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SPECIAL zu Mark Haddon

Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone

Rezension von Brigitte Palm

Christopher Boone ist 15 Jahre alt und ein hochintelligenter Bursche. Er kennt alle Primzahlen bis 7507, und wenn er sich entspannen will, rechnet er im Kopf mit Quadratzahlen und Wurzeln. Er stellt kluge Betrachtungen über das Weltall an und bewältigt schwierige mathematische und logische Probleme im Handumdrehen. Außerdem kennt er die Namen aller Länder und ihrer Hauptstädte. Seine Sonderschullehrerin Siobhan, die viel Verständnis für ihn hat, hat ihm geraten, mal ein Buch zu schreiben, das er selber gern lesen würde. Man mag sich wundern über die Sonderschule, aber das hat schon seine Richtigkeit. Christopher ist Asperger-Autist und kann zwar mit Fakten hervorragend umgehen, aber nicht mit Menschen.

Asperger-Autisten haben Probleme, emotionale Reize zu erkennen, es mangelt ihnen an Empathie, an der Fähigkeit sich in andere hineinzufühlen. Sie können Empfindungen nicht vor ihrem emotionalen Hintergrund erkennen und keine differenzierten Affekte erfassen. Gesichter nehmen sie wie Gegenstände wahr, sie sind blind für Mimik und Körpersprache. Um diesen Autisten beizubringen, was Mienenspiel bedeutet, verwendet man Smileys zur Illustration. Es fehlen ihnen sozusagen die Sensoren für die Spielregeln der Menschenwelt in ihrer ganzen Komplexität. Dabei sind sie jedoch keineswegs gleichgültig oder gefühllos. Nur ist die Welt in all ihrer Fülle für sie eine elementare Bedrohung, daher sind sie sehr misstrauisch und fühlen sich eigentlich nur in ihrem Einpersonenkosmos sicher.

Christopher sieht alles und behält alles, aber er kann es nicht seiner Bedeutung nach einordnen, für ihn ist alles gleich wichtig oder unwichtig. Er liebt Listen, Tabellen und Stundenpläne. Da alles ungefiltert auf ihn einströmt, muss er mit ihrer Hilfe versuchen, eine Ordnung in die Dinge zu bringen. Das führt manchmal zu merkwürdigen Ergebnissen: da Christopher die Farbe rot liebt, zählt er Autos, wenn er mit dem Bus zur Schule fährt. Sieht er fünf rote Autos in einer Reihe, wird das ein superguter Tag für ihn, sieht er drei oder gar vier gelbe, ist es ein schwarzer Tag, an dem er, wenn möglich, völlig passiv bleibt. Denn alles was gelb und braun ist, hasst er. Alles Unvermutete, alles, was er nicht vorher erfährt, versetzt ihn in Panik.

Streitereien von Erwachsenen kann Christopher nur damit begegnen, dass er das Radio genau zwischen zwei Sendern einstellt und so nur ein lautes Rauschen hört. Und er hat eine Menge Ticks, die er im Buch selber auflistet. Er kann es nicht ertragen, wenn man ihn anfasst, er spricht und isst lange Zeit gar nicht. Alle Menschen, die nicht zu seiner Familie gehören sind Fremde für ihn, und Fremde machen ihm Angst, daher schlägt er um sich und schreit, wenn er eine Situation für bedrohlich hält. Um sich zu schützen trägt Christopher ständig ein Schweizer Armeemesser mit sich herum, er lächelt nie, er spricht nicht mit anderen Leuten und so geht es weiter.

Tatsächlich ist er noch niemals weiter als bis zum Ende der Straße von Swindon gegangen, einer kleinen Stadt in der Nähe von London. Hier wohnt er mit seinem Vater, einem Heizungsmonteur allein, seit seine Mutter vor zwei Jahren gestorben ist. Jedenfalls hat man es ihm so erzählt. Christopher geht gern nachts spazieren, wenn niemand sonst auf der Straße ist. Nur dann fühlt er sich sicher.

Christopher hat also eine Menge Probleme, aber sie sind gepaart mit einer aus dem Rahmen fallenden Intelligenz. Und dadurch unterscheidet er sich erheblich von seinen schwerbehinderten Mitschülern. Es ist ihm bewusst, dass er der Klügste unter ihnen ist, und er erreicht, dass man ihm seinen sehnlichsten Wunsch erfüllt, erst das Matheabitur und später dann noch das in höherer Mathematik und Physik machen zu dürfen. So etwas hat es an seiner Schule noch nie gegeben, aber man vertraut blind darauf, dass er das schafft, wenn er seine fast gelehrten Exkurse in diesen Fächern liest.
Eines Nachts nun findet Christopher den Pudel Wellington seiner Nachbarin Mrs. Shears - erstochen mit einer Mistgabel.
"Ich zog die Mistgabel aus dem Hund, nahm ihn in die Arme und drückte ihn an mich. Aus den Wunden tropfte Blut.
Ich finde Hunde gut. Man weiß immer, was sie denken. Sie haben nur vier Stimmungen: glücklich, traurig, ärgerlich und aufmerksam. Außerdem sind sie treu. Und Hunde lügen nicht, weil sie nicht sprechen können."

