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Rezensionen zu
Jesolo

Tanja Raich

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€ 10,00 [D] inkl. MwSt. | € 10,30 [A] | CHF 14,50* (* empf. VK-Preis)

Andrea und Georg sind seit ihrer Jugend zusammen, jetzt ist Andrea 35 Jahre alt und wenn sie über ihre Zukunft nachdenkt, dann möchte sie in die Stadt ziehen, jedoch nicht mit Georg zusammenleben. Sie möchte nicht in einem Haus im Dorf wohnen, sie will noch ein bisschen Erfolg im Job haben. Nicht zu ihren Zukunftsplänen zählt, Hochzeit, Kind, Kredit und Haus. Nach einem gemeinsamen Urlaub mit Georg in Jesolo stellt sie fest, dass sie schwanger ist. Sie entscheidet sich für das Kind und somit gegen ihre Pläne. Und dann geht auch schon los. Georg beginnt mit dem Umbau des Hauses seiner Eltern, dafür braucht es einen Kredit. Die Schwiegermutter steht mit guten Ratschlägen parat und weiß was „gut“ für Andrea, als werdende Mutter, für das Kind und für „später“ ist. Innerlich kämpft Andrea gegen diese Rolle, die ihr plötzlich aufgedrängt wird, die sie sich so aber nicht ausgesucht hätte, nach außen hin ist sie passiv und wehrt sich kaum. Georg kümmert sich um den Umbau des Hauses, damit es die kleine Familie dann schön hat, sein familiärer Beitrag hat sich somit aber auch schon wieder erledigt. Dieser Roman führt deutlich vor Augen, dass nicht alle Frauen Kinder in ihrer Lebensplanung vorgesehen haben. Das Umfeld vieler Frauen, aber auch die Gesellschaft erwartet dies jedoch von ihnen. Er führt auch vor Augen, wie sich das Leben von Frauen ändert, sobald sie schwanger sind und sich das Leben für die Väter kaum ändert. Viele Ratschläge prasseln auf werdende Mütter ein, den fast alle haben diese Erfahrung gemacht und wissen wie es geht, was gut ist, was zu tun ist. Helfen und mischen sich ungefragt ein. Der Schreibstil ist nüchtern, klar, die Sätze kurz, aber sehr prägnant. Die Dialoge und Zitate so treffend, ich denke, alles was Schwangere so an Phrasen zu hören bekommen wurde hier aufgezählt. Der Roman konnte mich absolut überzeugen. Leseempfehlung.

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Andrea will keine Kinder, will in der Stadt leben und arbeitet gerne. Und dann ist sie plötzlich schwanger und zieht auf eine Baustelle im Haus ihrer Schwiegereltern mit einem Mann, den sie nicht liebt. "Jesolo" liest sich nicht angenehm. Andrea verhält sich frustrierend passiv, treibt dahin, macht im Kopf Listen, dekliniert das ABC der Mutterschaft durch und träumt immer wieder von Wasser und Ohnmacht. Scheinbar wird sie, sobald sie schwanger ist, zum Spielball der Anderen, wird geformt und beeinflusst. Und kann sich nur mit unterschwellig aggressiven Aktionen wehren. Ich habe selbst keine Kinder, habe aber oft davon gelesen, welchen Einfluss der Partner, Familie, Nachbarn, gesellschaftliche Vorstellungen auf eine Mutter nehmen. Die Autorin Tanja Raich stellt dies so dar, als sei es unabwendbar. Als werde die Frau schwanger zum Objekt, zur Trägerin eines neuen Lebens, die von Hormonen vernebelt, stumm bleibe. Aber Andrea ist auch bereits vor der Schwangerschaft unentschieden, hat keinen konkreten Plan für ihre Zukunft, ist mit Georg nicht glücklich. Sie weiß nur, dass sie keine Kinder will, nicht aufs Dorf ziehen will, weiter arbeiten will. Warum zur Hölle bekommt sie dann das Kind? Die Autorin verrät es nicht. Ich vermute, die Autorin übergeht dies aus erzählerischen Gründen, um zu verdeutlichen, welche Konsequenzen eine Schwangerschaft haben kann. Aber diese Konsequenzen warten auch auf eine Frau, die sich auf ihr Kind freut. Es kann zu großer Frustration führen, wenn die Frau zwar glückliche Mutter ist, aber nicht von ihrem Mann unterstützt wird, wenn sie aus dem Beruf ausscheidet und nicht weiss, ob die Stelle bei ihrer Rückkehr noch da ist, wenn die Anderen alles besser wissen und sich einmischen. Ein Kind zu haben, berührt die Partnerschaft, den Beruf, die Unabhängigkeit, das Bild bei Verwandten und Nachbarn. Kindergärtenplätze, Gesetze zum Arbeitsschutz und finanzieller Unterstützung sowie zum Schwangerschaftsabbruch werden relevant. Frauen müssen sich über ihre Wünsche klar sein, sie äußern und sich mit ihrem Partner einigen. Tut man dies nicht, kann es laufen wie in diesem Roman. Ein sehr wichtiges Thema!

