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Rezensionen zu
Der Gott der Stadt

Christiane Neudecker

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Der Stoff, aus dem das Leben ist

Von: Bücherwurm aus 63454 Hanau

29.12.2019

Eine Lesung und ein Interview mit Christiane Neudecker bei den OPEN BOOKS der Frankfurter Buchmesse im Oktober 19 haben mich neugierig auf den Roman gemacht, und ich wurde nicht enttäuscht! Das Zusammentreffen von fünf jungen Menschen, die zwar ein gemeinsames Ziel haben, aber noch keine Vorstellung davon, wie und ob sie es erreichen können, in einer Stadt — Berlin 1996 — , die auch nicht weiß, was sie ist und sein will oder soll!, an einer Schauspielschule mit eingefahrenen Strukturen und eingefrorenen Professoren aus alten Ost-Zeiten, angesetzt auf die Arbeit an einem äußerst schwierigen expressionistischen Fragment von Georg Heym — das kann nicht gut gehen. Dieses Gefühl hat man von Beginn an, nicht nur, weil die Protagonistin uns sehr früh den Tod eines Mitbewerbers voraussagt, sondern weil alle Charaktere so verletzlich verfangen sind in ihrer jeweiligen Situation, dass eine erfüllende Zusammenarbeit, ein beglückendes Gelingen einfach nicht vorstellbar ist. Das gilt für die Regie-Eleven ebenso wie für die Professoren, ein jeder und eine jede kämpft mit den eigenen Dämonen, da braucht es gar keinen Georg Heym mehr! Der Titel des Romans „Der Gott der Stadt“ führt uns zwar nicht in Heyms Berlin von 1910, aber in eine Großstadt, die für junge, unerfahrene Menschen durchaus Erfahrungen bereithält, die sie in ihren Grundfesten erschüttern kann. Vor allem die Hauptfigur Katharina erlebt das, und Neudecker beschreibt deren Verwirrung so überzeugend, dass ich mich zurückversetzt gefühlt habe in die Anfangszeit meines Studiums vor vielen Jahren. Die Vielschichtigkeit der Handlung rund um Georg Heym, sein Faust-Fragment und seinen Tod, macht den Roman spannend. Er ist nicht nur ein Zeugnis der Nach-Wende-Zeit, sondern erlaubt uns für einen kurzen Zeitraum junge Menschen zu begleiten, die ihren Weg noch suchen und die sich mit ihrer Gefühlswelt Heyms Expressionismus nahe fühlen. Man muss Georg Heym nicht gelesen haben, um den Roman zu verstehen, schon gar nicht das ominöse „Fragment“, das 2012 in Berlin uraufgeführt wurde. Sein Gedicht „Der Gott der Stadt“ trifft aber einen Nerv auch noch 100 Jahre später, indem es die grundsätzliche Unbehaustheit des Menschen zum Thema macht, die er durch Erfolg, Ruhm und Macht zu überwinden meint. Wenn es die Götter denn zulassen.

