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Luchterhand Literaturverlag

1924 gründete der Steuerberater Hermann Luchterhand (1886 - 1950) in Berlin seinen Verlag für Recht und Steuern. 1934 wurde Eduard Reifferscheid (1899 - 1992) Teilhaber. 1936, nachdem Hermann Luchterhand sich aus dem aktiven Verlagsgeschäft zurückzog, übernahm Reifferscheid die Geschäfte.

Über die Jahre von 1933 - 1945 hieß es nach dem Zweiten Weltkrieg von offizieller Verlagsseite stets, Hermann Luchterhand und Eduard Reifferscheid hätten in kritischer Distanz zum Nationalsozialismus gestanden. Dagegen legt ein 2012 in der taz. die tageszeitung erschienener Artikel nahe, dass Eduard Reifferscheid und Heinz Luchterhand, der Sohn des Verlagsgründers, von der antisemitischen Politik des Dritten Reiches profitierten, indem sie im Mai 1939 für einen unangemessen niedrigen Preis die Druckerei des mit einer jüdischen Frau verlobten und von den Nazis deshalb verfolgten Druckereibesitzers Otto Heinrich Scholz erworben hätten. Das Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaft (Buchwissenschaft) der Universität Leipzig erforschte daraufhin die Geschichte des Verlages in der NS-Zeit.

Das Resultat der wissenschaftlichen Untersuchung ist 2018 unter dem Titel „Luchterhand im Dritten Reich. Verlagsgeschichte im Prozess“ im Hauswedell Verlag veröffentlicht worden. Die Rolle des Luchterhand Verlags während des Nationalsozialismus bleibt aber weiterhin in vielen Punkten offen. Zu gegensätzlich sind nach Auswertung der umfangreichen Prozessakten die Positionen der Parteien in den sich Jahre hinziehenden Gerichtsprozessen nach dem Krieg. Vieles ist nach Kriegsverlusten oder Vernichtung von Unterlagen nicht mehr nachprüfbar. Luchterhand-Verleger Georg Reuchlein sagte dennoch, er sei froh, dass die Geschichte zumindest teilweise erhellt worden sei. Allerdings müsse man sich damit abfinden, dass man die ganze Wahrheit nicht mehr herausfinden wird.

Nach dem Krieg wurde der Hauptsitz des Luchterhand Verlags von Berlin nach Neuwied / Rhein verlegt. Unter dem Verleger Reifferscheid begann man ab 1954 neben dem juristischen auch ein belletristisches Programm aufzubauen. Als einer der ersten Bände erschien eine zweisprachige Ausgabe von Charles Baudelaires "Die Blumen des Bösen“.

In den Folgejahren erschienen bei Luchterhand unter anderem die von Alfred Andersch herausgegebenen Bände von "Texte und Zeichen", der berühmtesten Literaturzeitschrift der fünfziger Jahre. 1957 wurde ein gesellschaftswissenschaftliches Lektorat eingerichtet; hier wurden in der Folge Klassiker der Gesellschaftstheorie wie Max Weber, Emile Durkheim oder Arnold Gehlen verlegt, aber auch die Werke von Autoren wie Jürgen Habermas, Georg Lukács, Herbert Marcuse u.v.a.. 1957 erschien aber auch mit dem Gedichtband "Die Vorzüge der Windhühner" das erste Buch von Günter Grass bei Luchterhand, dem im Jahre 1959 der Roman "Die Blechtrommel" folgte, mit dem der Luchterhand Verlag zu internationalem Renommee gelangte. Dieses Ansehen wurde in den sechziger Jahren mit Übersetzungen moderner französischer Autoren (u.a. Georges Bataille, Paul Éluard, Eugène Ionesco und Claude Simon) weiter gefestigt, vor allem aber mit deutscher Gegenwartsliteratur von Autoren wie H. C. Artmann, Peter Bichsel, Manfred Bieler, Elisabeth Borchers, Ludwig Harig, Ernst Jandl, Hermann Lenz, Christoph Meckel, Anna Seghers oder Gabriele Wohmann.

1970 wurde die Taschenbuchreihe Sammlung Luchterhand mit Originalausgaben und Nachdrucken aus den Bereichen Literatur, Medientheorie, Politik und Sozialwissenschaften ins Leben gerufen. Zwei Jahre später wurde die Trennung des literarischen vom juristischen Programm beschlossen und der literarische und sozialwissenschaftliche Bereich als ein eigenständiger Verlag etabliert. Unter der Leitung von Otto F. Walter zog der literarische Zweig des Verlags nach Darmstadt um. Walter konnte zahlreiche namhafte Autoren für sich gewinnen. Werke von DDR-Autoren wie Jurek Becker, Maxie Wander oder Christa Wolf, aber auch etwa die Bücher des russischen Nobelpreisträgers Alexander Solschenyzin verhalfen Luchterhand zu nachhaltigem Erfolg und ließen den Verlag neben Suhrkamp zu einem der wichtigsten deutschen Literaturverlage werden.