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Mit 30 spätestens muss man sich dann doch irgendwann entscheiden, was man sich vom restlichen Leben erwartet. Familie und Kinder, Karriere, Reisen oder etwas ganz Anderes? Andi hingegen schiebt die Entscheidung immer weit von sich. Irgendwie ist sie mit ihrem kinderlosen Leben recht zufrieden und es ist bequem, weswegen sie auch klaglos alljährlich den immer gleichen Urlaub in "Jesolo" hinnimmt. Der Job ist nicht perfekt, der Freund eigentlich auch nicht so der Passende, aber um an der Situation etwas ändern zu wollen, reicht es nicht. Freund Georg hingegen drängt seit längerer Zeit darauf, dass sie endlich Entscheidungen treffen soll. Zu ihm stehen, zu ihm ziehen und eine Familie gründen. Nach dem gemeinsamen Urlaub stehen alle Zeichen auf Trennung. Doch dann merkt sie, dass sie schwanger ist. Möchte sie das Kind oder nicht? Möchte sie es mit dem Vater gemeinsam aufziehen oder nicht? Ist sie bereit auf das Leben in der Stadt zu verzichten und mit Georg auf dem Land in das Haus seiner Eltern dazuzuziehen? Und ehe Andi sich versieht, hat sie einen Kredit aufgenommen, die Wohnung bei den Schwiegereltern in spe renoviert und bezogen und muss sich in ihrer Rolle als Mutter finden, die sie sich so nie gewünscht hat. Während für die Menschen um sie herum alles so klar zu sein scheint und es nur einen "richtigen" Weg gibt, hadert Andi mit ihrem Schicksal und ficht innerlich mit sich. Dabei malt sie sich zu allen Szenarien mehrere mögliche Ausgänge aus - und man spürt als Leser so nachvollziehbar ihre Unsicherheit und innere Zerrissenheit, dass man sie so gerne in den Arm nehmen und ihr versichern möchte, dass alles gut wird. Eigentlich schlimm, wie das gesellschaftliche Rollenbild der Frau heute immer noch klar diktiert, welche Werte ab 30 wirklich wichtig sein müssten und welcher Lebensentwurf als wahr und regelkonform festgelegt ist. Für mich als Frau im gleichen Alter beklemmend, absolut nachvollziehbar und sehr ehrlich dieser Roman. Großartiges Erstlingswerk von Tanja Raich.

