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Rezensionen zu
Lincoln im Bardo

George Saunders

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€ 25,00 [D] inkl. MwSt. | € 25,70 [A] | CHF 34,50* (* empf. VK-Preis)

Gibt es ein Leben nach dem Tod? Und wenn ja – wie sieht es aus? George Saunders versucht sich in Lincoln im Bardo an einer Antwort. Die Art und Weise, wie er dies tut, ist sowohl in inhaltlicher als auch in formaler Form mehr als außergewöhnlich. Die Grundhandlung von Lincoln im Bardo ist schnell umrissen. Willie Lincoln, der 11-jährige Sohn von Präsident Abraham Lincoln, ist verstorben. Der Vater trauert um seinen Sohn und zieht sich mehrmals in die Familiengruft zurück, wo sein Sohn aufgebahrt ist. Bei diesen Besuchen verbinden sich Diesseits und Jenseits – oder wie es in der Lehre des Yogas heißt: das Bardo (tibetanisch für Zwischenzustand) wird zum zentralen Handlungsort. In diesem verharren der amerikanische Präsident und sein Sohn – und mit ihm eine Vielzahl an weiteren Seelen, irgendwo in diesem nebulösen Reich, das wir Jenseits nennen. Saunders braucht nicht viele Seiten, um den Leser erstmals stutzen und staunen zu lassen (sein Übersetzer Frank Heibert spricht hier auch vom Saunder’schen wtf-Moment). Denn anstelle eines gewöhnlichen Erzählers und einer linearen Handlung ist Lincoln im Bardo ganz anders. Saunders Buch ist ein polyphoner Chor des Jenseits und der Augenzeugen. In teils nur wenigen Wortfetzen erzählen abwechselnd Zeitzeugen Lincolns und Bardo-Bewohner von den Geschehnissen nach dem Tod des Jungen. Der Leser muss sich aus diesen Dialogen und den verschiedenen Sprecher*innen die Handlung selbst zusammenreimen und interpretieren. Das ist herausfordernd, manchmal anstrengend, aber eben auch sehr originell und innovativ. Denn Saunders gelingt es, losgelöst vom Text, die gängigen Vorstellungen des Jenseits zu hinterfragen. Wie ist das Sterben? Und gibt es Regeln, wie das Leben nach dem Tod funktioniert? Lincoln im Bardo ist da funkensprühend kreativ – wohl auch einer der Gründe, warum das Buch letztes Jahr mit dem National Book Award ausgezeichnet wurde. Dieses Buch könnte man sich ebenso gut als Hörspiel-Adaption oder auf einer Bühne vorstellen, so ist es inszeniert und geschrieben. Gerade in den kommentierenden zentralen drei Gestalten im Bardo glaubt man sich des Öfteren in einem Shakespeare-Stück, so vielfältig ist auch die Sprache und die Figurenzeichnung. Dass dies im Deutschen so gut funktioniert, dafür zeichnet sich Frank Heibert verantwortlich. Dieser übertrug dieses herausfordernde Werk wunderbar eigenständig ins Deutsche und verschaffte allen Sprechenden eine eigene Sprache und darüber hinaus einen eigenen Charakter. Man kann vor seiner Übersetzerleistung nur den Hut ziehen. In diesem Buch zeigt sich einmal mehr, wie hervorragend sich Dichtung und Übertragung vereinen. Ein außergewöhnliches, ein forderndes Buch, das unser Bild vom Jenseits um eine lesenswerte Facette bereichert!