1976 wurde, nicht zuletzt unter Einwirkung von Günter Grass, ein Autorenstatut verabschiedet, das den Autoren tiefgreifende Mitspracherechte zusicherte. Als elf Jahre später der Hermann Luchterhand Verlag dennoch ohne Absprache mit den Autoren an die niederländische Verlagsgruppe Kluwer verkauft wurde, kam es zu heftigen Protesten vieler Autoren, die schließlich den Weiterverkauf des literarischen Teiles des Verlags an die Arche Verlag AG durchsetzten. Gleichwohl konnte die Abkehr vieler Autoren vom Verlag nicht verhindert werden. 1991 verließ Günter Grass wie zuvor auch schon andere Autoren den Verlag. 1993 wurde die Sammlung Luchterhand an dtv verkauft (und 2001 dann wieder von Luchterhand zurückerworben), und 1994 wechselte schließlich auch Christa Wolf zu Kiepenheuer & Witsch.

Mit dem Erwerb des krisengeschüttelten Luchterhand Literaturverlags 1994 durch den Münchner Wirtschaftsanwalt Dietrich von Boetticher wurde der Firmensitz nach München verlegt. Unter Christoph Buchwald und Gerald Trageiser gelang es, Christa Wolf, deren Werke über Jahrzehnte bei Luchterhand erschienen waren, zurückzugewinnen und neue Autoren wie Carl Amery, António Lobo Antunes, Frank McCourt, Anna Enquist, Hanns-Josef Ortheil und Annie Proulx an den Verlag zu binden. In kurzer Zeit erfolgte der Wiederaufstieg zu einer geachteten literarischen Adresse. Im Oktober 2001 wurde der Luchterhand Literaturverlag von der Penguin Random House Verlagsgruppe übernommen. Im Januar 2005 übernahmen Georg Reuchlein und Regina Kammerer die Programmleitung des Verlags. Seit 2018 hat Grusche Juncker die verlegerische Geschäftsführung inne, Regina Kammerer verantwortet weiterhin das Programm des Verlags.

Der Luchterhand Literaturverlag ist heute wieder einer der anerkannten Literaturverlage Deutschlands. In ihm erscheinen zur Zeit ca. 25 Hardcover-Novitäten pro Jahr. Zu den Autoren des Verlags zählen neben den schon genannten u.a. Marica Bodrožić, Michael Cunningham, Ulrike Draesner, Sherko Fatah, Christian Haller, Franz Hohler, Karl Ove Knausgård, Anna Mitgutsch, Terézia Mora, Ali Smith, Christoph Peters, Peter Richter, George Saunders, Saša Stanišic, Linn Ullman und Juli Zeh.

Der Luchterhand Literaturverlag aus der Sicht von Franz Hohler

Ansprache des Autors an seinem 70. Geburtstag am 1. März 2013 im Zürcher "Kaufleuten"

Franz Hohler
© Christian Altorfer
Ende der 60er Jahre kam es im Walter Verlag in Olten zu einem Streit, und der Autor und Verleger Otto F. Walter verliess den Verlag, ging als Programmleiter zum Luchterhand Verlag nach Neuwied, und mit ihm kamen die Schweizer Autoren Peter Bichsel, Jörg Steiner, Kurt Marti, und beim Verlag waren bereits Autoren und Autorinnen wie Peter Härtling, Günter Grass, Gabriele Wohmann und Christa Wolf, und da dachte ich, da will ich auch hin.

Ich arbeitete damals an Texten, die ich "Idyllen" nannte, hatte im August 1969 einige davon an Otto F. Walter geschickt, und bekam schon bald darauf, am 9. September 1969, einen Brief von ihm, in dem nach der Anrede "Sehr geehrter Herr Hohler" unter anderem stand:

"Inzwischen wurden die IDYLLEN hier im Lektorat gelesen und inzwischen habe auch ich sie gelesen, und jetzt beeile ich mich, Ihnen vorerst einmal fast nur mit einem Wort zu sagen: die Konzeption der Textsammlung und auch die einzelnen Texte selber gefallen mir, gefallen uns ausserordentlich. Nehmen Sie diesen Kommentar ruhig als eine Zusage für die Buchveröffentlichung bei Luchterhand."

