesetz gekannt: das Recht des Stärkeren. Und Stärke bemaß sich viel eher an schimpflichen, denn an ehrenwerten Kategorien. Es ist ein großartiges Land für die Starken und ein hundsmiserables für die Schwachen. So war es vor 1917, so war es danach, so ist es bis heute.

Ich bin 1995 ausgereist, fahre nur mehr gelegentlich hin. Dann bin ich immer sehr angetan, wie Moskau sich verändert: mehr Formen und Farben, Licht, schöne Menschen, Kinderspielplätze auf den Höfen. Aber wenn die Euphorie nachlässt, siehst du, dass sich in den grundlegenden Beziehungen zwischen den Menschen nichts geändert hat. Es ist ätzend und gefährlich, schwach zu sein. In Moskau wie nirgends sonst.


(8) Dekret eines Zaren oder Präsidenten, das gesetzlich bindend ist
(9) Vulgärsprachsystem im Russischen, das aus vier Tabuwörtern komplexen Sinn generiert





(Deutsch von Andreas Tretner)

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