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(Bardo?) Im buddhistischen Glauben ist das Bardo eine Art Zwischenstation im Samsara, dem immerwährenden Zyklus des Seins, also der Bereich zwischen Leben und Wiedergeburt. (Hä?) So wie ein Gate im Flughafen, wenn du das Land offiziell schon verlassen hat, aber noch auf den Flieger wartest. (Achso!) In ebensolches Bardo verschlägt es den kleinen Willie Lincoln, Sohn des Präsidenten, nachdem er im Februar 1862 elendig an Typhus stirbt. Das Bardo, das er betritt, ist eine Schattenversion des Friedhofs, auf dem er bestattet ist. Dort freundet er sich mit den beiden liebenswürdigen Chaoten Hans Vollman und Roger Bevins III an, und mit Reverend Everly Thomas, einem Geistlichen, der, mit einem dunklen Geheimnis belastet, das Bardo nicht verlassen kann. Abraham Lincoln indes geht an der Trauer um seinen Goldjungen fast zu Grunde und es ist fraglich, ob er die Geschicke seines Landes in diesen schweren Zeiten zum Wohle aller weiterhin lenken kann. Ein paar Tage nach der Beerdigung schleicht er sich auf den Friedhof und öffnet Gruft und Grab, um seinem Sohn ein letztes Mal Lebwohl zu sagen. Willie beobachtet ihn dabei, dringt als Geist in seinen Vater ein und spürt dessen Liebe und Trauer. Von diesen Emotionen überwältigt, ist sich Willie sicher: Sein Vater wird ihn aus diesem Zwielicht befreien, er wird zurückkommen und ihn holen. Nun verlangen die Regeln des Bardo, dass man sich möglichst schnell zur Wiedergeburt bereit mache – doch Willie weigert sich und es entbrennt ein Kampf der Geister um seine Seele. George Saunders (*1958) geht in seinem ersten Roman stilistisch – wie von seinen Kurzgeschichten gewohnt – ganz eigene Wege. In über hundert zum Teil sehr kurzen Kapiteln lässt er wie in einem Theaterstück unzählige Figuren sprechen, die in ihrem jeweiligen Duktus das Geschehen kommentieren. Heraus kommt ein kollektives Durcheinander, ein gegenseitiges Dazwischengequatsche, das gekonnt den Spagat zwischen Tragödie und Komödie schafft und irgendwo zwischen Shakespeare und Monty Python landet. Federführend sind die Stimmen von Vollman – mit dem Riesenpenis – und Bevins – mit den hundert Händen –, über die wir Leser auch mehr erfahren als über die meisten anderen Geister, wo sie herkommen und wer sie waren. Interessanterweise ist die einzige Figur, die überhaupt nicht zu Wort kommt – nur indirekt über die Berichte anderer –, Präsident Lincoln, womit auch klar wäre, wer hier der eigentliche Titelheld ist. Zwischen die Geisterstimmen eingewebt sind dutzende Ausschnitte aus Büchern, Chroniken und Briefen von Zeitzeugen, die Lincolns Präsidentschaft analysieren und kommentieren. Wie geht er mit dem Verlust seinen Sohnes um? Was hat das für Auswirkungen auf die Entscheidungen, die gefällt werden müssen, gerade in Kriegszeiten? Ich habe stichprobenartig ein paar der Verfasser dieser Ausschnitte im Netz gesucht und bin fündig geworden, also gehe ich davon aus, dass diese Berichte historisch belegt sind. Die Bardo-Geschichte in diese Wortmeldungen einzubetten – ein äußerst gelungener Schachzug! Auch die Übersetzung ist großartig gelungen. Frank Heibert, den ich spätestens seit Queneaus STILÜBUNGEN und Faulkners SCHALL UND WAHN zu den Größten seiner Zunft zähle, hat hier wieder ganze Arbeit geleistet. Diese unzähligen Stimmen mit ihren unterschiedlichen Eigenschaften stilecht ins Deutsche zu übertragen – inklusive dutzender Wortneuschöpfungen –, das ist eine Leistung, die verehrt werden muss. LINCOLN IM BARDO, Gewinner des Man Booker Prize 2017, hat mich aus dem Stand umgehauen. Ich war erschlagen von der Wucht der eigentümlichen Prosa, an die ich mich zugegebenermaßen erst gewöhnen musste, die mich dann aber mit einem lächelnden und einem tränenden Auge in Windeseile durch die Seiten trug. (450 Seiten in fünf Tagen? Das ist für mich Rekordleistung! – Allerdings steht durch die vielen Stimmwechsel auch oft nicht so viel auf den Seiten.) Und noch etwas: Ich bin überhaupt nicht religiös veranlagt – Religion liegt mir so fern wie … watweißich … Häkeln? – aber wenn ein Roman es schafft, dass ich denke: So könnte ich mir das Nachleben auch vorstellen – Hut ab! Für mich ganz klar eines der besten Bücher des Jahres und definitiv einen Re-Read wert. Leseempfehlung für alle, die sich trauen, ihre gewohnten Lesegewohnheiten über Bord zu werfen und neue Pfade zu erkunden … und weder Shakespeare noch Monty Python abgeneigt sind.

