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Rezensionen zu
Regenbeins Farben

Kerstin Hensel

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Schief begonnen hat meine Beziehung zu diesem Buch. Ich hatte darüber gelesen, dass skurrile Gestalten auftreten und es mir deswegen bestellt. Auf dem Cover las ich dann „herrlich komische Verwicklungen nehmen ihren Lauf“. Ich rechnete also mit einem witzigen Buch und ließ es eine Weile herumliegen, weil ich gerade nicht in der Stimmung für Witziges war Die angekündigten „köstlich witzigen Situationen“ konnte ich beim Lesen allerdings nicht finden. Ganz im Gegenteil sind für mich die Figuren der Handlung großteils eher tragische Gestalten. Vielleicht habe ich auch eine völlig andere Vorstellung von Humor als die Person, die den Klappentext geschrieben hat. Wie auch immer, das Buch hat mir gut gefallen. Die Handlung beginnt und endet auf einem Friedhof, der in der Einflugschneise eines Flughafens liegt. Die dort grabpflegenden Witwen kennen einander aus einem anderen Lebensbereich, aus der Kunstszene. Eine Malerin, die Witwe eines Kunstmäzens und eine Kunstprofessorin und bekannte Kritikerin treffen sich auf dem Friedhof und anderswo. Die Malerin, die viele Jahre nicht an die Öffentlichkeit trat, weil sie von ihrer eigenen Kunst nicht überzeugt war, wird nun von einem bekannten Galeristen, der auf demselben Friedhof Grabpflege betreibt zu einer Ausstellung überredet. Die Autorin hat einen sehr poetischen Schreibstil, der immer wieder einmal ins Surreale kippt und den ich sehr angenehm und fließend zu lesen fand. Die Figuren hatten für mich sehr harte Konturen, sie erinnerten mich an Skulpturen der 1920er und 30er-Jahre, kantig, etwas mechanisch in der Bewegung, psychologisch wenig charakterisiert daher nicht wirklich lebendig werdend. Die Autorin ist sehr weit weg von ihren Figuren, erzählt deren Geschichten aber auf eine Art, die mich angesprochen hat. Die Ausstellung der Malerin Regenbein endet als Fiasko. Nicht wegen der Qualität der Bilder sondern eigentlich weil die Versammelten von der deutschen Geschichte insbesondere der Nazi-Zeit eingeholt und vernichtet werden. Es wird im Klappentext auch darauf hingewiesen, dass es sich um „Verflechtungen deutsch-deutscher Biographien“ handelt. Nachdem die Geschichten teilweise bis vor die Gründung der DDR zurückreichen, fand ich das nicht besonders verblüffend. Das Thema ist für mir als Österreicherin aber auch nicht emotional besetzt, daher kann ich diesen Aspekt des Werks wahrscheinlich auch nicht nachvollziehen. Alles in allem fand ich mich in diesem Buch etwas fremd, schätze aber die lyrisch angelegte Sprache, die surrealen Momente und die Handlung selbst.