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Liege an Liege. Die immer gleiche Pizza und schon wieder dasselbe Hotel: Tanja Raich dient der italienische Badeort Jesolo als Metapher für eine abgekühlte Liebe. … damit die Kinder später im Garten spielen können Andi ist Anfang Dreißig und steckt in einer okayen Beziehung mit ihrem irgendwie okayen Freund. Der will mit ihr ins Haus seiner Eltern ziehen, aufs Dorf, damit die Kinder später im Garten spielen können. Doch sie will gar nicht zusammenziehen, wollte eigentlich noch mal in einer großen Stadt gewohnt haben und überhaupt noch so einiges erleben. Als die Trennung schon fast ins Haus steht, entdeckt sie, dass sie schwanger ist. Was folgt, ist eine Kaskade gut gemeinter Ratschläge und schließlich steht Raichs Figur da, wo sie nie sein wollte. Sie ist Hausfrau im Haus seiner Eltern mit einem Kredit an der Backe und einem Baby im Arm. Das ultimative Glücksversprechen: Mutterschaft Was habe ich mich auf dieses Buch gefreut! Raichs Protagonistin ist keine unnahbare Überfrau, die den Gedanken der Mutterschaft grundsätzlich ablehnt (anders als zum Beispiel die Protagonistin in Christian Dittloffs Dystopie „Das weiße Schloss“). Sie glaubt nur nicht, dass Mutterschaft ein allgemeingültiges Glücksversprechen ist. Sie hat aber auch keinen konkreten Gegenentwurf, weshalb ihr Freund, dessen Eltern und gemeinsame Freunde ihre Ablehnung nicht ernst nehmen. Als sie dann ungewollt schwanger wird, ist es, als schließe sich die Falle, an der sie selbst in den letzten Jahren gebaut hat. Durch wunderbar lakonische Beschreibungen erfasst Raich den ganzen Wahnsinn, der mit einer Schwangerschaft einhergehen kann. Da faselt der zuvor noch so abweisende Gynäkologe plötzlich was vom „Wunder des Lebens“, während die Protagonistin über Abtreibung nachdenkt. Da richtet die Schwiegermutter und Oma in spe schon die Wohnung ein, ohne sich darum zu scheren, was dem Paar überhaupt gefällt. Raich gibt ihrer Protagonistin derweil völlig entgegengesetzte Gedanken auf den Weg. In rascher Abfolge malt diese sich aus, wie sie Strampler kauft, abtreibt, dem Kind beim Spielen zuschaut, ihrem Freund erzählt, dass sie schwanger ist, ihren Freund verlässt. Den Leser erheitert und beunruhigt diese Technik gleichermaßen, denn er kann die Ausweglosigkeit des idyllischen Dorflebens schon sehen. Die sonntägliche Bratengabel hängt über Raichs Protagonistin wie ein Damoklesschwert. Ein feministischer Roman? Tanja Raich wurde gefragt, ob „Jesolo“ ein feministischer Roman sei. Sie antwortete, dass die Bewertung als „feministisch“ wohl in der Wahrnehmung des Lesers liege und sie diese nur bedingt beeinflussen könne. Für ein Buch, das die gesellschaftlichen Erwartungen an Frauen thematisiert, klang das ziemlich unbefriedigend. Raich schob dann auch nach, es sei doch normal, dass Frauen feministisch schreiben. Fazit Ich muss gestehen, dass ich etwas enttäuscht von ihrer Antwort war. Denn Tanja Raich trifft mit „Jesolo“ den Nerv der Zeit und schafft es durchaus, zu provozieren. Daneben unterhält sie den Leser auch wunderbar – und Provokation und Unterhaltung sind doch eine ausgezeichnete Kombination, die man auch als solche präsentieren kann.