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„Sie werden seine Welt betreten und durch seine Abgründe schreiben. Sie werden seine Zerrissenheit spüren, seine Qualen, sein Genie. Sie werden seinen Dämonen begegnen – und ihren eigenen.“ (Zitat Seite 115) Inhalt Nur fünf freie Plätze gibt es jährlich für das Regiestudium der Erwin Piscator Hochschule für Schauspielkunst in Berlin. 1995 geht für die einundzwanzigjährige Katharina Nachtrab ein Traum in Erfüllung, sie wird aufgenommen. Der berühmte Regisseur Korbinian Brandner, Professor an dieser Hochschule, wird den Lehrgang als Mentor selbst unterrichten. Am 16. Januar 1912 war der expressionistische Lyriker Georg Heym beim Schlittschuhlaufen auf der Havel ertrunken, als er seinen Freund rettete. Am 16. Januar 1996 soll Heyms Faust-Fragment aufgeführt werden. Jeder der fünf Regiestudenten erhält von Brandner nur einige Sätze zur Bearbeitung und muss die eigene Szene mit den jeweils anderen vier Mitgliedern der Gruppe als Schauspieler auf die Bühne bringen. Doch zunächst müssen sie die Zusammenhänge finden und eine intensive Spurensuche beginnt. Doch statt der Aufführung gibt es am 16. Januar 1996 auf der Probebühne einen Toten. Thema und Genre Dieser Roman spielt in der Welt des Theaters und zeigt die Extremsituationen für junge Schauspieler und Regisseure, den enormen Druck schon während der Ausbildung. Das Buch handelt von Ehrgeiz und Träumen sich künstlerisch zu verwirklichen, von Grenzen, die dabei überschritten werden. Es geht um Realitäten, die sich verwischen und in Besessenheit enden. Hier ist Faust das Kernthema, Mephisto, Mystik, Georg Heym und sein Fragment. Die Handlung spielt 1996 in Berlin, wo die Wende das Ost-West-Denken noch lange nicht beendet hat und die politische Vergangenheit noch sehr präsent ist. Charaktere Die Autorin zeichnet jeden ihrer unterschiedlichen Charaktere stimmig und nachvollziehbar bis ins Detail und mit einer Vielfalt von unterschiedlichen Eigenschaften, was mit zur Spannung und Faszination dieses Romans beiträgt. Brandner, der geniale Regisseur, der die Schwächen seiner Schüler schonungslos beim Namen nennt, ein Dämon, der gegen die eigenen Dämonen kämpft. Katharina, Tadeusz, Schwarz, Francois und Nele fühlen sich bald als Gruppe, doch das Faust-Fragment macht sie zu ehrgeizigen Konkurrenten, obwohl sie als Team zusammenarbeiten müssten. Handlung und Schreibstil Die Geschichte ist vielschichtig, denn jeder der Protagonisten kämpft nicht nur um den eigenen künstlerischen Erfolg, der schon in diesem ersten Studienjahr von der Schulleitung laufend hinterfragt wird, sondern auch gegen die eigenen Dämonen, Ereignisse, die ihr bisheriges Leben geprägt haben und ihr Verhalten noch immer beeinflussen. Die Handlung beginnt mit einem Prolog, der gleichzeitig Rückblende und Vorschau ist und endet mit einem kurzen Epilog. Die einzelnen Kapitel sind in fünf übergeordneten Hauptteilen zusammengefasst. Katharina ist die Ich-Erzählerin, doch die Autorin wechselt die Erzählperspektive und zeigt in einzelnen Kapiteln auch die Gedanken und Handlungen der anderen Hauptprotagonisten auf, eine geniale Vorgehensweise, um dem Leser weitere Informationen zu geben, die Katharina nicht wissen kann. Dies gibt der Handlung einen unwiderstehlichen Sog und Spannung. Fazit Ein atmosphärisch dichter, vielschichtiger und spannender Roman. Nicht nur die Handlung, auch die Sprache fasziniert. Lebendige Schilderungen, Metapher als Verweise auf Georg Heyms Lyrik, Symbole und Charaktere zwischen realer Zerrissenheit und Besessenheit für die Kunst überzeugen. Ein Buch und Leseerlebnis, das begeistert.