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Der Begriff „Bardo“ stammt aus dem Buddhismus und bezeichnet den Zustand zwischen dem Tod und der Wiedergeburt. Bei George Saunders finden wir uns nicht in einem buddhistischen Weltverständnis wieder, doch seine Geschichte spielt in einem Reich zwischen Leben und Tod. Es ist ein Reich, das nach dem Tod schnell durchschritten werden sollte zu einem endgültigen Zustand, ob dieser nun Himmel oder Hölle entspricht oder etwas ganz anderes darstellt, der Roman gibt hier keine eindeutigen Antworten. Es sind vor allem drei Männer, die sich hier aufhalten und einerseits das, was geschieht, kommentieren, andererseits über sich selbst, ihr Schicksal, ihr Leben sinnieren. Sie stecken fest, sie gehen nicht voran, doch ein Zurück kann es auch nicht geben. Viele andere, die nach ihnen gestorben sind, kommen und gehen. Nur Willie Lincoln, Sohn des derzeitigen Präsidenten und mit 11 Jahren an Typhus gestorben, bleibt. Bleibt „im Bardo“, denn auch wenn man mit dem Romantitel „Lincoln im Bardo“ ganz von selbst den Vater und Präsidenten assoziiert, ist auch der junge Lincoln ein „Lincoln im Bardo“. Der Vater besucht des Nachts den Friedhof, er ist tief getroffen und will seinen Sohn nicht gehen lassen, seinen Tod nicht wahrhaben. Er verspricht ihm, wieder zu kommen. Und so wird Willie zurückgehalten, kann den trauernden Vater nicht verlassen. Drumherum die Stimmen der „Untoten“, der Festsitzenden, die kommentieren, lamentieren, versuchen, zu verstehen, Hoffnung schöpfen, dass es doch nicht nur in die eine Richtung weitergehen könnte, wenn Willie Lincoln doch nicht einfach so ihr Reich durchquert. „Lincoln im Bardo“, der erste Roman George Saunders, der bisher durch Kurzgeschichten auf sich aufmerksam machte, kommt mit allerhand Vorschusslorbeeren nach Deutschland, gewann 2017 den Man Booker Prize und wurde intensiv beworben. Die Erwartungen an den Roman waren also bei mir hoch, auch, wenn ich nicht wusste, wie ich mir die Geschichte vorzustellen hatte, der Plot klang gewagt, doch vielversprechend. „Lincoln im Bardo“ ist ambitioniert, in seiner Form außergewöhnlich – was Saunders hier macht, hätte auch leicht schief gehen können. Ich kann mich kaum erinnern, je etwas Ähnliches gelesen zu haben. Saunders bedient sich einer Art des choralen Erzählens, es sind viele Stimmen, die von den Geschehnissen berichten, sie reden durcheinander, ergänzen und widersprechen sich, sie plappern, lassen aus, deuten an. Wann immer ich lese, dass man einen Roman mit besonderer Konzentration lesen müsse, weil er anspruchsvoll, kompliziert sei, frage ich mich, ob man nicht jeden Roman mit der gleichen Aufmerksamkeit lesen sollte. Doch bei der Lektüre von Saunders’ Roman habe ich mehrfach genau so gedacht. Hier kann einem schnell etwas entgehen, wenn man nur kurz unaufmerksam ist. Saunders lässt also die drei Männer im Bardo hauptsächlich, und nebenbei viele andere sprechen, auch Willie selbst kommt zu Wort, sein Vater allerdings nie. Dadurch ist er, noch mehr als die Gestalten zwischen den Welten, schwer greifbar. Es wird viel über den Präsidenten gesagt, - doch immer von anderen Personen, die sich teils widersprechen. Saunders fügt zeitgenössische Zitate ein und zeigt, wie unterschiedlich die Wahrnehmung auf die gleichen Ereignisse bzw. auf die Person Lincolns war. Und somit auch, dass objektive Geschichtsschreibung nicht immer einfach ist. „Lincoln im Bardo“, hat sich gegen mich gesträubt, sich gewindet, sich fast verweigert, sodass ich die Lektüre manchmal sogar abbrechen wollte. Der Roman ist keiner, in den ich eintauchen, in dem ich mich wohlfühlen kann und gern verweilen möchte. Wir haben miteinander gekämpft. Das liegt nicht nur am ernsten Thema, das im Übrigen auch durch eine gehörige Portion Ironie deutlich abgeschwächt wird. Vielmehr ist es das sprunghafte Erzählen, die fehlende Linearität, die das Buch andererseits zu dem machen, was es ist: Eine außergewöhnliche Lektüre, die ich jedoch eher mit dem Kopf als mit dem Bauch würdigen kann. Man kann den Roman schwerpunktmäßig in seinem historischen Kontext lesen, als Spiegel einer Gesellschaft im Bürgerkrieg, worauf das Feuilleton in einigen Besprechungen hinweist. Sicher lohnt auch die Frage, was das alles mit uns heute zu tun hat. Und natürlich habe ich mich gefragt, für was dieses Zwischenreich steht oder stehen kann. Der Gedanke liegt nahe, dass es etwas damit zu tun hat, Dinge zu beenden, Türe zu schließen, bevor man neue öffnet, aber vielleicht bewege ich mich damit auch endgültig zu weit weg von diesem so ungewöhnlichen und lesenswerten Buch. Letztlich bin ich – obwohl die Lektüre mir viel abverlangt hat und für mich eher Arbeit als Vergnügen war – doch froh, Saunders’ Roman gelesen zu haben. Sein Vorhaben ist ihm gelungen, der Booker Prize verdient. Und vielleicht werde ich „Lincoln im Bardo“ ja irgendwann eine zweite Chance geben und besser durchdringen, was sich diesmal so gehen mich gesträubt hat.

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