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Jesolo

Von: Miss.mesmerized

06.09.2019

Andrea und Georg, beide Mitte 30 und mit beiden Beinen im Leben stehend. Sie machen Urlaub in Jesolo, weil sie immer Urlaub in Jesolo machen. Sie kennen das Hotel, den Stand mit den immer gleichen Liegen, die Umgebung und wissen, worauf sie sich einlassen. Doch statt entspannter Tage verbringen sie die schönste Zeit des Jahres mit Streitigkeiten. Ein wiederkehrendes Thema ist Andreas Weigerung, mit Georg zusammenzuziehen. Sie will ihre Freiheit nicht aufgeben, er will und kann sie nicht verstehen. Im Haus seiner Eltern ist genügend Platz, sie können die Miete sparen, haben Unterstützung. Für Andrea die Vorhölle. Doch dann teilt ihr Arzt ihr mit, dass sie schwanger ist. Sie denkt über Abtreibung nach, sagt Georg nicht Bescheid, bis sie die vermeintlich freudige Nachricht doch teilt und sich für das gemeinsame Leben entscheidet. Ein Leben, das nicht ihres ist, das sie nie wollte und das sie schon hasst, bevor es beginnt. Tanja Raich bringt in ihrem Roman das Dilemma der heutigen Frau auf den Punkt. Jahrelang schildert man ihr die Illusion der beruflichen Selbstverwirklichung, lässt sie zur Karriere ansetzen und suggeriert ihr, dass sie die ganze Welt haben kann. Doch dann wird sie 30 und aus der ganzen Welt wird plötzlich Kinder, Küche, Kirche. Wer sich sträubt, muss den Gegenwind aushalten, Alternativen zum tradierten Rollenverständnis gibt es nicht. Ihr Erstlingswerk hat ihr die Nominierung auf der Shortlist Debüt 2019 des Österreichischen Buchpreises beschert, einer Auszeichnung, der man aufgrund ihrer Sprachversiertheit nur uneingeschränkt zustimmen kann. Vom Ende her betrachtet, beginnt der Roman interessanterweise geradezu mit dem Auflösen der Beziehung der beiden Protagonisten. Man wundert sich, dass sie den finalen Schritt nicht endlich tun, so quälend sind ihre Auseinandersetzungen. Sie verletzten sich gegenseitig absichtlich, nichts scheint sie mehr zu verbinden. Nur nach außen erhalten sie noch den Schein. Die Zäsur kommt durch die Schwangerschaft. Lange war ich überzeugt, dass Andrea sich gegen das Kind, gegen Georg und gegen das gemeinsame Leben entscheidet. Doch dann kommt es anders und genau das, wovor sie immer Angst hatte, tritt ein. Noch stellt sie Bedingungen an das gemeinsame Leben, doch mit dem Heranwachsen des Kindes schwindet ihr Widerstand und mit ihm verschwindet Andrea: „Das ist nur der Anfang. Dieser Strudel wird uns immer weiter nach unten ziehen. Aber vielleicht zieht dieser Strudel nur mich nach unten, während du sorglos an der Oberfläche weiterschwimmst.“ Georg realisiert seinen Traum vom Haus, von der Familie, von der Idylle auf dem Land. Immer beratend an seiner Seite: seine Eltern. Andrea ist nur ein Möbelstück, ein Accessoire, das aber bitte nicht reinreden soll: „Was weiß ich schon von diesem neuen Leben. Darüber weißt du besser Bescheid.“ Und bald schon erkennt sie in sich die Kopie ihrer Schwiegermutter, die wartet, dass der Gatte nach Hause kommt, um ihm dann das heiße Essen zu servieren. Wenig deutet zu Beginn des Buchs auf das hin, was Andrea widerfährt. Aber so ist nun mal das Leben und Tanja Raich schildert authentisch, wie Frauen in diese Rolle hineingedrängt werden, zunächst ganz sachte, sich irgendwann ergeben und einfach machen, was man von ihnen erwartet. Widerstand ist zwecklos bzw. der Zeitpunkt, um einen anderen Weg einzuschlagen, wurde einfach verpasst. Sie können daran verzweifeln oder sich einreden, dass das auch ihr Traum ist. Ist ja auch alles ganz toll. Nur halt nicht das, was sie vom Leben erwarteten, wovon sie träumten, was aus ihnen hätte werden können. Dramaturgisch überzeugend, sprachlich stark – ein Debut, das mich schnell überzeugen konnte und das in seiner Aktualität nicht unterschätzt werden sollte, denn diese Generation wir irgendwann ausbrechen wollen und sich das zu holen, was man ihr versprochen hatte.

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"Jesolo" macht, was Bücher, was Geschichten machen sollen: es eröffnet neue Perspektiven. Teils überzeichnet aber immer treffend fällt die Autorin über unsere Rollenbilder her, die uns wie Glücksdämonen verfolgen. Witzig, schockierend und entlarvend zeigt "Jesolo" die Perspektive einer jungen Frau, die genau dorthin gelangt, wo sie nie hin wollte. Beissend witzig, böse und schnell.