Christopher gerät zunächst in den Verdacht, den Hund selber umgebracht zu haben und verbringt die Nacht auf der Polizeiwache. Und hier kommt ihm die Idee für sein Buch: Er mag eigentlich keine Romane, nur Sachbücher, aber Sherlock Holmes verehrt er, weil dieser wie in einem Puzzle die Verdachtsmomente zusammenträgt. So etwas liebt er und genauso will er es auch machen. Als er seinem Vater, der ihn bei der Polizei abholt, von seinem Vorhaben berichtet, verbietet dieser ihm streng, seine Nase in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken, ein Ausdruck, den Christopher nicht begreift, weil er alles wörtlich nimmt. Jedenfalls gehorcht er seinem Vater nicht, nimmt seinen ganzen Mut zusammen und beginnt mit seinen Nachforschungen bei den Nachbarn. Seine Erlebnisse trägt er in sein Buch ein. Als er es jedoch einmal versehentlich auf dem Küchentisch liegen lässt und sein Vater es findet, wird dieser fuchsteufelswild und versteckt das Buch.

Christopher hängt an dem Buch, er sucht es überall und findet es schließlich im Zimmer seines Vaters. Dabei stößt er auch auf ein Bündel von Briefen, die alle an ihn gerichtet sind, die er aber nie zuvor gesehen hat. Sie stammen von seiner Mutter. Sie ist nicht, wie ihm immer erzählt wurde, an einem Herzinfarkt gestorben, sondern lebt mit einem anderen Mann in London. Christopher weiß jetzt, dass sein Vater ihn belogen hat. Und fast noch schlimmer ist, dass dieser auch noch zugeben muss, den Pudel Wellington umgebracht zu haben.
Das ist zu viel für Christopher, er kann Lügen auf den Tod nicht ausstehen, er selbst ist unfähig zu einer Lüge. Jetzt kann er seinem Vater nicht mehr vertrauen und anderen Leuten in Swindon erst recht nicht, auch nicht seiner verständnisvollen Lehrerin, denn die gehören alle nicht zur Familie. Und so beginnt für Christopher eine wahre Odyssee. Mit seiner geliebten Ratte Toby in der Anoraktasche, macht er sich auf die Suche nach seiner Mutter. Nach vielen aufregenden, aber glücklich bestandenen Abenteuern, bei denen er seine Panik mit Hilfe von mathematischen Übungen bekämpft, findet er die Mutter in London. Christophers Naivität und Unkenntnis machen ihn in höchstem Maße verwundbar, andererseits schützen sie ihn auch, und als die für ihn lebensnotwendige Ordnung wiederhergestellt ist, ist er so etwas wie ein Symbol für menschliches Verhalten geworden. Mehr will ich hier nicht verraten, aber das Kapitel, in dem Christopher die Briefe seiner Mutter liest, gehört zum Erschütterndsten, was ich in letzter Zeit gelesen habe.

Christopher setzt sich am Ende durch, er kann noch rechtzeitig sein Matheabitur machen und besteht es mit Auszeichnung, das gibt ihm Mut und Hoffnung für seine Zukunft und seinem Leser, der mit ihm gebangt hat, auch. "Dies wird kein lustiges Buch. Ich kann keine Witze erzählen, weil ich sie nicht verstehe", sagt Christopher einmal. Aber es ist doch ein lustiges Buch geworden, ebenso aber auch ein trauriges. Außerdem sprüht der Roman nur so von ironischem, anrührendem Humor.

Mark Haddon ist ein bekannter Kinderbuchautor in England, für Erwachsene schrieb er bisher noch nie. So ist sein Buch "Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone" ein erstaunliches Debüt. Mit dem Protagonisten Christopher ist Haddon eine einfühlsame Fallstudie gelungen, die uns unterhält und tief bewegt, er hat uns die Probleme eines Autisten auf unnachahmliche Weise nahe gebracht, weit mehr als es eine wissenschaftliche Abhandlung darüber tun könnte. Doch Haddon schildert nicht nur mit großer Kenntnis und Sensibilität die autistische Vereinsamung des Jungen, sondern erzählt auch die ergreifende Geschichte der schrittweisen Integration eines von den Erwachsenen im Stich gelassenen Kindes und kreiert zugleich eine zeitlose Parabel über die Schwierigkeit des Erwachsenwerdens in einer heillos komplizierten Welt.

Supergute Tage oder Die sonderbare Welt des Christopher Boone

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