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„Im Halbdurchsichtigen drei Nereiden, aus ihren Höhlen am Grunde des Meeres gestiegen, hoch zu ihrem Gott, der auf einem Fabelwesen über Wellen reitet, vorne Pferd, hinten Fisch. Nymphen umkreisen ihn, und er erfleht ihre Gesellschaft, spielt den Schiffbrüchigen, den sie beschützen, besingen, begleiten sollten. Doch die Nymphen treiben andere Spiele. Im Wasser schwesterlich schwebend, sind die Seefrauen, die nur sich selbst unterhalten, in kecken Spielen plaudernd, mit Delfinen singend. Während der Gott um Rettung seiner Mächtigkeit fleht, zwingt er sein Reittier zu einer schaumschlagenden Levade. Poseidon, der Poser! Der Hippokamp trägt in durch die brodelnde Brühe der Geschichte (…)“ Diese laut- und wortschönen Sätze verraten Kerstin Hensel als Lyrikerin, die ihre poetische Sprache auch in der Novelle „Regenbeins Farben“ verwendet. Darin vereint sie vier Personen zu einer besonderen Gemeinschaft. Fast ein volles Jahr währt diese, lediglich drei Minuten fehlen, wie die punktgenauen Datierungen im ersten und letzten Kapitel zeigen. Auch wenn der Tod als Motiv diese Novelle durchzieht und ein Teil der Handlung kammerspielartig auf einem Friedhof stattfindet, handelt es sich keineswegs um ein trauriges Buch. Als Trauerbuch hingegen ließe es sich sehr wohl bezeichnen, denn es erzählt, wie man Trauer bewältigt und sich von der Vergangenheit befreit. Die Kunst ist dabei das Mittel der Wahl. Dies zeigen schon die ersten Kapitel, in denen uns die Friedhofsgemeinschaft vorgestellt wird. Die Malerin Karline Regenbein ist die Jüngste, an Alter wie an der Dauer ihrer Trauer gemessen. Es folgen Eduard Wettengel, der Galerist, Lore Müller-Kilian, die ihr Mäzenatentum dem verstorbenen Gatten verdankt und schließlich die Älteste, Ziva Schlott, die Kunstprofessorin mit „Kippchen“. Alle vier kannten sich bereits bevor ihnen „der Tod eine tröstende Gemeinschaft organisiert hat“ in efeuumrankter Friedhofsstille, die laut vom Lärm der landenden Flugzeuge gestört wird. Vom unvermeidlichen Glockengeläut abgesehen und vom Gläserklirren, was die mit Hut und hohen Hacken ausgestattete Lore verursacht, sobald sie ihren Kristallkelch befüllt, natürlich mit Veuve Cliquot. Auch mit über Siebzig ist sie „lebensgierig als sei die Endstunde ihrer Existenz gegenwärtig“. An ihrer Seite kämpft Ziva Schlott, geborene Scharlach, hustend gegen den Efeu. Dass sie diesen Kampf mit Fünfundachtzig auf Dauer nicht gewinnen wird, ist ihr in sarkastischer Altersweisheit bewusst. Von dieser ist Karline noch weit entfernt. Zwar hat der Tod ihres Mannes sie von ebendiesen befreit, doch die wahre Freiheit wartet noch. Im Wege steht der Galerist Eduard, dem auch das Sehnen ihrer Grabnachbarinnen gilt. Als (Wett)engel auf dem Friedhof ist er der Hahn im Korb. Die Witwenkonkurrenz und das Witwergebahren inszeniert Hensel in perfekt konstruiertem Aufbau. Während der Haupterzählstrang in kurzen Kapiteln von Begegnungen und Befindlichkeiten der Protagonisten berichtet und schließlich in der Vernissage von „Regenbeins Farben“ gipfelt, gewähren lange Kapitel eine Rückschau auf die Entwicklung der Figuren. Diese erzählen auch von den Zuständen, von der Gesellschaft und vor allem vom Kunstverständnis, dem offiziellen und dem inoffiziellen, in der damaligen demokratischen Republik. Dies gelingt Hensel mit subtilem Humor. Humor zeigen schon die sonderbaren Namen in ihrem Ensemble. Noch deutlicher zeigt er sich in den Äußerlichkeiten und in den Lebensgeschichten ihrer Helden. So