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1995. Hochschule für Schauspielkunst Erwin Piscator Berlin. Die Erstsemester im Fachbereich Schauspielregie sollen gemeinsam ein Konzept für die Aufführung eines Faust-Fragments des Schriftstellers Georg Heym entwickeln. Angestachelt von Ehrgeiz, und grenzenloser Bewunderung für ihren Mentor, den Starregisseur Korbinian Brandner, und belastet mit diversen eigenen Problemen, gehen die Studenten dabei immer weiter an ihre Grenzen und darüber hinaus. Bis es zu einem Todesfall kommt. Weggesuchtet. Ein Wort, bei dem sich jedes Mal meine Nackenhaare hochstellen, wenn ich es in einer Rezension lese. Und doch ist es das erste, was mir in den Kopf kommt, wenn ich an diesen Roman denke. Einen Tag und eine Nacht habe ich mit diesem über 600 Seiten starken Buch verbracht, im letzten Drittel schon gewaltig mit dem Schlaf kämpfend, aber ich wollte es nicht weglegen, wollte unbedingt weiterlesen. Dabei könnte ich nicht einmal sagen, ob der Roman gut oder mittelmäßig ist. Ob jemand, der die darin beschriebene Welt nicht kennt, ihn genauso spannend fände, genauso plausibel. Ich habe gelesen und mich erinnert. An all die Tanzsäle, in denen ich Blut und Schweiß gelassen habe, an all die Lehrer, die wir grenzenlos verehrt haben, obwohl sie im Nachhinein betrachtet, das Wort Pädagogik vermutlich nicht einmal hätten buchstabieren können, an die Euphorie bei einem Lob, sei es auch noch so klein und im Vorbeigehen gemurmelt, an die weltenzerstörende Kraft einer Kritik, die selten fördernd, sondern meist einfach nur weit unter der Gürtellinie lag. Tanz, nicht Schauspiel. Aber so gleich in den Abläufen. Die Erwin Piscator-Hochschule gibt es nicht. Aber sicherlich ein Dutzend andere, die genau so funktionieren. In denen ehemalige Sänger/Tänzer/Schauspieler ihr Wissen weiter geben, mal im besten Sinne, indem sie es teilen und den Nachwuchs nach Kräften fördern und mal gedankenlos niedermachend, im Glanze ihrer eigenen Wichtigkeit, nicht ahnend, was ihr bedenkenlos verteiltes Gift anrichten kann. Erinnert habe ich mich auch an die Freude zu lernen. Wissen anzusammeln über mein Fachgebiet, intensiv ein Thema zu erarbeiten, Neuland zu erobern. Wie bei mir nicht anders zu erwarten, stapeln sich hier die Bücher zum Thema Theater, zu Tanz- und Theatergeschichte, Anatomie, Künstlerbiographien, Bildbände. Das alles findet sich in diesem Roman. Dazu kommt die Spannung der Wendejahre, als Osten und Westen in den Köpfen noch geteilt waren. Die Piscator liegt in Ostberlin, die Lehrer stammen noch aus den alten DDR-Theaterzeiten, Christiane Neudecker bindet sie sehr geschickt in die dortige Theaterlandschaft ein. Die Erstsemester sind zum Großteil aus dem Westen. Welten treffen aufeinander, Traditionen treffen auf Unverständnis. "Für mich ist "Der Gott der Stadt" ein großartiges Buch, das mich sprachlich und inhaltlich überzeugen konnte. Weggesuchtet.