Diese Zusage hat mich damals gefreut, aber eigentlich hatte ich sie auch erwartet, denn ich selbst fand die Texte ja auch gut. Erst mit den Jahren habe ich gemerkt, was für ein singulärer Glücksfall ein solcher Brief war. Ohne irgendeine Empfehlung hatte ich als 26jähriger an die Tür eines renommierten Verlages angeklopft, und es wurde mir aufgetan. Dieser Verlag war in den 70er Jahren ein Magnet für Weltautoren wie Miguel Angel Asturias, Georg Lukacs, Alexander Solschenizyn, aber auch für Schweizer wie Jürg Federspiel, Niklaus Meienberg, Hugo Loetscher oder Kuno Raeber, und Sprachtänzer wie Eugène Ionesco oder Ernst Jandl waren ebenfalls dabei. Dass in diesem Haus ein Zimmer für mich frei war, war nicht nur eine Freude, sondern eine Ehre.

Dass allerdings Verlagshäuser nicht zu den erdbebensicheren Gebäuden gehören, erfuhr ich, als auf einmal die Nachricht kam, der Verlag sei verkauft worden, und zwar an einen holländischen Verlag, dessen Namen ich noch nie gehört hatte. Ziel der übernahme war im übrigen der juristische Teil von Luchterhand, welcher für die Autoren immer unsichtbar gewesen war, welcher aber den literarischen Teil heimlich oder unheimlich getragen hatte.

Der literarische Verlag wurde dann, nicht zuletzt nach einem Aufschrei im deutschsprachigen Feuilleton, aus den niederländischen Klauen befreit und in schweizerische Hände übergeben, und seither löste ein Beben das andere ab.
Der Verlag zog aus dem verträumten Neuwied nach Frankfurt um, dann erschallten aus Hamburg Lockrufe von Steuergunst und Standortvorteil, doch als der Verlag nach Hamburg umgezogen war, war der Kultursenator wieder abgewählt, die Lockrufe waren verstummt, und die Verheissungen waren die Elbe hinuntergeschwommen.

Die Honorarabrechnungen begannen sich zu verzögern, die Frankiermaschine sei defekt gewesen, hörten wir auf Nachfrage, und nach und nach verliessen verschiedene Autoren das Haus, angefangen mit Günter Grass, bis hin zu meinen geschätzten Schweizer Kollegen, es fand sich ein neuer Käufer für das Verlagshaus bzw. für die übernahme der Schulden, die sich dort angehäuft hatten, ein Joint Venture-Anwalt mit einem Rennpferdestall war der Retter, bei mir trafen Lockbriefe ein von anderen Verlagen, bei denen gerade keine Seismografen ausschlugen. Aber ich blieb, denn hatte mir Otto F.Walter, der schon längst wieder in Solothurn war, nicht geschrieben, dass ihm und dem Lektorat meine Texte ausserordentlich gefallen?

Der Verlag wechselte abermals die Leitung und den Besitzer, und ich blieb, denn das Lektorat blieb auch, verkörpert durch Klaus Siblewski, mit dem ich um Kommas und Punkte stritt und von dem ich inzwischen wusste, welcher Helvetismus ihm zumutbar schien und welcher nicht, und der auch von mir weiss, dass ich mich eher erwürgen lassen würde, als "die Tram" zu schreiben.

Ich hatte mein Zimmer in diesem Verlag bezogen, und ich blieb, denn hatte mir nicht Otto F.Walter, der inzwischen verstorben war, bestätigt, dass ihm meine Texte gefielen, und als Ernst Jandl starb, verblieb ich als letztes Fossil einer früheren Epoche, durfte neue Gäste begrüssen wie Hanns-Josef Ortheil, Melitta Breznik, Christian Haller oder Terézia Mora, nahm mit Verwunderung zur Kenntnis, dass sich über dem Verlagshaus nun ein zweites, grösseres Dach wölbte, das einen deutsch-englischen Doppelnamen trug, und nahm mit Freude zur Kenntnis, dass sich der jetzige Manager dieses Hauses engagiert und nimmermüde darum kümmert, dass meine 25 Bücher physisch oder virtuell zu den Leuten kommen und dass möglichst viele davon auch als Taschenbuch erhältlich bleiben.

Dass er zu meinem 70. Geburtstag meine gesammelten Erzählungen herausbringt, ist ein Zeichen dafür, ich danke ihm von Herzen und schaue mit Gelassenheit den nächsten Erdbeben entgegen.