schmückt Wettengel, dessen Name Lore als „Mischung aus Spielhölle und Himmelsglück“ bezeichnet, „ein Bund fossiler Lockenpracht, das, die Schläfen am unteren Hinterkopf miteinander verbindend, unter der Mütze hervorquillt“. Seine schier unglaubliche Ehe findet ein Ende als seine unbefriedigte Frau ins Koma fällt, man könnte sagen einem Ehe-Annoiisma erliegt. Karlines Kindheit hingegen schildert Hensel in einem Märchenton, während für die Ehe mit Rüdiger Habich Kurzsätze genügen. Bisweilen taucht sie diese Verbindung aber auch ins Mythische. Dann erscheint Habich(t), der seiner Frau auch im Tode noch droht, als böser Zauberer, der die geraubte Karline im Ehegefängnis hält. Nicht nur die unglaublichen Begebenheiten in „Regenbeins Farben“ machen Spaß, sondern auch die Sprache Kerstin Hensels. Kunstvoll verknüpft sie Alliteration mit anderen Klangwiederholungen und verleiht durch Reihungen Rhythmus, „Sie zertritt die Eishaut der Pfützen vor der Friedhofspforte“. Es finden sich Wortschöpfungen, wie „Lockenkranzglatzkopf“. Witziges, wie die chinesische Delikatesse „goldbraun frittierte Kinderhände“, steht neben Tiefsinnigem, wenn das Glück als Jojo am Lebensfaden empfunden wird. Nicht vergessen werden dürfen die zahlreichen Naturbilder, die sich nicht nur in Karlines Nereiden-Gemälde mythisch aufladen. Zu entdecken gibt es Vieles, in dieser Novelle voller Flügelwesen.

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Fazit: Würde ich meine Rezensionen noch mit einer Überschrift versehen, die über die Nennung des Titels und der Autorin hinausgeht (warum tue ich das eigentlich nicht mehr?), so hätte diese Überschrift hier „Das Sterben der Anderen“ gelautet, und ich wäre angemessen stolz darauf gewesen. Aber eigentlich tut das hier nichts zur Sache, viel wichtiger ist es, eingangs positiv hervorzuheben, dass es sich bei „Regenbeins Farben“ um einen Novelle handelt, die endlich mal den Mut hat, sich auch als eine solche zu bezeichnen, und die nicht, wie so viele andere Werke überschaubaren Umfangs, vorgibt, ein Roman zu sein. Wobei mir natürlich bewusst ist, dass es neben dem Umfang noch aussagekräftigere Kriterien für die Einordnung als Novelle gibt, dennoch: Eine Novelle ist eine Novelle ist eine Novelle und darf gerne auch so genannt werden. Und im vorliegenden Fall ist es sogar eine recht gut gelungene Novelle, deren Inhalt sich zeitlich von Ostern bis Ostern erstreckt, weswegen es nur zu passend war, dass ich sie auch an Ostern gelesen habe. Kerstin Hensel gehe mit ihrem Buch „den Verflechtungen deutsch-deutscher Biografien auf den Grund“, heißt es im Klappentext und mit dieser Einordnung ist „Regenbeins Farben“ tatsächlich treffend beschrieben. Die drei Protagonistinnen sowie der Galerist Eduard Wettengel, der das literarische Element darstellt, das das Verhältnis zwischen den drei Damen in Ungleichgewicht bringt, werden mit ihren Hintergründen und Biografien detailliert dargestellt, und das sehr gelungen, ohne dabei die Handlung im Hier und Jetzt zu vernachlässigen. Schön zu lesen ist dabei, wie Stück für Stück herausgearbeitet wird, dass der Lebensweg der Menschen, die sich da auf dem Friedhof in der Einflugschneise (ein übrigens überaus charmanter Einfall, wie ich finde) treffen, bereits zusammenhing, bevor sie sich dort regelmäßig getroffen haben. Die Schilderung der Hintergrundgeschichten der Figuren, der „Verflechtungen deutsch-deutscher Biografien“, bildet dann auch das Kernelement der Novelle. Und dieses Kernelement ist richtig gut gelungen. Wenn man berücksichtigt, welch