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Jesolo, eine dieser Touristenhochburgen an der italienischen Adria, ist der Ausgangspunkt für Tanja Raichs gleichnamigen Debütroman. Andrea und Georg, beide Mitte Dreißig, sind schon seit ihrer Jugend ein Paar. Sie sind augenscheinlich glücklich miteinander, doch während sich für Andrea nichts an dieser Zweisamkeit ändern müsste, drückt Georg der Schuh. Er will heiraten, Kinder kriegen, ein Haus bauen, eben das, was man in diesem Alter klassischerweise so macht – ein Lebensentwurf, mit dem Andrea absolut nichts anfangen kann. Die Beziehung scheint festgefahren und Streitereien stehen auf der Tagesordnung, daran kann selbst die romantische Altstadt Jesolos nichts mildern. Doch nach dem letzten Urlaub dort ist alles anders, denn Andrea ist ungewollt schwanger. Für sie beginnt ein Spießrutenlauf durch Arztpraxen, Vorbereitungskurse und uralte Rollenklischees. Von allen Seiten prasselt es auf sie nieder: Wie glücklich sie jetzt sein solle, was für ein Wunder die Schwangerschaft darstelle und was für grundlegende Veränderungen ihr jetzt bevorstünden. Doch während Gregor nur noch mit der Planung des zukünftigen Domizils beschäftigt ist und sich mit dem Status des werdenden Vaters rühmt, wächst in Andrea nicht nur das Kind, das sie nie wollte, sondern auch die Angst vor der Zukunft. Tanja Raich (*1986), die sich in den letzten Jahren als Programmleiterin des Wiener Verlages Kremayr & Scheriau einen Namen machte, nimmt sich in JESOLO eines schwierigen Themas an: Moderne Frauen in veralteten Rollenbildern. Wenn man die Dreißig kinderlos überschritten hat, häufen sich die Fragen nach der Familienplanung. Bei Männern gilt es üblicherweise als nicht verwerflich, wenn sie noch nicht so weit sind. »Der Mann möchte sich eben noch austoben, er braucht seine Freiheit und hat später noch genug Zeit.« Frauen allerdings verstoßen gleich gegen mehrere alteingesessene Normen, wenn sie die Frage nach dem Kinderwunsch negativ beantworten – eine soziale Ungerechtigkeit, der Tanja Raich hier auf den Grund geht. Dies macht sie mit kurzen, präzisen Sätzen, die den zynischen, aber hilflosen Charakter der Hauptfigur sehr gut widerspiegeln. Andrea – früh von der Mutter verlassen und mit einem schwierigen Verhältnis zum Vater – braucht das Modell Familie nicht, um ihr Leben zu bestreiten. Sicher: In den teils unverarbeiteten Erlebnissen ihrer Jugendjahre liegt ihr innerer Zynismus begründet, und mit einer harmonischeren Familie wäre sie diesbezüglich vielleicht etwas entspannter. Aber sie ist, wer sie ist, und wenn sie in die glücklichen Gesichter der Werbefamilien schaut, wo die Mütter lachend die dreckigen Hosen ihrer Lausebengel waschen, oder die hart arbeitenden Väter sich an die gemachten Abendbrotstische setzen – in genau solch einer Vorzeigefamilie ist Georg aufgewachsen –, kommt ihr die Galle hoch. Zu Recht! Allerdings weiß sich Andrea auch wenig zu helfen und geht während ihrer Schwangerschaft nach und nach immer mehr Kompromisse ein. Raich führt uns in zehn Kapiteln – eins für Jesolo und eins für jeden Schwangerschaftsmonat – durch Andreas Kampf mit sich und ihrem Umfeld, benennt Ängste und Wünsche, beschreibt Gedanken und Träume und findet eindringliche Bilder, um zu zeigen, wie nah ihre Hauptfigur einer Ohnmacht ist, nur um den Rollenbildern gerecht zu werden. Ein intensiver und äußerst lesenswerter Roman.

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Andrea und Georg sind schon seit vielen Jahren ein Paar. Während Andrea noch keine Kinder will, ihr Leben genießen und auch mal um die Welt reisen möchte, bereitet Georg die Renovierung seiner Wohnung im Haus der Eltern vor, in die, wenn es nach ihm geht, auch bald Andrea mit einziehen soll. Im alljährlichen Urlaub in Jesolo wird Andrea bewusst, wie eintönig und kompliziert ihre Beziehung geworden ist, leben die beiden mittlerweile doch mehr neben- statt miteinander. Als Andrea dann ungewollt schwanger wird, beginnt für sie ein Leben, das sie so niemals führen wollte… Eindrücklich schildert Tanja Raichs Debütroman „Jesolo“ 10 Monate im Leben einer Frau, die sich durch eine ungewollte Schwangerschaft immer abhängiger macht und der althergebrachten Frauenrolle nicht entfliehen kann. Ihr gelingt damit ein höchst interessanter und nachdenklich stimmender Roman über familiäre und partnerschaftliche Beziehungen, der einen kritischen Blick auf längst überholt geglaubte gesellschaftliche Erwartungen an Frauen wirft. Der Roman ist aus der Sicht Andreas in Form eines inneren Monologs geschrieben und es schwingt stets eine leicht depressive und melancholische Stimmung mit. Als Leser taucht man tief in Andreas Gedankenwelt ein, kann ihre Zerrissenheit, Ängste und Zweifel spüren und nachvollziehen. Mit einem differenzierten Blick zeigt Tanja Raich, dass Andreas Zukunftswünsche und -vorstellungen nicht nur von denen ihres Partners abweichen, sondern auch einen gravierenden Gegensatz zu den gesellschaftlichen Erwartungen an eine Frau bilden. Ab einem gewissen Alter muss schließlich jede Frau an Heirat denken, Kinder bekommen und in ihrer Mutterrolle aufgehen. Ich mochte Tanja Raichs klaren Schreibstil sehr. Mit ihren kurzen, aufs äußerste zugespitzten und mit der richtigen Portion an Sarkasmus und Humor versehen Sätzen trifft sie den Nagel auf den Kopf. Ein anspruchsvolles, mutiges Buch mit durchaus feministischer Botschaft und ein sehr intensives Leseerlebnis, das lange nachhallt!

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