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Es ist das erste Buch, dass ich von Christiane Neudecker lese. Bei der Premiere ihres neuen Romans „Der Gott der Stadt“ erfuhr ich nun mehr über sie und ihr Schreiben. Im Literaturhaus Berlin sprach sie mit Insa Wilke über die Entstehung des Romans und las einige Passagen. Die Standardfrage nach dem autobiographischen Hintergrund wurde auch hier gestellt und war auch schlüssig. Denn ihr Roman spielt in einer Regie-Klasse der in der DDR hoch angesehenen Hochschule für Schauspielkunst Ernst Busch in Berlin in den Nachwendejahren. Die aus Nürnberg stammende 1974 geborene Neudecker hat ebenso in dieser Zeit dort studiert. Im Roman heißt die Schule Piscator-Schule und die Regie-Klasse die unter dem charismatischen, von den Schülern angebeteten Regisseur und Professor Korbinian Brandner in die Regiearbeit eingeweiht wird, besteht aus lauter „Westdeutschen“, was im Roman auch eine Rolle spielt. Die Geschichte beginnt mit der Ich-Erzählerin Katharina, die von Nürnberg nach Berlin zieht und voller Träume in dieses Studium hineingeht. Zunächst erfahren wir mehr von ihr und begleiten sie durch die erste Zeit ihres Studiums. Sie himmelt Brandner an, hat aber zunächst so ihre Probleme mit den vier anderen Studenten. Als Brandner ihnen die Aufgabe stellt aus einem Fragment des 1887 geborenen, mit nur 25 Jahren tödlich verunglückten Georg Heym, das sich mit der Faust-Thematik beschäftigt, ein Stück zu kreieren, beginnt ein rasanter, geradezu teuflischer Konkurrenzkampf. “ … draußen donnerte es, eine dunkle Wolkendecke schob sich über den Innenhof der Bibliothek, der Gott der Stadt rang mit dem Fürsten der Finsternis, alles zog sich zu.“ Im Verlauf des Romans wechseln immer wieder die Erzählperspektiven, werden auch die privaten Hintergründe der anderen Studenten Schwarz, der eigentlich lieber Filmregisseur werden will, François, der sich am liebsten in Bücher verkriecht, Nele, die schon Schauspielerfahrung hat, aber auch ein kleines Kind, Tadeusz, der Brandner schon lange kennt und Brandners selbst und das was aktuell in ihnen vorgeht, näher beleuchtet. Gedicht von Georg Heym Buchvorstellung, moderiert von Insa Wilke Anthologie für expressionistische Dichtung "Menschheitsdämmerung" Schließlich beginnen Proben und die ersten Prüfungen zur Inszenierung, die Brandner am Todestag Heyms auf der öffentlichen Bühne sehen will. Doch obwohl alle auf ihre Weise mit dem Fragment umgehen, und etwas auf die Beine stellen, ist Brandner absolut nicht zufrieden. Er hat sich der alten (DDR-)Schule verschrieben und ist nicht bereit Zugeständnisse an abweichende oder modernere Entwürfe zu machen: „Wir psychologisieren nicht.“ Dies zeigt er seinen Schülern deutlich, er demütigt sie und geht schließlich soweit, das Stück aus dem Spielplan zu streichen. Dass Brandner womöglich dunkle DDR-Geheimnisse verbirgt, ahnen seine Schüler nicht. Seine Schüler, allen voran Nele und die ehrgeizige Katharina, entscheiden nun unkonventionellere Wege zu gehen und proben heimlich auf der Probebühne auf ihre Weise. Das schweißt sie zusammen. Als schließlich ein Probetermin von François Szene um Mitternacht angesetzt wird, da es sich um eine spiritistische Sitzung handeln soll, laufen die Ereignisse aus dem Ruder. Denn François hat sich in satanistische Kreise begeben, um möglichst nah am teuflischen Geschehen im Faust zu sein … Diese Nacht hat für alle Konsequenzen. Christiane Neudecker hat einen unglaublich starken Roman geschrieben. Hier passt alles. Er ist spannend und stimmig konstruiert, die Figuren sind exakt ausgearbeitet und kommen einem nah, wenngleich einige sehr unsympathisch sind, die Sprache passt und das Setting im Schauspielbetrieb ist höchst aufschlussreich. Mich hat die Lektüre von Heym-Gedichten durch den Roman begleitet. Ich liebe es, wenn Romane Türen zu weiteren Texten und Autoren öffnen. Unten das namengebende Gedicht von Georg Heym, mit anderen in der empfehlenswerten expressionistischen Anthologie „Menschheitsdämmerung“ veröffentlicht: Der Gott der Stadt Auf einem Häuserblocke sitzt er breit, Die Winde lagern schwarz um seine Stirn. Er schaut voll Wut, wo fern in Einsamkeit Die letzten Häuser in das Land verirrn. Vom Abend glänzt der rote Bauch dem Baal, Die großen Städte knien um ihn her. Der Kirchenglocken ungeheure Zahl Wogt auf zu ihm aus schwarzer Träume Meer. Wie Korybanten-Tanz dröhnt die Musik Der Millionen durch die Straßen laut. Der Schlote Rauch, die Wolken der Fabrik Ziehn auf zu ihm, wie Duft von Weihrauch blau. Das Wetter schwält in seinen Augenbrauen. Der dunkle Abend wird in Nacht betäubt. Die Stürme flattern, die wie Geier schauen Von seinem Haupthaar, das im Zorne sträubt. Er streckt ins Dunkel seine Fleischerfaust. Er schüttelt sie. Ein Meer aus Feuer jagt Durch eine Straße. Und der Glutqulam braust Und frißt sie auf, bis spät der Morgen tagt. Ich bin begeistert und beeindruckt und empfehle dieses Leseerlebnis uneingeschränkt. Ein diabolisches Leuchten!