überschaubarer Umfang Kerstin Hensel zur Verfügung stand, um gleich vier Figuren mit Leben zu füllen, dann kann man nur den Hut ziehen. Von der Künstlerin Karoline Regenbein, die zwischen dem Drang, zu malen und ihren Selbstzweifeln und der Überzeugung, nicht gut genug zu sein, gefangen ist bis zur Industriellengattin auf selbstdestruktiver Sinnsuche, die Figuren sind ausnahmlos sehr gut gezeichnet. Hinsichtlich des Stils lässt sich festhalten, dass man schon auf der ersten Seite merkt, dass „Regenbeins Farben“ in eher elaboriertem Code gehalten ist. Ich denke zwar, dass die Novelle niemanden überfordern sollte, allenfalls muss man mit Begriffen wie „megärenhaft“ zurechtkommen. Insgesamt, so war jedenfalls der Effekt bei mir, wirkt das auf Dauer allerdings eher ermüdend, auch weil es so einen gezwungenen Eindruck macht. Aber das mag man gerne anders sehen. Und inhaltlich? Nun, es ist eine Novelle, sollte ich also anfangen, wesentliche Aspekte der Story auszuplaudern, hätte ich als alsbald das gesamte Buch erzählt, was in niemandes Sinne sein kann. Deswegen muss sich die geneigte Leserschaft mit der kryptischen Formulierung begnügen, dass „Regenbeins Farben“ auch im Bereich der eigentlichen Handlung überzeugt. Punkt. Wer gerne Novellen liest und/oder an detaillierten Charakterzeichnungen Freude hat, dürfte mit „Regenbeins Farben“ zufrieden sein. Und da ich mir ein Zitat des Buches markiert habe, das ich niemandem vorenthalten möchte, weil es inhaltlich so wahr ist, erlaube ich mir, meine Ausführungen mit eben folgendem Zitat auch zu beenden: „Talent wird jedem Kind bescheinigt, sobald es Kringel malen kann, oder einer Hausfrau, die sich das öde Leben bunt aquarelliert. Frauen, die Großes leisten, besäßen Talent, Begabung oder eine besondere Fähigkeit. Männern hingegen spräche man Genie zu. (S. 151)

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Die Autorin Kerstin Hensel fühlt sich als Lyrikerin und Schriftstellerin scheinbar gleichermaßen wohl. 2016 erschien bei Luchterhand ihr Gedichtband „Schleuderfigur“, nun eine Novelle. „Regenbeins Farben“, erschienen Mitte März 2020, keine Kurzgeschichte sondern eine Novelle. Somit straff erzählt ohne Umschweife tritt der Konflikt zu Tage. Ausgangspunkt sind drei Frauen, die sich regelmäßig beim pflegen der Gräber ihrer Männer treffen. Und nein, dieser ungewöhnliche Ort der Begegnung ist nicht mal idyllisch, weil er in der Nähe eines Flughafens liegt. Später kommt noch der Witwer und Galerist Eduard auf den Friedhof. Schnell ist er Teil der Begegnungen der drei Frauen. Immer wieder ist er da, fungiert einstweilen, wie ein Motor, der Verwicklungen, die ihren Lauf nehmen. „Mit einem Mal kommt Leben in die Trauergemeinschaft. Das weibliche Trio buhlt um die Gunst des Galeristen.“ schreibt der Luchterhand Verlag in der Ankündigung. Die Autorin würzt das Ganze mit den Lebensgeschichten der Frauen und später des Witwers. Diese laufen nicht nur parallel sondern Kerstin Hensel verwebt diese miteinander. Der Verlag Luchterhand nennt dieses „Verflechtungen deutsch-deutscher Biographien“ Die drei Damen können gegensätzlicher nicht sein: die über 80-jährige Ziva Schlott, Kunstprofessorin, Lore Müller-Kilian um die 70 und Industriellenwitwe und die Künstlerin Karline Regenbein Ende 40, Witwe eines Fotografen. Trotzdem verbindet etwas die Frauen und so teilen sie sich ihr Schicksal. Eine Novelle in herrlich frischer Art geschrieben mit den amüsanten Nettigkeiten des alltäglichen Lebens.

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