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Fragment

Von: letteratura

01.09.2019

Es sind die 90er Jahre, Berlin befindet sich in einem seltsamen Zwischenzustand, die Stadt ist eins, muss aber noch zusammenwachsen. Fünf junge Menschen kommen an die Piscator-Schauspielschule, um Theaterregie zu studieren. Die Plätze sind begehrt, allein schon angenommen zu werden, bedeutet, auserwählt zu sein. Doch es wird auch viel verlangt von den jungen Erwachsenen, vor allem seitens Korbinian Brandner, Lehrer und selbst gefeierter Regisseur. Er ist so etwas wie das Aushängeschild der Schule. Und er ist derjenige, der überzeugt werden will, der, zu dem alle aufsehen, eine Art Lichtgestalt – zumindest in den Augen Katharinas, die einen großen Teil des neuen Romans „Der Gott der Stadt“ von Christiane Neudecker aus der Ich-Perspektive erzählt. Katharina kommt aus dem Westen, ist behütet aufgewachsen, hat aber auch einen familiären Verlust zu verkraften. Brandner hat sie bereits persönlich getroffen, und er hat sich dafür eingesetzt, dass sie auf der Schauspielschule angenommen wird. Vorteile wird sie dadurch aber nicht genießen, wie bald deutlich wird. Außerdem ist da noch Schwarz, gutaussehend und arrogant, der eigentlich lieber Filme drehen als am Theater arbeiten will, außerdem der Franzose Francois, verschlossen und voller Selbstzweifel. Schließlich Tadeusz, er hat polnische Wurzeln und ist der einzige, der Brandner von vornherein duzt, ohne dass die anderen verstünden, wieso, es scheint eine Geschichte zu geben zwischen den beiden. Und schlussendlich kommt etwas verspätet Nele an die Schule, sie ist ein paar Jahre älter als ihre Kommilitonen und war bereits als Schauspielerin erfolgreich. Charismatisch und sehr hübsch, fühlt Katharina sich zunächst unzulänglich und unscheinbar neben ihr. Dass an der Piscatorschule nur die Besten geduldet sind, dass bei Nichterreichen der hohen Anforderungen auch der Ausschluss von der Schule relativ schnell möglich ist, erfahren die Schüler schnell. Brandner stellt ihnen eine Aufgabe, die es in sich hat: Im Januar, am Todestag Georg Heyms, sollen die fünf eine Aufführung zum Besten geben, basierend auf einem Fragment Heyms, dem „Faust-Fragment“, dessen einzelne Teile Brandner unter den Schülern aufteilt. Heym selbst konnte sein Fragment nicht mehr vollenden, da er 1912 mit nur 24 Jahren beim Schlittschuhlaufen auf der Havel tödlich verunglückte. Die Schüler erarbeiten ihre Regiekonzepte, doch als sie sie Brandner präsentieren, ist der nicht von allem, was ihm dargeboten wird, begeistert… Christiane Neudeckers neuer, seitenstarker Roman „Der Gott der Stadt“ vereint mehrere Themen gekonnt zu einem sehr runden, schlüssigen Ganzen, und vor allem zu einem sehr fesselnden Roman, den ich kaum aus der Hand legen konnte. Fünf junge Leute, die sich für erwachsen halten, es aber eigentlich noch nicht sind, an einem Punkt in ihrem Leben, der entscheidend sein wird dafür, wie es mit ihnen weitergeht. Die Schauspielschule hat eine enorme Strahlkraft, eine Schule, die zu besuchen ein absolutes Privileg ist – niemand würde sie freiwillig verlassen – oder doch? Neudecker erzählt fesselnd, wie sich die fünf, zwar auf unterschiedliche Weise, aber dennoch mit Haut und Haaren hineinstürzen in die Aufgabe, die ihnen gestellt wird, Selbstzweifel und Größenwahn liegen nah beieinander. Heyms Fragment stürzt sie in einen Rausch, lässt sie alles andere vergessen. Neudecker lässt dabei Katharina einen Großteil der Geschichte erzählen, wechselt aber auch die Perspektive, so dass der Leser auch den anderen Protagonisten nahe kommt und stets mehr weiß als sämtliche Figuren im Buch. Aber nicht alles, natürlich nicht. Diese Konzeption mag einigermaßen konventionell sein, aber das Konzept geht auf, da die Spannung hoch bleibt. Zudem erfahren wir schon zu Beginn, dass nicht nur der Tod Heyms wie ein Schleier über der Geschichte liegt, ein bisschen rätselhaft, diffus und schaurig (könnte es vielleicht doch ein Suizid gewesen sein?), sondern dass auch an der Schauspielschule ein Todesopfer zu beklagen sein wird. Neudeckers Figuren haben allesamt ihre Geheimnisse und ihre Last zu tragen. Einige haben frühe Verluste erlitten und auch Brandner ist bei näherem Betrachten alles andere als eine Lichtgestalt. Häppchenweise werden wir mit Informationen versorgt, und wir leiden und hoffen mit den Protagonisten mit, die Autorin schafft es, dass man sie allesamt, einige mehr, andere weniger, ins Herz schließt. Nebenbei lässt Neudecker uns die Atmosphäre dieses Nachwende-Berlins spüren, diese besondere Stimmung, als zwei Städte zu einer zusammenwachsen. Atmosphärisch ist das alles sehr dicht und intensiv. Ihr Roman trägt mystische Züge und ist dann doch wieder schmerzlich real. Sprachlich genau und unaufdringlich, auch in der Charakterisierung der einzelnen Figuren stets auf den Punkt. Ein rundum gelungener Roman, ein Schmöker im allerbesten Sinne, denn Neudecker schreibt sowohl intelligent als auch unterhaltsam.

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